Bundesweit erfüllt nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen demnach Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch.
Psychische Erkrankungen haben oft schwerwiegende Folgen
Für die knapp 18 Millionen Betroffenen und ihre Angehörigen ist eine psychische Erkrankung mit massivem Leid verbunden und führt oft zu schwerwiegenden Einschränkungen im sozialen und beruflichen Leben. Psychische Erkrankungen zählen in Deutschland nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bösartigen Neubildungen und muskuloskelettalen Erkrankungen zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre.
Suche nach dem richtigen Behandler oft langwierig
Menschen mit psychischen Erkrankungen hätten zudem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um zehn Jahre verringerte Lebenserwartung, so die Fachgesellschaft. Eine frühe und wirksame Behandlung wäre also in jedem Fall wichtig. Die ist aber nicht immer einfach zu bekommen. So bekommt nur etwa jeder vierte mit schweren Depressionen eine leitliniengerechte Behandlung. Wie kommen Betroffene also an den richtigen Psychotherapeuten?
Verhaltenstherapie: Problemlösung durch alternative Denkweisen
Fünf Jahre sind vergangen, seit sich Toby zum ersten Mal Hilfe suchte. Dem damals 36-Jährigen ging es gar nicht gut. Er fühlte sich niedergeschlagen, traurig, depressiv. Eine Freundin gab den Anstoß, sich eine Therapie zu suchen.
"Ich war damals gar nicht so stark festgelegt auf eine der Therapieformen. Aber Verhaltenstherapie hab' ich schon mal gehört und dachte, das ist vielleicht das richtige, weil meine Ex-Freundin mir gesagt hat, das ist eher so ein bisschen leichtere Kost. Und nicht so Hardcore und damit kann man anfangen." Toby, Patient
Schlecht sei das nicht gewesen, sagt Toby im Rückblick. Aber ausreichend eben auch nicht.
"Ich hab' sehr viel über Psychologie gelernt und wie das menschliche Gehirn funktioniert oder auch mein eigenes, hab viele Sachen verstanden und akzeptieren gelernt. Aber so richtig glücklich hat’s mich, glaub ich nicht gemacht." Toby, Patient
Die unterschiedlichen Angebote
Toby ist seither bei einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin in Behandlung – hier geht es weniger darum, sein Verhalten und seine negative Gedanken zu verändern, als zu verstehen, was hinter seinen traurigen Gefühlen steckt.
Für Betroffene sei es nicht immer leicht, sich im Dschungel der Hilfsangebote zurecht zu finden, bestätigt Anja Wahl vom Psychotherapieinformationsdienst, kurz PID. Das könne schon mit der Verwirrung darum beginnen, wer der richtige Ansprechpartner ist: Ein Psychologe, ein Psychotherapeut oder ein Psychiater?
"Ein Psychiater ist immer ein Arzt, der sich das Fachgebiet die Psychiatrie vorgenommen hat, der kann Medikamente verordnen, krankschreiben. Im Fachgebiet der Psychiatrie ist gleichzeitig eine Psychotherapieausbildung mit drin." Anja Wahl, Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Beraterin beim Psychotherapie-Informationsdienst
Wer dagegen Psychologie studiert hat, ist damit nicht automatisch Therapeut, sondern muss erst noch eine Zusatzausbildung im Anschluss ans Studium absolvieren, um dann die Berufsbezeichnung psychologischer Psychotherapeut tragen zu können.
Medikamente kann solch ein psychologischer Psychotherapeut allerdings nicht verschreiben. Er bietet Psychotherapie, die er, mit gesetzlichen und privaten Krankenkassen abrechnen kann. Der Patient muss die Therapie also nicht selbst zahlen, wenn er eines der anerkannten Verfahren wählt: "Das sind die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte, eine psychoanalytische und seit Neuestem die systemische Psychotherapie", spezifiert Wahl.
Analytische Psychotherapie sucht nach den Wurzeln des Problems
Während eine Verhaltenstherapie konkret versucht, etwas am Verhalten des Patienten zu verändern – etwa in dem man versucht, eine Angst vor Hunden durch stufenweises Training abzubauen, geht es bei einer tiefenpsychologisch fundierten oder einer analytischen Psychotherapie eher darum, den Grund für die Angst herauszufinden. Eine systemische Familientherapie sieht den Hilfesuchenden eher als Symptomträger und versteht das Problem als Zusammenspiel verschiedener aus dem Gleichgewicht geratener Beziehungen.
Lange Wartezeit auf den Therapiebeginn
So breit die Auswahl zunächst klingt, in der Praxis hat der Patient oft nicht die Wahl, welches Therapieverfahren er beginnen will, sondern muss nehmen, was er bekommt.
"Wir haben gemessen am Aufkommen des Bedarfs zu wenig zugelassene Therapeuten. Wir haben kein Problem im privatärztlichen Bereich, also wir haben genug Psychotherapeuten für privatversicherte Patienten, wir haben auch genug ausgebildete Psychotherapeuten. Wir haben ein Problem, bei dem Nadelöhr, dass nicht genug Psychotherapeuten in die gesetzliche Versorgung reinkommen, weil das durch den Staat geregelt wird." Anja Wahl, Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Beraterin beim Psychotherapie-Informationsdienst
Terminservicestelle soll schnellere Vermittlung ermöglichen
In Bayern gebe es vor allem in ländlichen Regionen eine Unterversorgung, bestätigt der Präsident der Bayerischen Psychotherapeutenkammer, Dr. Nikolaus Melcop. Mitunter müssten die Hilfesuchenden längere Fahrtwege in Kauf nehmen. Laut Deutscher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, kurz DGPPN, warten Hilfesuchende im Schnitt fast 20 Wochen, bis sie eine Therapie beginnen können. Um sie schneller in Behandlung zu bringen, bietet die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern seit einigen Jahren neben einer Psychotherapeutensuche auch eine sogenannte Terminservicestelle, erklärt Nikolaus Melcop.
"Die bemüht sich, ein Erstgespräch zu vermitteln in einer Sprechstunde. Also alle Psychotherapeuten sind verpflichtet, Sprechstunden anzubieten, wo eine erste Abklärung stattfinden kann. Das ist in jedem Fall der erste Schritt, aber da ist natürlich so, dass ich dann nicht unbedingt bei der Wunschpsychotherapeutin oder dem Wunschpsychotherapeuten lande, sondern da geht es dann eher um eine raschere Vermittlung." Nikolaus Melcop, Präsident der Bayerischen Psychotherapeutenkammer
Krisendienst: Erste Hilfe für die Seele
Fünf Wochen dauert es im Schnitt, ein solches Erstgespräch zu bekommen. Handelt es sich um eine ganz akute Krise, kann man sich auch stationär in ein Bezirksklinikum einweisen lassen. Helfen kann in solch dringenden Notfällen auch der sogenannte Krisendienst, eine Art Seelen-Notarzt, wie Michaela Spiller vom bayerischen Bezirketag erklärt.
"Das ist wirklich erste Hilfe, das heißt, wenn ich ein körperliches Leiden habe, dann rufe ich auch den Notarzt oder den Rettungsdienst und in dem Fall ist das ja praktisch so ein Pendant für Menschen, die eine psychische Krise haben." Michaela Spiller, Pressesprecherin bayerischer Bezirketag
Therapeut und Patient müssen auch miteinander können
Anders als bei der Telefonseelsorge arbeiten beim Krisendienst Psychiatrie nur psychiatrisch ausgebildete Menschen, die dann in weitere Hilfsangebote vermitteln. Bislang gibt es den Krisendienst Psychiatrie nur in Oberbayern und Mittelfranken. Im Laufe des Jahres sollen die Telefonnummer und die damit verknüpften mobilen Einsatzteams bayernweit erreichbar sein.
Für Toby war es damals vor fünf Jahren nicht ganz so akut, aber doch dringend, eine Therapie zu beginnen. Er glaubt, viel wichtiger als das jeweilige Verfahren, ist, ob die Chemie stimmt zwischen Therapeut und Patient.
"Bei mir ist es eher so gelaufen, dass ich dahin gegangen bin, wo was frei war, weil ich unbedingt schnell etwas wollte, und in dem Fall war das einfach auch das richtige, ich brauchte einfach jemanden, mit dem ich ganz schnell reden konnte. Aber am besten ist es wahrscheinlich einfach, wenn man sich die Zeit nimmt, verschiedene durchzuprobieren." Toby, Patient
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