Es ist ein uraltes Virus, das Epstein-Barr-Virus. Wahrscheinlich ist es vor 65 Millionen Jahren entstanden und hat sich dann perfekt an Primaten und vor allem den Menschen angepasst. 1961 hörte der britische Pathologe Michael Epstein in einem Vortrag von einer häufigen Krebserkrankung bei Kindern im tropischen Afrika, zum Beispiel Uganda. Wenige Jahre danach, 1964, konnten er und die Londoner Virologin Yvonne Barr dann in der Zellkultur eines Tumors Epstein-Barr-Viren nachweisen, nach ihnen wurde das Virus auch benannt.
Tumorauslösendes Virus
Die Entdeckung des Virus war damals schon aufsehenerregend. Es war das erste Virus, bei dem nachgewiesen werden konnte, dass es auch im Menschen Krebs auslösen kann. Heute kennt man noch weitere: das Humane Papillom-Virus, HPV, und das Hepatitis-C-Virus, HCV, für dessen Entdeckung gerade erst der Medizinnobelpreis vergeben wurde. Das Epstein-Barr-Virus, EBV, eines von neun bekannten menschlichen Herpesviren.
Epstein-Barr-Virus gibt es nur bei Menschen
Weil das Epstein-Barr-Virus so gut an den menschlichen Organismus angepasst ist, ist es auch weit verbreitet. Die Forschung geht davon aus, dass rund 90 Prozent aller Erwachsenen das Virus in sich tragen. Im Gegensatz zu vielen anderen Erregern kann das menschliche Immunsystem das Virus nicht komplett vernichten, es bildet sich im Laufe der Ansteckung eher eine Art Balance aus, in der das Virus ein Leben lang in Schach gehalten wird.
Kinder kommen besser zurecht mit Epstein-Barr-Virus
Wenn man sich als Kleinkind mit dem Virus ansteckt, passiert in der Regel kaum etwas, die Infektion verläuft ohne oder mit milden Symptomen. Erst im Teenager- oder jungen Erwachsenenalter entwickelt dann mindestens jeder vierte bei Erstkontakt eine Infektionskrankheit, die große Probleme bereiten kann: das Pfeiffersche Drüsenfieber (der medizinische Fachbegriff dafür lautet "infektiöse Mononukleose").
Das Epstein-Barr-Virus überträgt sich über Körperflüssigkeiten, zum Beispiel Speichel. Darum trägt das Pfeiffersche Drüsenfieber auch harmlos klingenden Namen "Kusskrankheit" oder "kissing disease". Doch die Betroffenen können schwerwiegende Symptome entwickeln wie hohes Fieber und Schüttelfrost, Lymphknotenschwellungen, Mandelentzündungen und eine ausgeprägte Abgeschlagenheit (Fatigue). In einzelnen Fällen kommt noch eine akute lebensbedrohliche Beteiligung weiterer Organe dazu, z.B. des Gehirns. Darüber hinaus kann die Milz anschwellen und ist dadurch leicht verletzbar.
Keine Medikamente gegen EBV bekannt
In den meisten Fällen heilt das Pfeiffersche Drüsenfieber nach drei bis sechs Wochen wieder aus, in denen die Patientinnen und Patienten sich schonen müssen. Sport und körperliche Anstrengungen können den Genesungsprozess verlangsamen. Doch es gibt auch schwere Fälle, die nicht so schnell ausheilen. Bis heute gibt es kein Medikament, das das Virus beseitigen kann, es können nur die Symptome des Pfeifferschen Drüsenfiebers behandelt werden.
"Nach sechs Monaten hat etwa einer von zehn Patienten noch Beschwerden, nach 12 Monaten immerhin noch einer von zwanzig, das sind schon sehr viele Leute." Prof. Uta Behrends, Kinder- und Jugendärztin, TU München
Uta Behrends und ihr Team versuchen herauszufinden, ob es genetische Risikofaktoren gibt, die zu einem besonders schweren Verlauf führen. Dazu haben sie im Rahmen der IMMUC-Studie 200 betroffene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene untersucht und Proben genommen. Im Jahr 2021 erwartet sie erste Ergebnisse der statistischen Auswertungen. Die Hoffnung: frühzeitig besonders gefährdete Patientinnen und Patienten auszumachen, die dann gezielt versorgt werden können.
Chronisches Fatigue-Syndrom und Epstein-Barr-Virus
Ein Pfeiffersches Drüsenfieber durch das Epstein-Barr-Virus ist oft auch der Auslöser für ein anschließendes Chronisches Fatigue-Syndrom (oder ME/CFS), eine schwere neurologische Erkrankung, die mit einer Fehlregulation des Immunsystems einhergeht. Sie beeinträchtigt unter anderem den Energiestoffwechsel der Körperzellen. Patientinnen und Patienten sind davon langfristig betroffen, können oft nicht mehr in die Schule oder Arbeit gehen und viele von ihnen sind bettlägerig. Wie genau eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus zu ME/CFS führt, ist molekularbiologisch noch nicht geklärt.
Möglicherweise führt auch Coronavirus SARS-CoV-2 zu einem ähnlichen Syndrom, das momentan mit "LongCovid" bezeichnet wird.
Multiple Sklerose ist ebenfalls mit einer Epstein-Barr-Virusinfektion assoziiert. Auch hier ist unbekannt, wie der genaue Weg von der Infektion zur Krankheit abläuft.
Kein Impfstoff gegen das Epstein-Barr-Virus
Bis heute gibt es keinen Impfstoff gegen das Epstein-Barr-Virus. Das liegt auch daran, dass das Virus ziemlich komplex und groß ist. Es hat sich in seinem Lebenszyklus in den vielen Millionen Jahren perfekt an seinen Wirt, den Menschen, angepasst. So hat es zum Beispiel mehrere Eiweißstrukturen auf seiner Oberfläche, die vom Immunsystem erkannt werden können - das müsste man mit einem Impfstoff nachbauen. Zum Vergleich: Das SARS-Cov-2-Virus hat nur eine derartige Oberflächenstruktur - das macht die Impfstoffentwicklung immens einfacher und schneller.
Vor rund 20 Jahren wurde der erste Impfstoffversuch gegen das Virus in der zweiten Phase der klinischen Studien abgebrochen. Heute gibt es wieder Forschung zu einem Impfstoff.
"Die Sicht auf das Pfeiffersche Drüsenfieber hat sich geändert. Heute wissen wir, das ist eine gefährliche Infektionskrankheit, die gerade viele Heranwachsende trifft. Sie können oft wochen- oder monatelang die Schule oder Arbeitsstelle nicht besuchen. Vor allem in den Industrienationen ist das ein Problem." Prof. Wolfgang Hammerschmidt, Helmholtz-Zentrum München
Impfstoffversuche gegen das EBV
Auch Wolfgang Hammerschmidt und sein Team forschen zusammen mit Uta Behrends zu einem Impfstoff. Dazu haben sie eine Technologie entwickelt, mit der sie bis zu 50 Eiweißstrukturen des Virus nachbauen können, sogenannte "virus like particles". So entsteht eine ungefährliche Kopie des Virus, die, so die Theorie, eine Antwort des körpereigenen Immunsystems auslösen kann. Bisher ist so ein Ansatz noch nie in die Praxis umgesetzt worden - Wolfgang Hammerschmidt, Uta Behrends und ihre Teams hoffen, damit im Jahr 2022 die klinischen Studien an Menschen beginnen zu können.
Epstein-Barr-Virus und Krebserkrankungen
Ein Impfstoff wäre nicht nur hilfreich, um das Pfeiffersche Drüsenfieber zu verhindern, sondern auch zahlreiche Krebserkrankungen. Denn davon können auch Menschen betroffen sein, die bei der Infektion im Kindesalter kaum Symptome hatten.
Seit seiner Entdeckung 1964 konnte das Epstein-Barr-Virus für zahlreiche Krebserkrankungen verantwortlich gemacht werden, zum Beispiel das Hodgkin-Lymphom, ein bösartiger Tumor des Lymphsystems. Aber auch Tumoren im Nasenrachenraum und im Magen können mit verursacht werden. In Malariagebieten kommt es häufiger zu Lymphknotenkrebs durch das Virus, darüber hinaus könnten spezielle regionale Veränderungen des Epstein-Barr-Virus für Tumoren verantwortlich sein.
"Epstein-Barr-Viren, die in China vorkommen, vermehren sich zum Beispiel schneller und infizieren bestimmte Zellen besser. Somit kann es zu Krebsentwicklung im Nasenraum führen." Prof. Henri-Jacques Delecluse, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg
Eine große Rolle spielt auch das Immunsystem. Das macht bei Organtransplantationen Probleme. Die Patientinnen und Patienten brauchen starke Medikamente, die ihr Immunsystem dämpften. So soll verhindert werden, dass der Körper das fremde Organ abstößt. Einige Betroffene entwickeln nach einer Transplantation einen Krebs, der mit dem Epstein-Barr-Virus assoziiert ist oder eine krebsähnliche Erkrankung. Zwar wird heute versucht, diese Komplikation zu bekämpfen, aber das ist noch nicht in allen Fällen erfolgreich.
Chronische Entzündung und EBV
Neure Studien sehen sogar einen Zusammenhang zwischen EBV und chronischen Entzündungen. Weil das Virus dauerhaft im Körper verbleibt, kämpft das Immunsystem dauerhaft dagegen an. Es könnte also sein, dass man vor allem im Alter eine schwache, aber chronische Entzündung im Körper hat.
Wie genau diese Zusammenhänge aussehen, ist bis heute Gegenstand der Forschung. Obwohl das Virus relativ lang bekannt ist und so viele Menschen auf der ganzen Welt betroffen sind, bleibt das Epstein-Barr-Virus für die Forschenden eine Herausforderung, vor allem deswegen, weil es so perfekt an den menschlichen Organismus angepasst ist.