Wenn Vögel singen lernen, tun sie das auf ganz ähnliche Weise, wie wir Menschen sprechen lernen: von den Erwachsenen. Ein Jungvogel lauscht dem Gesang älterer Vögel und lernt durch Nachahmung sein eigenes Lied. Aber bei Verkehrslärm lernt ein Vogel seinen Gesang weniger gut und weniger schnell. Auch Kinder zeigen Lernschwäche und größere Schwierigkeiten beim Spracherwerb, wenn sie kontinuierlich Lärm ausgesetzt sind. Aber warum ist das so?
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Forschungsobjekt Zebrafink im Landkreis Starnberg
Der Vogelforscher Dr. Henrik Brumm leitet am Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie in Seewiesen im Landkreis Starnberg die Forschungsgruppe Kommunikation und Sozialverhalten und untersucht, wie die institutseigenen Zebrafinken ihren Gesang erlernen - und was sie dabei stört.
Störfaktor Straßenlärm
In der jetzt veröffentlichten Studie wollten die Ornithologen wissen, warum die Singvögel beim Erlernen ihres Gesangs vom Verkehrslärm gestört werden und was dabei genau vor sich geht. Dazu setzten sie eine Gruppe junger Zebrafinken dem Verkehrslärm aus, der etwa an einer verkehrsreichen Straße in Städten wie München auftritt, und verglichen diese mit einer Gruppe ungestörter Jungvögel.
Vogelgesang will gut gelernt sein
Männliche Zebrafinken erlernen einen recht komplexen Gesang, in dem verschiedenste Tonhöhen (Silben) nach einer festen Reihenfolge (Motiv) angeordnet werden - zu einem individuellem Lied. Oder besser: fast individuell. Denn jedes junge Vogelmännchen hat einen erwachsenen Tutor, dessen Lied er möglichst genau kopiert.
Die Lernphase beim Gesang des Zebrafinken
Diese Lernphase beginnt etwa einen Monat, nachdem der Jungvogel aus dem Ei geschlüpft ist, und dauert normalerweise ein bis zwei Monate. Spätestens neunzig Tage nach dem Schlüpfen kann ein junger Zebrafink sein spezielles Lied - an dem er sein Leben lang nichts mehr ändert.
Gestört von Lärm lernen Singvögel langsamer und schlechter
Die jungen Zebrafinken unter Lärm-Einfluss lernten ihren Gesang deutlich langsamer: Sie brauchten bis zu einem Monat länger, bis sich ihr fertiges Liedchen herauskristallisierte und nicht mehr verändert wurde. Und der fertige Gesang hatte viel mehr Fehler, war eine deutlich schlechtere Kopie des Tutor-Liedes als bei den ungestörten Gesangsschülern.
Lernschwierigkeit liegt nicht an der Lautstärke, sondern am Stress
Das hatte aber offenbar nichts mit einer rein akustischen Störung durch den Lärm zu tun. Zwar kann heftiger Lärm dazu führen, dass Vögel stumm werden oder ähnlich seltsame Liedlein pfeifen wie gehörlose Vögel. Doch dafür war der in der Studie eingesetzte Lärm nicht laut genug. Die Jungvögel konnten den Gesang ihres Vorbildes genau hören und übten ihren Gesang auch genauso häufig wie die Vergleichsgruppe.
Immunsystem reagiert schwächer unter Lärm
Stattdessen fanden die Ornithologen jedoch eindeutige Biomarker für Stress bei den lärmgeplagten Jungvögeln: Schon bei zwei Tagen durchgehender Beschallung mit Verkehrslärm reagierte das Immunsystem schlechter auf einen Test mit Phytohämagglutinin, einem Eiweiß, das den Vögeln injiziert wurde, um eine Immunreaktion auszulösen.
Bei den lärmgestressten Jungvögeln, deren Immunantwort schwächer ausfiel, waren auch die gelernten Lieder auffallend fehlerhaft. Nach Ansicht der Forscher löst der Verkehrslärm Stress aus, der die Lernfähigkeit der Jungtiere in der Zeit ihres "Spracherwerbs" einschränkt.
Werden die Stadtvogellieder immer fehlerhafter?
Das könnte eine Folge auf die städtische Liedgut-Kultur der Singvögel haben: Die lärmgestresste Generation gibt ihren fehlerhaften Gesang ja an die nächste weiter, die neue Fehler einbaut. Ornithologisch ausgedrückt heißt das, dass sich in lärmbelasteten Lebensräumen neue, andere Gesangslinien ausprägen könnten. Umgangssprachlich gesagt: Der Stadtvogel-Gesang wird immer fehlerhafter.
Lernschwierigkeiten durch Lärm kann auch den Erwerb anderer Fähigkeiten einschränken
Wichtiger aber war für die Ornithologen eine ganz andere Schlussfolgerung aus der Studie: Die geringere Immunantwort der lärmbelasteten Jungvögel ist eine eindeutig messbare Größe, die den Stressfaktor von Lärm beobachtbar macht.
Denn dass Lärm die Lernfähigkeit einschränkt, ist bekannt - bei Vögeln wie auch bei menschlichen Kindern. Doch warum und wie genau, ist noch nicht genügend erforscht.
Zugleich macht der Biomarker deutlich, dass die Lernschwierigkeit sich nicht auf den Spracherwerb beschränken muss, sondern dass Lärm auch den Erwerb anderer Fähigkeiten beeinträchtigen kann.
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