Schimpansen können über Gesten miteinander kommunizieren – und das ziemlich variantenreich: Forschende des Taï-Schimpansen-Projektes haben vier Gesten gefunden, mit denen Schimpansenmännchen im Taï-Nationalpark, der im Südwesten der Elfenbeinküste liegt, ihren Wunsch nach Sex ausdrücken. Weil diese Gesten unterschiedlich häufig in vier Schimpansengruppen genutzt werden, ordnen die Forschenden sie verschiedenen Dialekten zu, ähnlich wie Menschen sie sprechen. Wie bei Menschen können diese Dialekte verschwinden und aussterben.
Vier Gesten für Wunsch nach Sex
Nicht nur Menschen kommunizieren miteinander mit Gesten, sondern auch unsere nächsten lebenden Verwandten. Die Schimpansenmännchen im nordöstlichen Teil des Taï-Nationalparks zeigen deutlich, wenn sie Sex mit einem Weibchen wünschen: Sie klopfen dann mit den Fingerknöcheln gegen einen Ast. Wenn sie Glück haben, ist ein Weibchen zur Paarung bereit.
Diese Geste haben Forschende des Taï-Schimpansen-Projekts bei vier benachbarten wilden Schimpansengruppen beobachtet. Für eine Studie haben sie die Schimpansen von 2013 bis 2024 jeweils über mehrere Wochen im Jahr begleitet. Vom Morgengrauen bis zu den Schlafenszeiten der Tiere zogen sie mit ihnen durch die Regenwälder. Der Taï-Nationalpark hat den letzten großen Regenwald Westafrikas.
Gefunden haben die Forschenden noch drei weitere Gesten, die denselben Wunsch nach Sex ausdrücken: an Ästen rütteln, Blätter zerreißen oder mit der Ferse auf einen harten Untergrund klopfen. Die Forscher sind jedoch der Meinung, dass diese Gesten darüber hinaus von noch größerer Bedeutung für die Schimpansen sind.
Schimpansen gestikulieren in Dialekten
Weil unterschiedliche Gesten auch unterschiedlich häufig in den vier Schimpansengruppen benutzt werden, sprechen die Forschenden von Dialekten. Roman Wittig, Primatologe vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, erklärt: "In der Nordgruppe werden andere Signale verwendet als in der Nachbargruppe im Süden. Daraus kann man schließen, dass es sich tatsächlich um Dialekte handelt". Ganz ähnlich also wie in der menschlichen Gesellschaft, in der benachbarte Gemeinschaften dieselben Inhalte mit unterschiedlichen sprachlichen Äußerungen ausdrücken.
Dialekte sind ein kulturelles Verhalten, das in der Gemeinschaft nur überleben kann, wenn es kontinuierlich weitergegeben wird. Sonst kann es verloren gehen – nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Schimpansen. Genau das ist in der nördlichen Schimpansengruppe, einer der vier Gemeinschaften, geschehen.
Kulturverlust durch Wilderer: Eine Geste stirbt aus
Für das Taï-Schimpansen-Projekt werden schon seit 45 Jahren Daten gesammelt. Mit diesen Langzeitdaten konnten die Forschenden die Entwicklung der Dialekte in den Schimpansengruppen genau verfolgen. In der nördlichen Gruppe klopften die Tiere mit den Fingerknöcheln, um ihren sexuellen Wunsch zu äußern. Aber das machten sie nur bis zum Jahr 2004, denn dann wurde ihr Lebensraum dezimiert. Zusätzlich jagten Wilderer die Tiere. 2008 wurde das letzte Männchen der Gruppe getötet. Das hatte zur Folge: "Die Männchen der nördlichen Gruppe haben seit 20 Jahren kein Knöchelklopfen mehr ausgeführt", sagt Liran Samuni vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen.
Die Vermutung der Forscher lautet: Die Geste für den Sexwunsch konnte nicht mehr weitergegeben werden, weil es die männlichen Vorbilder nicht mehr gab. Auch der Wettbewerb, der normalerweise zwischen erwachsenen Männchen um die Weibchen abläuft, lag brach und könnte ein Grund für das Aussterben der Sex-Geste sein.
Auch wenn heute wieder Männchen in der nördlichen Gruppe leben: Die Sex-Geste machen sie nicht. Dieses Dialekt-Signal ist ausgestorben und damit haben die Schimpansen einen Teil ihrer Kultur verloren. Roman Wittig: “Diese Entdeckung belegt, dass illegale menschliche Aktivitäten das kulturelle Verhalten von Schimpansen verändert haben.“ Die Forschenden plädieren dafür, die Bedeutung der Schimpansenkultur in die Naturschutzstrategie zu integrieren, um sie zu erhalten.
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