Pro-Palästinensische Demonstration in Frankfurt
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Uralter Hass: Eine kurze Geschichte des Antisemitismus

Uralter Hass: Eine kurze Geschichte des Antisemitismus

Pro-palästinensische Demonstranten rufen auf deutschen Straßen "Kindermörder Israel" – obwohl die Hamas in Israel ein Blutbad angerichtet hat. Hass auf Juden ist oft irreal, aber er ist uralt und hat eine blutige Geschichte.

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Schon im Mittelalter war die Lüge weit verbreitet, Juden würden für das Backen ihres Pessach-Brotes Matze das Blut von Christenkindern verwenden. Ein bis heute wirkmächtiger Verschwörungsmythos, sagt der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn. "Vorwürfe, dass Jüdinnen und Juden Kinder zu religiösen Zwecken entführt und getötet hätten, das finden wir heute im antisemitischen Stereotyp im Zusammenhang mit Israel auch noch wieder. Hassparolen wie 'Kindermörder Israel' schließen daran an."

Jahrtausendealter Hass auf Juden

Seit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem vor bald 2.000 Jahren sind Jüdinnen und Juden in alle Welt zerstreut – immer in der Minderheit, bisweilen toleriert, oft diskriminiert und angefeindet. Hass auf Juden, sagt Samuel Salzborn, sei nicht nur, aber insbesondere verbunden mit der Geschichte des Christentums, dem christlichen Antijudaismus.

Dass "die Juden" den Religionsstifter des Christentums ermordet hätten, ist sozusagen der Urverschwörungsmythos. Dabei war Jesus bekanntlich selbst Jude und zum Tode verurteilt wurde er von einem Römer, gekreuzigt wurde er von römischen Soldaten in der römischen Provinz Judäa.

Von Pestpogromen bis zur Corona-Pandemie

Als religiöse Minderheit eigneten sich Juden hervorragend als Sündenböcke, besonders wenn die christlichen Herrscher versagten oder bei folgenschweren Ereignissen: Als im 14. Jahrhundert die Pest in Mitteleuropa wütete, machte man dafür "die Juden" verantwortlich. Bei den sogenannten Pestpogromen wurden Tausende Männer, Frauen und Kinder ermordet und zahlreiche jüdische Gemeinden ausgelöscht: in Speyer, Worms, Mainz, Koblenz, Köln, Trier, Nürnberg. Und wer jetzt meint, das war eben das finstere Mittelalter, der sei an die Corona-Pandemie erinnert: Zahlreiche Menschen witterten hinter der Pandemie einen großen Plan finsterer Mächte und knüpften damit an klassische antisemitische Verschwörungsmythen an.

Vom religiösen zum völkischen Antisemitismus

Im Mittelalter war Juden der Zugang zu Zünften und Landbesitz verboten, sie wurden abgedrängt in Berufsfelder wie Handel oder Finanzwirtschaft, was sie besonders in Krisenzeiten umso mehr zur Zielscheibe des Volkszorns machte. Daran änderte auch die sogenannte Aufklärung des 18. und 19. Jahrhunderts nichts, als die Religion an Einfluss verlor.

Schlimmer noch: Das Judentum wurde nun nicht mehr als abtrünnige Religionsgemeinschaft gesehen, sondern als feindliche Rasse. Dieser völkische Antisemitismus gipfelte im Rassenwahn der Nationalsozialisten und schließlich dem deutschen Massenmord an sechs Millionen Juden.

Sowjetische Propaganda gegen Zionismus

Mit dem 1948 gegründeten Staat Israel bot sich ein neues Hassobjekt. Angefacht durch sowjetische Propaganda, die Israel als zionistischen Agenten des US-Imperialismus dämonisierte, verbreitete sich der Antisemitismus nun auch im globalen Süden, getarnt als sogenannter "Antizionismus". Besonders groß war die Resonanz in der arabischen Welt. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Pamphlet, das schon die Nazis mit Begeisterung gelesen hatten: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Das Dokument soll angebliche Weltverschwörungspläne des Judentums belegen.

Dabei ist schon seit mehr als hundert Jahren bekannt, dass die Protokolle eine dreiste Fälschung aus dem Umfeld des zaristischen Geheimdienstes sind. Das ändere aber nichts daran, dass "Die Protokolle der Weisen von Zion" bis heute weit verbreitet sind, sagt der Antisemitismus-Experte Samuel Salzborn. Das gelte besonders für die arabische Welt, wo sie sogar für eine erfolgreiche Fernsehserie verfilmt wurden. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Protokolle spiele zudem die Muslimbruderschaft, die Mutterorganisation der terroristischen Hamas.

Antisemitismus quer durch die Gesellschaft

Doch auch in Deutschland blieb Antisemitismus immer virulent. Salzborn verweist auf Studien, wonach bis heute knapp ein Fünftel der Befragten in Deutschland antisemitische Einstellungen vertreten. Und zwar praktisch in allen gesellschaftlichen und politischen Milieus von ganz links bis ganz rechts.

In der extremen Rechten sei ein völkischer Antisemitismus vorherrschend, so Salzborn, bei dem es oft um die Negierung der deutschen Verantwortung für den Holocaust gehe. Im linksextremen Milieu mischten sich "Versatzstücke antiimperialistischen Denkens" mit postkolonialen Ansichten, bei denen Israel unreflektiert und einseitig als westliche Kolonialmacht gesehen wird. Postkoloniale Perspektiven seien nicht generell falsch, betont der Experte. "Aber so, wie das gerade rezipiert wird, ist es an vielen Stellen einfach ein intellektuelles Desaster."

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