Watergate, Chemtrails, QAnon:  Der Verschwörungstheorie-Check
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Watergate, Chemtrails, QAnon: Der Verschwörungstheorie-Check

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Seriös oder Unfug? Wie man Verschwörungstheorien checkt

Seriös oder Unfug? Wie man Verschwörungstheorien checkt

Watergate begann als Verschwörungstheorie – die sich am Ende bewahrheitete. Wie können wir ernsthafte Theorien von Unfug und Märchen unterscheiden? BR24 hat mit dem Philosophen und Argumentationsexperten Andreas Edmüller darüber gesprochen.

BR24: Herr Edmüller, Sie haben eine Handreichung geschrieben, wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert. Gleich am Anfang Ihres Buches raten Sie, solche Theorien erst einmal ernst zu nehmen. Warum sollte man das tun?

Edmüller: Es gibt tatsächlich immer wieder gefährliche Verschwörungen - aktuell beschäftigt uns die Pleite von Wirecard; ein Klassiker ist natürlich Watergate. Weist man Verschwörungstheorien grundsätzlich und von vornherein als Unsinn zurück, macht man böswilligen Verschwörern das Leben leicht und seriösen Aufklärern unnötig schwer. Außerdem ist ein gesundes Misstrauen gegenüber Autoritäten und "den Mächtigen" in einer offenen Gesellschaft im Sinne der Machtkontrolle durchaus angebracht: Lieber eine kritische Diskussion zu viel als eine zu wenig - auch wenn es manchmal nervt.

BR24: Verschwörungstheorien sind heutzutage eng mit Populismus verknüpft. Gerade Populisten appellieren an den gesunden Menschenverstand. Wo genau finden wir den?

Edmüller: Wir finden ihn hinter den vielen erfolgreichen Entscheidungen und Überlegungen, mit denen wir unseren Alltag meistern. Darin steckt sehr viel bewährtes Erfahrungswissen. Meistens können wir recht genau einschätzen, wie Menschen sich in bestimmten Situationen verhalten werden, wie wahrscheinlich gewisse Vorkommnisse sind oder warum etwas geklappt oder nicht geklappt hat. Sonst würde unser Miteinander im Alltag ja nicht so gut funktionieren.

Ein Beispiel: Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass ein Geheimnis nur schwer ein Geheimnis bleibt, wenn viele Leute davon wissen - früher oder später wird sich jemand verplappern oder das Geheimnis auffliegen lassen. Er sagt uns auch, dass unser fünfjähriger Sohn kein rosa Einhorn im Garten gesehen haben kann - auch wenn er noch so aufgeregt und überzeugt davon erzählt. Dieses Erfahrungswissen sollten wir nicht leichtfertig über Bord werfen, sondern nur dann in Zweifel ziehen, wenn uns wirklich gute Gründe geliefert werden.

Wer überzeugen will, muss auch begründen

BR24: Wenn man einen Theorie-Check macht, auf was kommt es dabei besonders an?

Edmüller: Gerade bei Verschwörungstheorien sollte man sich als erstes klarmachen, wer eigentlich die Argumente liefern muss - und wie stark diese sein sollten. Beim Argumentieren gelten folgende Faustregeln: Erstens, wer uns von etwas überzeugen möchte, muss gute Gründe anbieten. Zweitens, je unwahrscheinlicher das ist, wovon wir überzeugt werden sollen, desto stärker müssen diese Gründe sein. Drittens, je mehr auf dem Spiel steht, desto bessere Gründe können wir erwarten. Anders ausgedrückt: Nicht wir müssen eine auf den ersten Blick unwahrscheinliche Theorie widerlegen, sondern deren Vertreter müssen uns Argumente für ihre Theorie liefern - und zwar sehr sehr gute!

Das ist wichtig, weil viele Verschwörungstheoretiker sich darin gefallen, vermeintliche Schwachstellen und Widersprüche in "offiziellen" Darstellungen aufzuzeigen - und damit zum einen recht geschickt von den argumentativen Leerstellen und Hohlräumen der eigenen Theorie ablenken. Und zum anderen erzeugen sie damit leider oft die Illusion, ihre eigene Theorie gestärkt zu haben.

BR24: Wie begegnen wir Verschwörungstheorien am besten im Alltag? Gibt es auch für Menschen ohne wissenschaftliche Prägung ein schnelles Rezept, ernsthafte Theorien von Hirngespinsten zu trennen? Was ist serös, was nicht?

Edmüller: Am besten orientiert man sich bei einer Ersteinschätzung an den Goldenen Regeln für Verschwörer, hier zwei der wichtigsten als Beispiel: Der Kreis der Verschwörer sollte möglichst klein und kompakt gehalten werden - je mehr Mitwisser, um so größer ist die Gefahr, aufzufliegen. Konkret: Geht eine Verschwörungstheorie von sehr vielen Beteiligten aus, dann sollte man stutzig werden. Warum hat sich da noch niemand verplappert - aus Wut oder Rache, im Suff, aus Geltungstrieb oder für Geld etwas ausgeplaudert? Außerdem sollte der Kreis der Verschwörer nur sehr schwer zu infiltrieren sein - je leichter sich jemand einschleichen kann, um so größer ist natürlich die Gefahr, aufzufliegen.

Konkret: Geht eine Verschwörungstheorie von einem sehr lockeren und offenen Kreis von Verschwörern aus, dann sollte man auch stutzig werden. Warum hat sich da noch kein Enthüllungsjournalist oder Gegner eingeschlichen und die Sache aufgedeckt? Können diese und ähnliche Fragen von den Vertretern der Verschwörungstheorie nicht überzeugend beantwortet werden, haben wir deren erste Schwachstellen schon gefunden.

Watergate, Chemtrails, QAnon

BR24: Sie gehen in ihrem Buch auf die Watergate-Affäre, Chemtrails und QAnon ein. Was unterscheidet diese Theorien?

Edmüller: Nicht jedes Sammelsurium von Aussagen, Vermutungen und unterhaltsamen Videoclips ist eine Theorie. Damit etwas diesen Namen verdient, müssen bestimmte Elemente vorhanden sein, z.B. eine klare Fragestellung, ein Theoriekern mit den wesentlichen Behauptungen der Theorie und Muster-Erklärungen; das sind belastbare Verbindungen zwischen Theoriekern und der Realität. QAnon hat diese Elemente ganz klar nicht aufzuweisen - es herrscht das Prinzip Beliebigkeit. Derartige Konstrukte nenne ich deshalb Verschwörungsmärchen.

Die Watergate-Theorie und die konkrete Variante der Chemtrail-Theorie, die ich untersuche, weisen diese Theorie-Elemente auf. Allerdings genügt Watergate darüber hinaus den klassischen Qualitätskriterien für Theorien, die wir aus der Wissenschaftsphilosophie kennen. Entwickelt sich eine Theorie dynamisch oder stagniert sie? Passt diese Theorie gut zu anderen, gut begründeten Theorien? Liefert die Theorie bessere Erklärungen als ihre Konkurrenten?

Im Gegensatz zu Watergate genügt die Chemtrail-Theorie diesen Kriterien ganz klar nicht und kann deshalb als nicht respektable Theorie bezeichnet werden. Solche Unterscheidungen sind wichtig und zeigen, wie unbedarft es ist, alle "Verschwörungstheorien" in einen Topf zu werfen.

BR24: Auch viele Theorien, die wissenschaftlichen Kriterien entsprechen, stellen sich irgendwann als falsch heraus. Ein Problem?

Edmüller: Nein, kein Problem - aber ein sehr interessanter Aspekt. Dass eine Theorie falsch ist, heißt ja nicht, dass sie nicht respektabel ist, dass sie nicht nach bestem Wissen und Gewissen ausgearbeitet und geprüft wurde. Es heißt auch nicht, dass sie wertlos ist. Irrtum kann fruchtbar sein, das Scheitern einer Theorie uns wichtige Informationen liefern, welche Lösungen oder Ansätze nicht funktionieren, welche Überlegungen in eine Sackgasse führen.

In diesem Ausloten von Möglichkeiten, Erkennen von Irrtümern und der Entwicklung neuer Theorien als Antwort darauf besteht ja die Dynamik und der Erfolg der modernen Wissenschaft. Und in diesem seriösen Umgang mit Theorien und deren Elementen besteht einer der Unterschiede zwischen guten und schlechten Theorien - es kommt eben nicht nur auf Wahrheit und Falschheit an. Will jemand zum Beispiel ernsthaft behaupten, die Newtonsche Theorie sei kein Meilenstein der Menschheitsentwicklung - obwohl sie in letzter Analyse vermutlich falsch ist?

Fragen stellen, denn die Antworten sind verräterisch

BR24: Unseriöse Verschwörungstheoretiker versuchen, die Wissenschaft zu diskreditieren. Gleichzeitig schotten sie ihre eigenen Theorien gegen jede Kritik ab, tun also genau das Gegenteil dessen, was Wissenschaft ausmacht. Wie entzieht man dieser Strategie den Boden?

Edmüller: Da gibt es einen recht einfachen und robusten Ansatz: Wir können einer Verschwörungstheorie ja nicht nur mit Gegenargumenten begegnen. Wir können auch in aller Ruhe und Freundlichkeit Fragen an diese Theorie und deren Vertreter stellen, um die Theorie besser zu verstehen. Wer da nicht antwortet, schottet seine Theorie nicht gegen Kritik ab, sondern verweigert ganz einfach jede Diskussion. Und dann muss er sich schon die Frage gefallen lassen, was seine Theorie eigentlich taugt und was er überhaupt von uns will.

Wer zum Beispiel glaubt, dass uns beim Impfen ein Chip made by Bill Gates eingepflanzt wird, dem würde ich Fragen wie diese stellen: Wo und von wem werden diese Milliarden an Chips denn hergestellt? Wer beliefert die Impfstationen damit - und auf welchen Wegen? Warum gibt es unter den zigtausend Impfärzten keine Whistleblower, die das Komplott aufdecken, uns diese Chips präsentieren und uns erklären, wie diese ganze Geheimorganisation funktioniert? Warum haben denn noch keine Enthüllungsjournalisten oder Anhänger QAnons diese Gates-Verschwörung infiltriert - das muss doch bei so einer riesigen Organisation leicht sein?

BR24: Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass die Debatten über Verschwörungstheorien "sehr oberflächlich und wenig systematisch geführt werden". Woran liegt das?

Edmüller: Das hat viele Gründe, hier drei sehr wichtige: Erstens wissen viele Leute ganz einfach nicht, wie man Theorien beurteilt. Selbst für die besten Theorien gibt es z.B. sehr oft Belege und Daten, die sie nicht erklären können - genau deshalb entwickeln wir ja Theorien, um uns Unerklärtes zu erklären. Man hört aber leider oft, dass eine Theorie widerlegt sei, weil sie etwas nicht erklären könne - das ist viel zu kurz und naiv gedacht. Zweitens ist der Begriff Verschwörungstheorie zu einer Art Wortkeule geworden, mit der eine inhaltlich saubere Diskussion im Keim erstickt werden soll.

Das kann fatale Folgen haben: Fragen Sie mal Gustl Mollath. Drittens fällt mir auf, dass viel zu gern und zu schnell psychologisiert wird: Man stellt alle möglichen Überlegungen an, warum jemand an eine bestimmte Verschwörungstheorie glaubt. Das ist zwar unterhaltsam, sagt aber nichts über die Qualität der Theorie aus. Auch jemand mit Verfolgungswahn oder schwerer Kindheit glaubt an sehr viele wahre Dinge, zum Beispiel dass 2+2 4 ist.

Andreas Edmüller lehrt Philosophie an der LMU München. Er publiziert unter anderem zu Argumentation, Manipulation und Konfliktmanagement. Sein Buch "Verschwörungsspinner oder seriöser Aufklärer? Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert" ist im Rediroma Verlag erschienen.

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