Die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) sorgt für den Austausch kalter und warmer Wassermassen im Atlantik. Zur ihr gehört auch der Golfstrom, der uns in Europa ein moderates Klima beschert: Er fungiert wie eine Art Wärmepumpe, ohne die es bei uns rund fünf bis zehn Grad kälter wäre.
Im Fachmagazin "Nature Communications" ist nun eine Studie erschienen, laut der die Atlantische Umwälzzirkulation mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit frühestens 2025, fast sicherlich aber bis 2095 zusammenbrechen soll.
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Kollaps der Umwälzzirkulation AMOC hätte dramatische Folgen
Schuld daran sei der menschengemachte Klimawandel: Die Forscher, beide an der Universität Kopenhagen angesiedelt, rechnen mit einem Kollaps der Atlantischen Umwälzzirkulation gegen Mitte des Jahrhunderts, wenn die Treibhausgasemissionen weiter fortschreiten. Ein derartiger Kollaps hätte dramatische, weltweite Folgen.
Doch es gibt auch kritische Stimmen zu dieser Studie, deren Ergebnisse im direkten Gegensatz zu den Befunden des 6. Klimaberichts stehen: Laut dem 2021 und 2022 erschienenen sechsten Weltklimabericht wird die AMOC zwar seit Beginn der Messungen schwächer. Aber sie soll in diesem Jahrhundert nicht zusammenbrechen.
Was ist die Atlantische Umwälzzirkulation und was hat der Klimawandel damit zu tun?
Die Atlantische Umwälzzirkulation durchzieht den gesamten Atlantischen Ozean: Dieses komplexe System aus Meeresströmungen sorgt dafür, dass warmes, salzhaltiges Wasser an der Meeresoberfläche gen Norden transportiert wird, während kälteres, salzärmeres Wasser in Tiefseeströmungen in die entgegengesetzte Richtung transportiert wird. Die großen Mengen an Wärmeenergie, die mit der AMOC nach Norden transportiert werden, sorgen in Nordeuropa für ein mildes Klima.
Schon seit längerem befürchten Forschende, dass der Klimawandel AMOC beeinflusst: durch steigende Temperaturen des Atlantik oder durch das Schmelzen des grönländischen Eisschildes, was einen Eintrag von großen Mengen an Süßwasser im Nordatlantik zur Folge hat.
"Es ist bereits bekannt, dass die AMOC langsamer geworden ist – zumindest im vergangenen Jahrhundert, aber wahrscheinlich schon über einen deutlich längeren Zeitraum", sagt Niklas Boers von der TU München. Er selbst hatte im Jahr 2021 an einer Studie mitgewirkt, die beschrieben hat, dass eine Abschwächung das gesamte System instabiler macht, anders ausgedrückt: AMOC könnte sich einem Kipppunkt nähern, jenseits dessen die Zirkulation zusammenbricht.
Studie: Kipppunkt des Golfstroms könnte schon bald erreicht sein
Allerdings gab Boers in seiner Studie von 2021 bewusst keine Abschätzungen für den Zeitraum an, ab wann dieser Kipppunkt erreicht sein könnte. Dafür sei die Datengrundlage zu dürftig und die Unsicherheiten in den Modellen der Atlantischen Umwälzzirkulation noch zu groß.
Nun sprechen die beiden Forschenden der neuen Studie eine Warnung aus: In ihrem Modell der Atlantischen Umwälzzirkulation verwenden sie als Datengrundlage Oberflächentemperaturen im Nordatlantik, für die seit 1870 Daten vorliegen. In einer statistischen Analyse untersuchten sie mögliche Frühwarnsignale für einen Kollaps von AMOC und errechneten den wahrscheinlichen Zeitpunkt für einen solchen Kollaps. Das Ergebnis ist ein Zusammenbruch von AMOC mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen 2025 und 2095, wobei der wahrscheinlichste Zeitpunkt im Jahr 2057 liegt.
Ein Kollaps von AMOC hätte weitreichende Folgen: In Europa könnten die durchschnittlichen Temperaturen um einige Grad sinken, Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Stürme und Starkregen würden häufiger. Der Meeresspiegel würde ansteigen.
Kritik an der Warnung vor Golfstrom-Kollaps
Doch der Befund dieser Studie widerspricht nicht nur dem Weltklimabericht – er stößt auch bei anderen Klimaforschern auf Kritik. Laut Niklas Boers ist das verwendete Modell der Atlantischen Umwälzzirkulation viel zu mechanistisch, das heißt: zu einfach. Es beinhaltet nicht die Komplexitäten, die nötig sind, um eine fundierte Aussage darüber treffen zu können, wann der Kipppunkt erreicht sein wird: "Die Autoren haben sich hiermit zu weit aus dem Fenster gelehnt und die relevanten Unsicherheiten nicht genug berücksichtigt. Diese Unsicherheiten sind so groß, dass man auf Grundlage der Analyse historischer Daten keine Aussage zum Zeitpunkt des Kippens treffen kann", sagt er.
Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie sieht die Schwäche der Studie ebenfalls im verwendeten Modell: Der errechnete Zeitpunkt für einen AMOC-Kollaps würde sich nur aus diesem vereinfachten Modell ergeben. Umfassendere Modelle aber würden zeigen: Dieses vereinfachte Modell ist genau das – zu vereinfacht. "Die Interpretation verlässt sich in enormem Ausmaß darauf, dass das theoretische Verständnis der Autoren korrekt ist, und daran sind riesige Zweifel angebracht“, sagt er. Und so sieht er auch keinen Grund daran, am IPCC-Bericht zu zweifeln, laut dem auf absehbare Zeit kein Kollaps von AMOC bevorstehe.
Auch Johanna Baehr von der Universität Hamburg sieht diese drastische Warnung vor den Folgen des Klimawandels kritisch. Sie sagt: "Eine solche rein mathematische Analyse, die die physikalische Perspektive ausblendet, braucht es zur Dramatisierung nicht. Wir sehen aktuell bereits eine ganze Reihe von Ereignissen, die auch Auswirkungen des anthropogenen, also des menschengemachten Klimawandels sind. Diese Auswirkungen geben Anlass genug zum Handeln. Klar ist, dass die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden müssen – je früher, desto besser."
Im Audio: Umstrittene Golfstrom-Studie: Schüren Forscher unnötig Panik?
Dieser Artikel ist erstmals am 25. Juli 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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