Lange hat man angenommen, dass es weniger die Kälte selbst ist, die zu verstärkter Infektanfälligkeit führt, als vielmehr die Tatsache, dass wir uns im Winter häufiger in Innenräumen aufhalten und mit viel mehr Menschen auf engstem Raum Kontakt haben. Ein Eldorado für Viren, die so ein leichtes Spiel haben. Aerosole in der Luft oder Kontakt mit kontaminierten Haltestangen im Bus, Türklinken, Tastaturen oder Telefonhörern ermöglichen eine schnelle Verbreitung der Viren. Danach ein beherzter Griff an die Nase oder ein Augenwischen und schon haben die Viren einen neuen Wirt. Denn durch die Schleimhäute an Augen, Nase und Mund können Keime in den Körper gelangen.
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Neuer Ansatz: Kälte schwächt das Immunsystem
Eine neue Studie, die am 6. Dezember 2022 im Journal of Allergy and Clinical Immunology veröffentlicht wurde, verfolgt einen neuen Ansatz: Sie zeigt einen Mechanismus auf, wie Kälte die Anfälligkeit für Infekte beeinflussen könnte. Das widerspricht den bisherigen Annahmen.
"Jahrzehntelang haben wir immer geglaubt, es liege nur an der Ansteckung, also an der Zusammenballung von Menschen in engen Räumen, dass wir im Winter häufiger krank werden. Jetzt eröffnet sich durch diese Arbeit eine neue Perspektive und es verdichten sich die Anhaltspunkte, dass die Temperatur direkt unser Immunsystem beeinflusst und zwar: (…) Je kälter es draußen ist, desto schwächer ist unser Immunsystem in der Nase." Dr. Rainer Jund, Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Puchheim.
Wie dieser neu entdeckte Mechanismus funktioniert, erklärt Rainer Jund: Die Schleimhaut in der Nase besteht aus einem kompliziert aufgebauten Schleimfilm. Darunter befinden sich die Schleimhautzellen. "Was man jetzt weiß, ist, dass diese Nasenschleimhautzellen gar nicht so wehrlos sind", erklärt Jaud. "Sie sind in der Lage, bei Kontakt mit Viren oder Krankheitserregern kleine Bläschen auszustoßen, die sogenannten Vesikel. Und diese kleinen Bläschen enthalten in ihrem Inneren chemische Waffen und Anlocksignale für andere Partner des Immunsystems. Das Ausstoßen dieser Bläschen ist kälteabhängig. Und das ist der interessante Aspekt bei dieser Untersuchung gewesen."
Biologische Ursache für Schwankungen bei Infektanfälligkeit
Nach Ansicht des Mitautors der Studie, Benjamin Bleier, Direktor der Abteilung für translationale Forschung in der HNO-Heilkunde am "Massachusetts Eye and Ear" in Boston, weisen die Ergebnisse der Untersuchung auf eine biologische Ursache für die saisonalen Schwankungen bei Virusinfektionen der oberen Atemwege hin.
Ablauf der Studie: Experimente mit Nasenzellen
Die Forscher führten Experimente mit Nasenzellen gesunder Menschen durch und maßen deren Reaktion auf drei Erkältungsviren in vitro - also außerhalb des Körpers. Diese Zellen befinden sich normalerweise beim Menschen in der Nähe der Nasenvorderseite und werden daher unmittelbar mit eindringenden Viren konfrontiert. Die Zellen lösen bei Kontakt mit Viren einen "Schwarm" von extrazellulären Vesikeln (EVs) aus.
Bei "normalen" Nasentemperaturen war die Oberfläche dieser Vesikel mit Rezeptoren beschichtet, die die in der Studie getesteten Viren normalerweise nutzen, um an die Nasenzellen zu binden und in sie einzudringen. Die Oberflächen der EVs brachten 20-mal so viele virale Rezeptoren ins Spiel wie die Zellmembranen. Damit konnten die Vesikel sehr erfolgreich die Viren ködern und abfangen. Die Studie ergab auch, dass die EVs mit der microRNA miR-17 beladen waren, die die getesteten Viren neutralisierte, indem sie ihre Vermehrung blockierte.
Bei Kälte ist die Immunabwehr der Nase reduziert
Wurde die Temperatur der Zellen jedoch um fünf Grad Celsius gesenkt - was dem Temperaturabfall in der Nase entspricht, wenn Menschen sehr kalten Temperaturen ausgesetzt sind - sank die Zahl der extrazellulären Vesikel, die von den Gewebeproben freigesetzt wurden, um 42 Prozent. Diese EVs hatten auch weniger Oberflächenrezeptoren.
Das heißt, dass sich die Viren weniger wahrscheinlich an sie andocken würden. Außerdem enthielten sie auch weniger miR-17. Insgesamt wurde das nasale Immunsystem bei Kälte so auf dreifache Weise gehemmt. Da die Studie in vitro - also außerhalb des Menschen - durchgeführt wurde, geben Kritiker wie Zara Patel von der Stanford University School of Medicine aber zu bedenken, ob die Ergebnisse auch direkt im Menschen (in vivo) reproduziert werden können.
- Zum Artikel: "'Zieh' dich warm an': Ist an Erkältungsmythen etwas dran?"
Ergebnisse für weitere Forschungsarbeiten nutzen
Diese Studienergebnisse zu den antiviralen Abwehrmechanismen der Nase könnten der Grundstein für weitere Forschungen sein. Mansoor Amija, Pharmawissenschaftler und Chemieingenieur an der Northeastern University in Boston und Mitautor der Studie, schlägt vor, die Erkenntnisse zu nutzen und zum Beispiel künstliche Versionen der extrazellulären Vesikel zu bauen, um die Virusübertragung zu hemmen und unser Immunsystem zu unterstützen.
"Man muss sich nur einmal bewusstmachen, welche Arbeit unser Immunsystem in der Schleimhaut der Nase jeden Tag leistet", sagt Rainer Jund. Am Tag würden Hunderte Millionen Viren auf uns einprasseln. Das Immunsystem vollbringe eine Höchstleistung. "Das vollzieht sich häufig in den Schleimhäuten, im Atem- und Verdauungstrakt. Immerhin ist die Fläche dieser Schleimhäute so groß wie ein Tennisplatz", erklärt der Mediziner. Damit werde schnell klar, "wie wichtig und gleichzeitig kompliziert es ist, dass es hier Barrieren gibt, damit keine Krankheitserreger eindringen können."
Masketragen hält die Nase "warm"
Die Erkenntnisse der Studie sind ein Anreiz mehr, weiterhin Maske zu tragen. Nicht nur reduziert sie den Kontakt mit Viren, sondern sie hält auch die Nasentemperatur bei Kälte warm - und damit die Abwehrmechanismen: "Je wärmer die intranasale Umgebung ist, desto besser kann dieser angeborene Immunabwehrmechanismus funktionieren", erklärt Zara Patel.
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