Wer würde es schaffen, das menschliche Erbgut mit seinen 3,2 Milliarden Basenpaaren schneller zu entschlüsseln? Zwei Konkurrenten waren am Start.
Zwei Forschungsprojekte im Rennen um Erbgut-Entschlüsselung
Auf der einen Seite: Eine Art träger Schwerlast-Tanker - das vor allem durch die USA staatlich geförderte Humane Genom-Projekt (HGP), 1990 gegründet, und auch mit deutschen Forschern an Bord. Der damalige US-Präsident Bill Clinton sagte damals, mehr als tausend Forscher in sechs Ländern hätten fast alle Buchstaben unseres wundersamen, genetischen Codes entschlüsselt.
"Wir lernen heute die Sprache, in der Gott das Leben geschaffen hat." Bill Clinton, damals US-Präsident
Auf der anderen Seite: Ein wendiges Schnellboot. Der Kapitän: Craig Venter, ein US-amerikanischer Biochemiker und in der Wissenschaftsszene bekannt als eiskalter Geschäftsmann und Selbstdarsteller. Er hatte als erster das Genom der Fruchtfliege entschlüsselt. Aus dem Humanen Genom-Projekt war er 1998 ausgestiegen, um mit seiner privaten Firma Celera Genomics allein weiterzumachen.
Schon knapp ein Jahr vor den wissenschaftlichen Veröffentlichungen der beiden konkurrierenden Projekte in den Fachblättern Nature und Science sprach er von einem "historischen Ereignis in der 100.000-jährigen Geschichte des Menschen". Das erste Mal könne unsere Spezies ihren chemischen Code lesen.
Das Ziel: Ein Patent und das große Geld
Während das Humane Genom-Projekt Gen um Gen entschlüsselte, wählte Venter einen anderen Ansatz: Quasi mit der Schrotflinte zerlegte er die menschliche DNA in kleine Bruchstücke, analysierte sie und fügte die Informationen mit der Rechenleistung vieler Computer wieder zusammen. Venters Vision: Die Informationen des menschliche Genoms zu patentieren und damit Geld zu verdienen. Die Forscher des Humanen Genom-Projekts dagegen sahen in den Genen eine Art universelles Erbe der Menschheit, das für jeden zugänglich sein sollte.
Aus dem Patent Venters ist letztlich nichts geworden - zum Glück, sagt Hans Lehrach vom Max-Plack-Institut für molekulare Genetik. Er war damals Teil des deutschen Ablegers des Humanen Genom-Projekts. Letztlich, so Lehrach, hätte die Forschergemeinde erreicht, was sie erreichen wollte: Das Genom öffentlich verfügbar zu machen, als Standard für alle Folgeprojekte.
Gene machen nur einen Bruchteil des Erbguts aus
Das menschliche Erbgut besteht aus vier Grundbausteinen, den Nukleinbasen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Mit seinen rund 3,2 Milliarden Gen-Buchstaben würde das menschliche Genom 3.200 Bücher füllen, mit je 1.000 Seiten und 1.000 Buchstaben pro Seite.
Für die Wissenschaft war es, als würde sich mit der Entschlüsselung eine Tür öffnen - zu einem schier endlosen Gang mit lauter neuen Türen. Die Einzelbuchstaben des Genoms zu kennen, hieß noch lange nicht, ihren Inhalt zu begreifen. Etwa, welche Gene zu welchen Krankheiten führen. Oft sind es viele Gene, die dabei zusammenspielen. Lang nicht das gesamte Genom besteht aus Genen, also Anleitungen für die Bausteine unseres Körpers – im Gegenteil: Die rund 20.000 menschlichen Gene machen gerade mal rund zwei Prozent des gesamten Erbguts aus. Dazwischen liegen scheinbar große Abschnitte ohne besondere Funktion, die lange als "Schrott-DNA" bezeichnet wurden – ein evolutionäres Überbleibsel.
Schrott-DNA: alles andere als Schrott
Doch immer mehr wird klar, dass auch diese Erbgut-Abschnitte zwischen den Genen eine wichtige Funktion haben, etwa um die Aktivität der Gene zur rechten Zeit am rechten Ort an- oder abzuschalten. So konnte gerade ein internationales Forscherteam mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik zeigen, dass genau diese scheinbar nutzlosen Abschnitte die Ursache für angeborene Fehlbildungen sein können, wenn sie nicht richtig funktionieren.
Weltweit laufen unzählige experimentelle Studien zur Frage, welche Abschnitte des Genoms bei einer Fehlfunktion für welche Krankheiten verantwortlich sein könnten. Und durch die Genschere Crispr ist es inzwischen technisch sehr viel einfacher geworden, Gene quasi nach Belieben auszutauschen.
Mittel gegen Blindheit
Doch eine konkrete Therapie hat sich bisher nur für eine Handvoll Erkrankungen herauskristallisiert. Etwa bei einer seltenen erblichen Augenerkrankung, der Leberschen Optikus-Neuropathie. Betroffene haben ein defektes Gen, und waren bisher dazu verdammt, zu erblinden. Jetzt zeigt eine Studie, an der die Ärztin Claudia Priglinger von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität beteiligt ist: Bekommen die Patienten einmalig eine Spritze mit dem gesunden Gen darin ins Auge, dann kann das die Erblindung aufhalten. Nun werde versucht, das Medikament bei der Europäischen Arzneimittelbehörde zur Zulassung zu bringen, so Priglinger.
Nicht alle Ideen waren erfolgreich
Patientenvereinigungen allerdings stehen den Gen-Therapien teils kritisch gegenüber. Etwa Roswitha Dickerhoff von der Interessengemeinschaft Sichelzellkrankheit und Thalassämie. Auch bei der ß-Thalassämie, einer angeborenen Erkrankung des roten Blutfarbstoffs, ist inzwischen eine Gen-Therapie möglich. Aber kaum ein Betroffener hat Interesse. Es gebe ja kaum Erfahrungen, so Dickerhoff. Keiner wisse, wie sich die Gen-Therapie auf Dauer auswirke. Es sei noch absolut experimentell.
Manche gentherapheutische Versuche haben tatsächlich auch nicht den erhofften Erfolg gebracht und sind teils sogar nach hinten losgegangen. Etwa bei Kindern mit dem seltenen Wiskott-Aldrich-Syndrom. Einige von ihnen entwickelten nach einer Gen-Therapie eine Leukämie und sind verstorben.
Der gläserne Patient?
Die damaligen Befürchtungen, dass das Wissen über den genetischen Code zum gläsernen Patienten führen würde, haben sich indes nicht bewahrheitet. Ethiker und Vertreter der Kirchen hatten damals davor gewarnt, dass etwa Krankenversicherungen oder Arbeitgeber verlangen könnten, dass sich jeder auf alle möglichen Erbkrankheiten testen lässt und die Informationen preisgeben müsse.
Eines aber zeichnet sich ab: Das Wissen über die Gene kann aber auch Krankheiten verhindern: Wer etwa weiß, Risiko-Gene für Brustkrebs zu haben, kann durch engmaschige Vorsorge das Schlimmste verhindern.
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