4.000 Birkenpollen pro Kubikmeter Luft hat das Elektronische Pollen-Informationsnetzwerk des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Anfang April mancherorts gemessen, mit Spitzenwerten noch weit darüber. Doch bereits ab 50 Pollen pro Kubikmeter Luft spricht man von einer starken Belastung. Dabei muss die blühende Birke noch nicht einmal in Ihrer Nähe sein, um Heuschnupfen auszulösen: Birkenpollen fliegen bis zu 1.500 Kilometer weit.
Birkenpollen könnten noch wochenlang Allergiker quälen
Bei sonnigem, warmen Wetter könnte die Pollenbelastung noch einmal auf Rekordwerte steigen. Und der Birkenpollenflug könnte noch einige Tage, wenn nicht gar Wochen so weiter gehen, meint der Pollenexperte Professor Carsten Schmidt-Weber vom Zentrum Allergie und Umwelt in München (ZAUM) in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Gegen Birkenpollen reagieren besonders viele Menschen allergisch. Und es muss noch nicht einmal eine Birkenpollen-Allergie sein: Auch Kreuzallergiker sollten bei so hohen Werten achtsam sein - etwa bei Allergie auf Kernobst wie Äpfel. Anti-Hystaminika-Tabletten oder Kortison-Sprays können helfen, die sollten Sie möglichst immer dabei haben, rät Schmidt-Weber.
- Hintergrund: Was Sie gegen Heuschnupfen tun können.
Pollen fliegen in diesem Jahr viel früher
Die Pollensaison begann in diesem Jahr schon im Februar mit der Blüte von Hasel und Erle. Es sind zwei klassische Frühblüher, doch das früh wird zugleich immer früher: "Der Februar ist wärmer als ein durchschnittlicher März bisher. Und da reagiert die Natur natürlich stark", sagt Matthias Werchan von der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID).
Und auch die Belastung mit Birkenpollen ist in diesem Jahr etwa viermal so hoch wie 2023 zur gleichen Zeit.
Im Video: Pollenflug-Saison beginnt immer früher
Heuschnupfen kann fast das ganze Jahr auftreten
Niesen, juckende Haut, tränende Augen und laufende Nase: Für viele Pollen-Allergiker ist es nicht ungewöhnlich, dass ihre Leidenszeit inzwischen bereits im Januar oder Februar beginnt. In manchen Jahren beschert uns schon die Weihnachtszeit eine erste Pollenbelastung - je nach Wetterlage.
Auf die Winterzeit als Verschnaufpause für Allergiker ist jedenfalls kein Verlass mehr. Inzwischen ist für manche Allergiker das ganze Jahr Saison: "Allergiker haben im Prinzip das ganze Jahr Symptome. [...] Sie leiden länger und sie leiden mehr, weil mehr Pollen pro Tag fliegen", sagte Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin der Umweltmedizin am Uniklinikum Augsburg. Die letzten Pollen im Herbst sind noch nicht ganz verschwunden, da tauchen die ersten der neuen Saison schon wieder auf.
Pollenflugzeit verlängert sich
Die verlängerte Pollenflugzeit beeinflusst das Auftreten, die Häufigkeit und Schwere allergischer Erkrankungen. Schuld daran ist der Klimawandel: "Experten vermuten, dass die Pollenbelastung wegen des weltweiten Temperaturanstiegs innerhalb der letzten 25 bis 30 Jahre immer früher auftritt. Überaus milde Vorfrühlingstemperaturen und ungewöhnliche warme Winter sorgen für einen fast ganzjährigen Pollenflug", schreibt auch der Deutsche Allergie- und Asthmabund auf seiner Webseite.
Diese Entwicklung ist vor allem für schwere Asthmatiker und für ältere Menschen ein Problem: "Aber gerade auch unsere Kinder leiden natürlich wahnsinnig darunter", sagt Traidl-Hoffmann. Wer ständig niesen muss oder sich erschöpft fühlt, kann sich auch in der Schule schlechter konzentrieren.
Wie wird die Pollenbelastung 2024?
Eine Vorhersage auf das Pollenjahr 2024 ist nicht seriös zu treffen, denn dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: "Für starken Pollenflug braucht es [...] auch geeignete Pollenflugbedingungen während der Blütezeit. Da eine gesicherte Wetterprognose über einen so langen Zeitraum hinweg kaum möglich ist, lässt sich aus jetziger Sicht noch keine Prognose zum Pollenflug in mehreren Wochen oder gar Monaten abgeben", schreibt das PID.
Pollen werden aggressiver
Aufgrund der Klimaveränderungen fliegen die Pollen nicht nur früher (und länger), sondern sie sind auch zahlreicher. Zudem potenziert die Luftverschmutzung die Wirkung der Pollen, sodass sie mehr Allergene freisetzen. Gerade in den Städten produzieren Pflanzen bei einer hohen Schadstoffkonzentration mehr Pollen.
Das ist eine Stressreaktion und Überlebensstrategie der Pflanze, die mit dem Pollenflug die Fortpflanzung sichern will: "Die Pollensaison beginnt eher, sie dauert länger, sie wird intensiver, weil wir nämlich mit höheren CO2-Konzentrationen in der Luft auch mehr Blüten haben - und damit auch mehr Pollen in der Luft. Und die Pollen an sich werden allergischer, weil sie nämlich in der Kombination mit den Luftschadstoffen aggressiver wirken auf den Menschen", fasst Prof. Annette Menzel, Ökoklimatologin an der TU München, die Problematik zusammen.
Zu einer weiteren Belastung werden neue Pflanzen und ihre Pollen, die sich durch den Klimawandel inzwischen auch in Deutschland heimisch fühlen.
Ambrosia – Gefahr für die Gesundheit
Ein besonderer Schrecken für Allergiker ist die Ambrosia-Pflanze, die von Ende Juli bis Oktober blüht. Ambrosia-Pollen sind besonders aggressiv und reizen damit nicht nur Allergiker. Die Allergene der Ambrosia-Pflanze sind viel stärker als die anderer Pflanzen in Europa. Schon bis zu drei Pollen pro Kubikmeter Luft reichen, damit sehr empfindliche Menschen reagieren, ab zehn Pollen kommt es bei vielen Ambrosia-sensibilisierten Betroffenen zu Allergiesymptomen.
Bei Birken- oder Gräserpollen spricht man erst bei mehr als 50 Pollen pro Kubikmeter Luft von einer starken Belastung, so das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Der Kontakt mit der Pflanze kann zu Asthma oder Kreuzallergien mit Bananen und Melonen führen.
Informationen über Pollenflugkalender
Allergiker sollten sich immer informieren, wie die Pollenbelastung für "ihre" Pollen gerade ist, wenn sie etwas vorhaben - besonders im Freien. So können sie ihre Unternehmungen und ihre Medikamenteneinnahme besser planen und anpassen. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hat eine Seite eingerichtet, die den aktuellen Pollenflug in 3-Stunden-Intervallen für ganz Bayern zeigt. An acht Standorten in Bayern wird die Pollenbelastung gemessen.
Der Service ePIN - Pollenflug Bayern wird auch als App angeboten. Die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID) bietet ebenfalls aktuelle Informationen und wöchentliche Prognosen zum Pollenflug - ebenso wie der Pollenflugkalender des Deutschen Wetterdienstes.
Volkskrankheit "Heuschnupfen"
Allergien zählen nach Angaben von Torsten Zuberbier von der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (Ecarf) weltweit zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. In Deutschland leiden über zehn Millionen Erwachsene sowie rund 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche an einer Pollenallergie, so die PID.
Das Robert Koch-Institut (RKI) erhob 2008 bis 2011 Daten aus einer Befragung und spricht von rund 15 Prozent. Bei Heuschnupfen sind die oberen Atemwege betroffen. Knapp neun Prozent der Deutschen leiden an Asthma bronchiale. Dabei ist die Lunge in Mitleidenschaft gezogen und die Betroffenen haben zum Beispiel Anfälle von Atemnot. Laut RKI haben allergische Erkrankungen seit den 1970er-Jahren in Ländern mit westlichem Lebensstil stark zugenommen. "Die größte Allergiegesellschaft der Welt, die Europäische Akademie für Allergologie und klinische Immunologie, erwartet, dass im Jahr 2050 die Hälfte der Europäer allergisch ist", sagte Traidl-Hoffmann.
Dabei ist die "Volkskrankheit Heuschnupfen" nicht nur ein individuelles Problem, sondern hat auch Auswirkungen auf die Gesellschaft: Allein durch die Folgen von Heuschnupfen entstünden bundesweit jährliche Fehlzeiten von einer Million Arbeitstagen. Jede zehnte Krankschreibung in Deutschland ließe sich auf eine Allergie zurückführen, so die PID.
Heuschnupfen immer behandeln
Grundsätzlich gilt: Nehmen Sie allergische Reaktionen ernst. Auch wenn anfangs "nur" die Augen jucken und Sie öfter niesen müssen - gehen Sie zum Arzt! Denn was mit einigen lästigen Symptomen beginnt, kann sich zu einem allergischen Asthma auswachsen. Der Arzt kann feststellen, auf welche Pollen Sie allergisch reagieren - zum Beispiel mit einem sogenannten Pricktest. Das hilft Ihnen dann auch, gerade diese nach Möglichkeit zu vermeiden.
Pollen-Allergiker können ihre Situation auch durch ein paar lokale Maßnahmen verbessern. Nasensprays oder Augentropfen aus der Apotheke können die lästigen Symptome lindern. Daneben gibt es auch Medikamente gegen Heuschnupfen - sogenannte Antihistaminika. Sie helfen, die schlimmsten Symptome zu lindern. An der Ursache setzt eine Immuntherapie etwa mit Spritzen oder Tabletten (Hyposensibilisierung) an. Allergiker sollten die Hyposensibilisierung aber beginnen, bevor die jährlichen Allergiebeschwerden einsetzen.
Im Video: Heuschnupfen - Wird das Frühjahrsleiden langsam zur Ganzjahres-Allergie?
Im Video: Das hilft gegen Heuschnupfen-Symptome
Dieser Artikel ist erstmals am 4. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.
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Mit Material der dpa.
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