Dexamethason ("Kortison") wird eingesetzt wird, um bei einem schweren Covid-19-Verlauf die Entzündung zum Abklingen zu bringen.
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Dexamethason ("Kortison") wird eingesetzt wird, um bei einem schweren Covid-19-Verlauf die Entzündung zum Abklingen zu bringen.

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Nein, Medikamente machen die Impfung nicht überflüssig

Nein, Medikamente machen die Impfung nicht überflüssig

Immer wieder liest man von neuen, vielversprechenden Therapien gegen Covid-19. Im Internet verbreitet sich deshalb das Gerücht, die Impfung sei bald unnötig. Experten widersprechen. Ein #Faktenfuchs.

Je länger die Pandemie andauert, desto mehr wächst die Hoffnung, dass es bald effektive Therapien gibt, mit denen sich Covid-19 behandeln lässt. Einige Menschen ziehen aus dieser Hoffnung auch Rückschlüsse auf die Impfung. Gleich mehrere Leser leiten dem #Faktenfuchs eine E-Mail weiter, die in eher sperrigem Deutsch Medikamente als Argument gegen die Impfung anführt. Darin heißt es:

"AN ALLE ZU VERTEILEN, die nicht „geimpft“ werden wollen. Alle Impfstoffe werden ab dem 20.10.2021 nicht mehr gerechtfertigt: (…) Die Europäische Union hat 5 Therapien zugelassen, die in allen Krankenhäusern der Mitgliedstaaten zur Behandlung von Covid verfügbar sein werden."(Auszug aus einer Mail an den BR24 #Faktenfuchs)

Doch stimmt das? Hat die EU tatsächlich fünf Medikamente zugelassen? Und macht das die Impfung überflüssig? Der #Faktenfuchs hat zwei Experten dazu befragt.

Gute Strategie braucht beides – Impfstoff und Medikamente

Die Virologin Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München, ist sich sicher: Um das Sars-CoV-2-Virus erfolgreich zu bekämpfen, ist beides sinnvoll: "Man braucht eine gute medikamentöse Behandlung, und man braucht einen Impfstoff." Wirksame und sichere Impfstoffe gegen Covid-19 gebe es inzwischen, so Protzer. "Medikamente, die gut funktionieren, haben wir bisher leider nicht."

Das bestätigt der Infektiologe Christoph Spinner, Oberarzt am Klinikum Rechts der Isar in München:

"Arzneimittelforschung ist nach wie vor extrem wichtig, auch deshalb, weil wir bislang nur wenige wirksame Arzneimittel zur Verfügung haben und alle leider sich dadurch auszeichnen, dass sie eben nur einen geringen oder zumindest beschränkten Beitrag zur Reduktion der Sterblichkeit oder zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Fortschreitens der Covid-19-Erkrankung beitragen." (Christoph Spinner, Infektiologe)

Mehr Details zum aktuellen Stand der Forschung zu Corona-Medikamenten haben BR-Kollegen hier zusammengetragen.

Die Medikamentenforschung stehe bei Covid-19 vor einem grundsätzlichen Problem, erklärt Ulrike Protzer: Medikamente könnten erst dann wirken, wenn das Virus schon im Körper ist. "Und dann bräuchte ich erst mal ein Medikament, was effektiv die Vermehrung meines Virus verhindert." Das gebe es für HIV, für das Heptatitis-B-Virus, auch für Herpesviren. "Aber das gibt es eben nicht für das neuartige Coronavirus."

Die fünf genannten Medikamente sind bisher nicht in der EU zugelassen

Doch was ist mit den fünf in der Mail erwähnten Medikamenten, die angeblich bereits von der EU zugelassen sind? Auf Anfrage des #Faktenfuchs teilt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) mit: Es gebe bisher nur ein einziges Medikament gegen Covid-19, das in der EU zugelassen sei. Eben dieses wird allerdings in der Mail gar nicht erwähnt. Das antivirale Medikament Remdesevir hat schon im vergangenen Juni eine bedingte Zulassung für Covid-19 von der EMA erhalten: Damit dürfen Corona-Patienten ab 12 Jahren behandelt werden, die an einer leichten Lungenentzündung leiden und bei denen eine zusätzliche Gabe von Sauerstoff, aber noch keine invasive Beatmung erforderlich ist.

Grafik: Corona-Therapien im EMA-Zulassungsverfahren

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Die Grafik zeigt, welche Therapien sich derzeit im Zulassungsverfahren befinden oder schon von der EMA zugelassen sind.

Die fünf erwähnten Medikamente hingegen sind allesamt noch nicht in der EU zugelassen. Sie werden allerdings derzeit geprüft und einige haben gute Chancen, noch im Oktober zugelassen zu werden.

Vier von ihnen befinden sich derzeit im "Rolling-Review-Verfahren". Das bedeutet, dass der Humanarzneimittelausschuss (CHMP) der EMA klinische Studiendaten auswertet, sobald diese verfügbar sind, statt sie gesammelt zu bewerten. So lässt sich in der Pandemie Zeit sparen. Wenn der Ausschuss entscheidet, dass ausreichend Daten vorliegen, kann der Hersteller die Zulassung für den EU-Markt beantragen.

Für ein weiteres Medikament, das Immunsuppressivum Baricitinib, wurde bereits ein Antrag auf Zulassung gestellt. Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere Medikamente, die in der Mail zwar nicht erwähnt werden, bei denen die Hersteller aber bereits die EU-Zulassung beantragt haben – wie die Grafik oben zeigt.

Dass es bereits fünf zugelassene Covid-19-Medikamente gibt, ist also falsch. Allerdings: Manche Medikamente werden in Deutschland auch ohne EMA-Zulassung bereits zur Behandlung von Covid-19-Patienten eingesetzt. Vor allem sind das die monoklonalen Antikörperkombinationen Bamlanivimab/Etesevimab und Casirivimab/Imdevimab.

Das ist möglich, weil Deutschland im Rahmen der Pandemie Ausnahmen vom allgemeinen EMA-Zulassungsverfahren erlaubt. Die sperrig betitelte "Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung" (MedBVSV) sieht vor, dass "dringend in der SARS-CoV-2-Epidemie benötigte Arzneimittel" vom Bundesgesundheitsministerium beschafft und eingesetzt werden können, auch wenn sie noch nicht von der EMA zugelassen sind.

Die oberste deutsche Arzneimittelbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut, ist in solchen Fällen dafür zuständig, die Qualität des Produktes zu beurteilen und eine Nutzen-Risiko-Abwägung zu treffen.

Welche Covid-19-Therapien gibt es und wie vielversprechend sind sie?

Es gibt also bereits Medikamente, mit denen Covid-19-Patienten behandelt werden. Um zu verstehen, warum sie keine wirkliche Alternative zur Impfung sind, muss man etwas tiefer einsteigen. Wichtig ist: Es gibt kein pauschales Corona-Allheilmittel. Was es gibt, sind Medikamente, die in einer bestimmten Phase der Erkrankung den Verlauf mildern können. Gegenüber der Impfung haben jedoch alle Medikamente zwei große Nachteile:

  1. Sie setzen zu spät an. Nämlich erst dann, wenn eine Infektion erkannt und mit einem Corona-Test bestätigt ist. Das ist meist erst einige Tage nach der Ansteckung. Wenn der Körper hingegen bereits durch eine Impfung "trainiert" ist, kann das Immunsystem das Virus sofort bekämpfen, wenn es in den Körper eindringt. Ein schwerer Verlauf wird dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert.
  2. Anders als Impfstoffe tragen Medikamente nicht dazu bei, andere Menschen vor dem Virus zu schützen. Zwar können auch Geimpfte andere Menschen anstecken, insbesondere seit sich die Delta-Variante des Coronavirus ausbreitet, das Risiko einer Virusübertragung ist aber stark vermindert, schreibt das RKI.

Der folgende Überblick zeigt, welche Therapien gegen Covid-19 in welcher Phase der Erkrankung zur Anwendung kommen. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass die Phasen nicht immer klar voneinander zu trennen sind und einige Medikamente in mehreren Phasen hilfreich sein können. Andere wiederum könnten in anderen Krankheitsphasen sogar schädlich sein

Phase 1: die Frühphase der Infektion

Unmittelbar nach der Ansteckung folgt "eine Phase, wo dieses Virus sich sehr, sehr stark vermehrt", erklärt die Virologin Ulrike Protzer. Es ist die Phase kurz bevor und direkt nachdem die Symptome einsetzen. In dieser Zeit ist der Infizierte besonders ansteckend.

In dieser Phase gibt es zwei denkbare Therapieansätze, die erforscht werden:

Sogenannte "monoklonale Antikörper" (MAK). Monoklonale Antikörper sind "im Labor hergestellte Abwehrstoffe, die (…) Menschen, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind, früh verabreicht werden können, um das Fortschreiten der Erkrankung bis hin zu Corona zu verhindern", erklärt der Infektiologe Spinner von Klinikum Rechts der Isar in München.

MAK-Therapien können auch verschiedene Antikörper kombinieren. Als "passive Impfung" werden die monoklonalen Antikörper auch deshalb bezeichnet, weil sie – anders als die "aktiven" Impfstoffe – dem Körper nicht beibringen, selbst schützende Antikörper herzustellen, sondern ihm passiv eine bestimmte Menge Antikörper zuführen. Meist geschieht dies durch eine Infusion, die im Krankenhaus verabreicht werden muss. Die Antikörper aus dem Labor binden entweder an die Spikeproteine des Sars-CoV-2-Virus oder blockieren Rezeptoren bestimmter menschlicher Zellen und verhindern dadurch, dass das Virus in die Zellen eindringt, wie das Paul-Ehrlich-Institut ausführt.

Den Antikörper-Therapien wird zwar von Wissenschaftlern in Studien insgesamt eine gute Wirksamkeit zugesprochen - in der Praxis ergäben sich aber gewisse Probleme, erklärt Ulrike Protzer. Von der Infektion bis SARS-CoV-2 diagnostiziert wird, vergingen meist mehrere Tage. Um die Virusausbreitung noch eindämmen zu können, müsse das Medikament aber möglichst früh ansetzen. Die Antikörper-Therapie komme daher fast immer zu spät. Und:

"Wenn mein Körper selber die Antikörper bildet (wie nach einer Impfung, Anm. d. Red.), dann bin ich ja ständig geschützt. Wenn ich die Antikörper erstmal zuführen muss, über eine Infusion (..., dann ist das natürlich ziemlich ineffizient und ist einfach sehr, sehr teuer und wirkt eben auch nur bedingt." (Ulrike Protzer, Virologin)

Aus all diesen Gründen kommen die künstlich hergestellten Antikörper bisher nur selten zur Anwendung - bei Patienten, die nur leichte Corona-Symptome zeigen, andererseits aber ein Risiko für einen schweren Verlauf haben (z. B. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems), wie es auf einer Informationsseite des Gesundheitsministeriums heißt.

Eine zweite Option sind antivirale Medikamente, die das Virus direkt angreifen und es davon abhalten sollen sich zu vermehren. Diese hätten sich bei anderen Viruserkrankungen als sehr wirksam erwiesen, sagt Ulrike Protzer. Doch ein antivirales Medikament, das auf das Sars-Cov-2-Virus anspringt, habe man bisher nicht gefunden.

"Das einzige, was es gibt, ist Remdesivir", sagt Protzer (siehe Grafik oben). Das ist zwar in der EU zur Behandlung von Covid-19 zugelassen, inzwischen habe sich aber gezeigt, dass Remdesivir "nur einen minimalen Effekt auf die Liegedauer im Krankenhaus hat", sagt Protzer. "Ansonsten ist gar kein Effekt nachweisbar."

Phase 2: das Überschießen des Immunsystems bei einem schweren Verlauf

Etwa fünf, sechs Tage nach der Infektion beginnt eine zweite Phase, in der das Virus sich nicht mehr so schnell vermehrt und der Körper stattdessen mit den Folgen des Virus kämpft. Bei einem schweren Verlauf geht es in dieser Phase vor allem darum, die Entzündung zu bekämpfen, die das Virus im Körper auslöst, erklärt Protzer. Bei besonders schweren Verläufen komme es oft zu einem Überschießen des Immunsystems: Der Körper bekämpft sich selbst.

"Und da nimmt man, altbewährt, Kortison, das schlicht und einfach die Entzündungsreaktion im Körper runterdrückt", erklärt Ulrike Protzer. Häufig kommt Dexamethason zum Einsatz. Nur: Damit setze man natürlich auch das Immunsystem außer Kraft, das eigentlich gebraucht wird, um das Virus loszuwerden. "Da habe ich also ein zweischneidiges Schwert, was ich dann anwende, um die Folgen zu verhindern."

Gegen eine solche Überreaktion des Immunsystems richten sich daher die drei Medikamente Baricitinib, Anakinra und Tecilizumab, die bereits bei anderen Krankheiten zum Einsatz kommen. Die Hersteller haben nun beantragt, dass die EU sie auch für die Behandlung von Covid-19 zulässt (siehe Grafik oben). Ärzte können die Medikamente im Moment bereits im Rahmen eines sogenannten "Off-Label-Use", also einer nicht explizit vorgesehenen Verwendung in der Behandlung von Covid-19 einsetzen. Außerdem können Ärzte die Arzneimittel nach einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung im Rahmen ihrer Therapiefreiheit bei bestimmten Personen anwenden.

Und was ist mit Ivermectin?

Ein potentielles Heilmittel, das auch medial viel diskutiert wird, ist Ivermectin. Auch in der eingangs erwähnten Mail an den #Faktenfuchs finden sich Behauptungen dazu. Es sei "inzwischen von Forschern (...) als wirksames Medikament, in der Prophylaxe und zur Behandlung von Covid-19 wissenschaftlich anerkannt", heißt es da. Und: "Jetzt, da Ivermectin wieder zugelassen ist, besteht keine Notwendigkeit für einen Impfstoff."

Auch diese Behauptung ist falsch. Ivermectin ist bisher nicht von der EMA zugelassen. Im Gegenteil: Im März dieses Jahres warnte die EU-Arzneimittelbehörde sogar explizit davor, Ivermectin "außerhalb klinischer Studien" gegen Covid-19 einzusetzen.

In Deutschland haben Forscher der Universität Würzburg kürzlich im Rahmen des "Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu Covid-19" in einem systematischen Review untersucht, ob Ivermectin tatsächlich gegen Covid-19 hilft. Unterstützt wurden sie dabei von der Cochrane Infectious Disease Group – einem Netzwerk, das medizinisches Wissen regelmäßig auf den Prüfstand stellt.

Das Ergebnis, das die Universität auf ihrer Webseite präsentiert, ist ernüchternd:

"Der jetzt veröffentlichte Cochrane Review fand keine Hinweise darauf, dass Ivermectin den Zustand von Erkrankten verbessert oder die Zahl der Todesfälle reduziert – verglichen mit einer Standardbehandlung oder einem Scheinmedikament (Placebo). Auch eine SARS-CoV-2-Infektion verhindern kann das Medikament nach den aktuell vorliegen Erkenntnissen nicht." (Forscher der Universität Würzburg)

Allerdings sei die Beweislage dürftig und erlaube keine endgültigen Aussagen. Die Virologin Ulrike Protzer spricht sich deshalb dafür aus, dass die Wissenslücke möglichst bald geschlossen wird. "So eine Studie sollte man sicherlich mal wirklich sauber aufsetzen, damit man diese Diskussion hier aus der Welt schaffen kann."

Fazit: Die Behauptung, dass es bereits fünf zugelassene Medikamente gegen Covid-19 gibt und eine Impfung damit nicht mehr "gerechtfertigt" ist, bewerten Experten als falsch. Bisher ist nur ein einziges Medikament gegen Covid-19 von der europäischen Arzneimittel-Zulassungsbehörde EMA zugelassen (Remdesivir) und auch das nur für bestimmte Patientengruppen und mit mäßigem Erfolg.

Drei weitere Medikamente haben eine Zulassung bereits beantragt, vier monoklonale Antikörper-Therapien sind derzeit im Rolling-Review-Verfahren. Zudem gibt es weitere Therapieoptionen, die in bestimmten Stadien der Erkrankung gewisse Erfolge erzielen können. Gerade die monoklonalen Antikörpertherapien haben aber einen großen Nachteil gegenüber den Corona-Impfstoffen: Sie setzen meist zu spät an - nämlich erst dann, wenn die Infektion erkannt wird. Doch wenn die ersten Symptome auftreten, hat das Virus sich schon im Körper vermehrt. Das bedeutet: Es besteht eine größere Gefahr, andere Menschen zu infizieren und die Krankheit konnte womöglich im Körper schon Schaden anrichten.

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