Forscher haben am 19. Juni 2020 im Fachblatt Science eine Studie veröffentlicht, wonach Menschen schon 600 Jahre vor Christus an Masern erkrankt sind, also viel früher als bisher angenommen. Bislang dachte man, das wäre im Mittelalter passiert, erst aus dieser Zeit sind Quellen bekannt, die von Maserninfektionen berichten.
Masernviren und Rinderpestviren sind eng verwandt
Das Masernvirus ist eng mit dem mittlerweile ausgerotteten Erreger der Rinderpest verwandt. Schon lange weiß man, dass der menschliche Erreger einst vom Tier auf den Menschen übergegangen ist. Bisher hatte man diesen Übergang aufs Mittelalter datiert. Die internationale Studie unter der Leitung von Ariane Düx vom Berliner Robert-Koch-Institut setzt das Ereignis zeitlich etwa 1.400 Jahre früher an.
"Bei unserer Studie kam heraus, dass sich die Rinderpest und die Masern-Viruslinie schon im sechsten Jahrhundert vor Christus getrennt haben. Frühere Studien haben ein Datum, was so ums Mittelalter war, gefunden. Unsere neue Schätzung basierte auf einem größeren Datenvolumen und einem komplexeren Rechenmodell." Ariane Düx, Veterinärmediznerin am Robert-Koch-Institut in Berlin
Lungenuntersuchungen zeigen die Entwicklung des Masernvirus
Masern machen nicht nur rote Flecken am ganzen Körper, sie können auch zu einer Lungenentzündung führen. Deshalb haben die Forscher Lungengewebe von an Masern verstorbenen Patienten untersucht. Außerdem konnten sie für ihre Studie eine Lunge mit heranziehen, die im Medizinhistorischen Museum in Berlin lagert. Diese Lunge stammt aus dem Jahr 1912. Vergleicht man die Genome der Masernviren in Lungen, die aus verschiedenen Zeiten stammen, lassen sich Unterschiede und Entwicklungen erkennen. Die Forscher haben so berechnet, wann Menschen zum ersten Mal mit Masernviren in Kontakt gekommen sein müssten.
"Man guckt quasi, wie stark unterscheiden sich zwei Genome, die zehn Jahre auseinander liegen. Und dann guckt man, wie viel haben Sie sich in der Zeit verändert und daraus extrapoliert man, wie lange es gedauert haben müsste, bis der gemeinsame Vorfahre von Masern und Rinderpest gelebt hat. Wenn man wie wir ein größeres Zeitfenster anguckt, also nicht nur zehn Jahre, sondern gleich 100 Jahre, dann ist diese Extrapolation natürlich noch genauer." Ariane Düx, Veterinärmediznerin am Robert-Koch-Institut in Berlin
Masern verbreiten sich in Städten
Von Masernausbrüchen weiß man, dass sich die Erkrankung nur ausbreiten kann, wenn viele Menschen eng zusammenleben. Beispielsweise gab es im Jahr 2013 in München 220 gemeldete Masernfälle - gegenüber nur sieben Fällen ein Jahr zuvor. In dünn besiedelten Gebieten entwickeln sich in der Regel keine Epidemien. Als in der Antike erste Städte entstanden sind, wurde es wahrscheinlicher, dass Viren durch direkten Kontakt oder Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch gewandert sind.
"Das Masernvirus braucht Bevölkerungen von weit über 100.000 Bewohnern. Und nach allem, was wir wissen, haben die Städte ab dem sechsten Jahrhundert vor Christus diese kritische Masse erreicht. Sie konnten so den Boden bieten für ein Virus, das sich dann rasant verbreitet." Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums in Berlin
Zoonosen: Manche Krankheiten stammen aus dem Tierreich
Beim neuartigen Coronavirus geht man davon aus, dass es von einem Lebendtiermarkt in Wuhan stammt und dort vom Tier auf den Menschen übergegangen ist. Ein solcher Übergang nennt sich Zoonose. Bekannte Zoonosen sind vor allem die Vogel- und Schweinegrippe. Aber auch SARS und MERS sind Lungenkrankheiten, die ursprünglich von Tieren stammen. Ebola ist in Westafrika von Fledermäusen auf den Menschen übertragen worden. HIV entstand aus Lentviren, die in einer Affenart in Afrika leben. Die Masern haben sich aus Rinderpestviren entwickelt. Letztere gelten nach einer weltweiten Impf- und Keulkampagne seit dem Jahr 2010 als ausgerottet.
Masernviren gelten laut WHO als globale Bedrohung
Die Masern gehören zu den meldepflichtigen, hoch ansteckenden Infektionskrankheiten, die - laut Statistik des Robert-Koch-Instituts - in einem von 1.000 Fällen in Deutschland zum Tod führt. Im Jahr 2019 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die Masern zur Bedrohung der globalen Gesundheit erklärt. Durch Impfungen konnte die Zahl der Erkrankungen stark reduziert werden: von 1980 bis 2013 um über 95 Prozent. Allerdings sind die Masern wieder auf dem Vormarsch, weil Menschen Impfungen verweigern. Außerdem verbreiten Migrationsbewegungen und Reisende das Virus über alle Kontinente.
In Deutschland herrscht seit dem 1. März 2020 eine Impfpflicht für Masern, wenn man eine Gemeinschaftseinrichtung wie einen Kindergarten besucht oder im Gesundheitswesen arbeitet.