Wie weit verbreitet Kopfschmerzen unter Heranwachsenden sind, zeigt ein Studie der TU Dresden, an der zwischen März 2015 und März 2016 knapp 3.000 Kinder und Jugendliche teilgenommen haben: Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben dort an, in den vergangenen drei Monaten unter Kopfschmerzen gelitten zu haben.
Einige haben mehr Tage mit Kopfschmerzen als ohne
Die Häufigkeit der Kopfschmerzen steigt mit dem Alter der Kinder an. So sagen schon 64 Prozent der Grundschüler, ab und zu Kopfschmerzen zu haben, in Gymnasien sind es 68 Prozent, in den Realschulen fast 80 Prozent. Mädchen sind mit 73 Prozent häufiger betroffen als Jungen (63 Prozent).
Fast 37 Prozent der Befragten hat einmal im Monat Kopfschmerzen, rund 32 Prozent mehr als zweimal im Monat. Bei einigen sind es sogar mehr als 15 Tage im Monat.
"Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen müssen ernst genommen werden. Man muss die Schmerzen rechtzeitig erkennen und individuelle Therapiemaßnahmen durchführen. Das gilt insbesondere, da chronische Kopfschmerzen - neben anderen Schmerzen - einen beträchtlichen Einfluss auf die Zukunft dieser Kinder haben können." Dr. Martin Steinberger, Leiter der interdisziplinären Schmerztagesklinik, München Klinik Schwabing
Folgen von Kopfschmerzen für Kinder
Werden Kopfschmerzen bei Kindern nicht behandelt, kann dies deren Lebensqualität und Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und in einem Teufelskreis enden, so die Autorin der Studie Dr. Gudrun Goßrau. Sie leitet die Kopfschmerzambulanz am Interdisziplinären UniversitätsschmerzCentrum in Dresden.
Fehltage in der Schule führten dann zu Leistungsabfall, Schulversagen und Schulangst. Viele betroffene Kinder isolierten sich sozial. Dies erhöhe wiederum die Gefahr für Depressionen.
Mögliche Ursachen für Kopfschmerzen bei Kindern
Wie kommt es aber, dass immer mehr Kinder und Jugendliche Kopfschmerzen haben? Eine Ursache ist Stress in der Schule oder in der Familie, vermuten die Ärzte. Alkohol, Koffein, Rauchen und Bewegungsarmut könnten außerdem zu Kopfschmerzen führen.
Migräne oder Spannungskopfschmerzen?
Kopfschmerzen sollten unbedingt differenziert diagnostiziert werden, betont Prof. Dr. Dr. Christoph Klein, Kinderarzt am Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München. So kann Migräne genetisch bedingt sein und muss anders behandelt werden als Spannungskopfschmerzen.
Therapie bei Kopfschmerzen
Psychologin Andrea Kaindl behandelt Kinder mit chronischen Kopf- und Bauchschmerzen am Klinikum Dritter Orden in München und bietet dort Schmerzgruppen an. Ihre Erfahrung:
"Man muss in der Therapie Einfluss nehmen auf die Prozesse, die Schmerzen auslösen. Am besten interdisziplinär." Andrea Kaindl, Psychologin, Klinikum Dritter Orden, München
Für eine langfristige Behandlung empfehlen die Ärzte einen Mix aus Physiotherapie mit Entspannungs- und Dehnübungen sowie Massagen gegen Verspannungen. Die Einnahme von Magnesium kann Kindern helfen. Und: Die Eltern sollten den Stress für die Kinder reduzieren – durch weniger Druck, Termine und mehr freie Zeit.
Was hilft aber bei akuter Migräne? "Hinlegen, die Stirn kühlen, das Kind aus dem reizintensiven Umfeld herausnehmen und gegebenenfalls ein Medikament geben. Dieses sollte vom Kinderarzt in der geeigneten Dosierung verordnet werden", so Psychologin Kaindl. Bei Spannungskopfschmerzen empfiehlt sie Kindern hingegen Bewegung und Ablenkung.
Kinder nehmen zu viele Schmerzmittel
Die wenigsten betroffenen Kinder und Jugendlichen suchen einen Arzt auf. Viele versuchen stattdessen, die Kopfschmerzen selbst zu behandeln – mit Schmerzmitteln. So gaben über 600 Kinder und Jugendliche in der Studie an, Schmerzmittel wie Ibuprofen und Paracetamol oder homöopathische Präparate gegen Kopfschmerzen einzunehmen.
Doch genau davor warnen die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die Gesellschaft für Neuropädiatrie: Bei Migräne machten Schmerzmittel Sinn, nicht aber bei Spannungskopfschmerzen.
Schmerzmedikamente haben außerdem Nebenwirkungen und können, wenn sie häufig eingenommen werden, Kopfschmerzen wieder neu verursachen oder verstärken. Viele Schmerzmedikamente sind nicht für Kinder zugelassen. Eine weitere Gefahr: Kinder, die häufig Schmerzmittel einnehmen, neigen dazu, auch später zu viele Schmerzmedikamente zu nutzen.
Mit Kopfschmerzen zum Arzt gehen?
Wann sollten Eltern mit ihren Kindern also zum Arzt gehen? Dr. Martin Steinberger empfiehlt: Sobald sich Eltern oder Kinder Sorgen machen, weil Kopfschmerzen regelmäßig oder häufig auftreten. Auch wenn Kinder aufgrund von Kopfschmerzen in der Schule fehlen oder ihnen morgens nach dem Aufstehen übel ist und sie sich erbrechen, sollten sie zum Arzt gehen.
Der Arzt klärt dann ab, ob eine ernste Erkrankung vorliegt und ergründet gemeinsam mit den Familien, woher die Kopfschmerzen kommen und was man dagegen tun kann. Falls nötig, kann der Kinderarzt außerdem ein Behandlungszentrum für Kinder mit chronischen Schmerzen empfehlen.
"Nach aktuellen Daten liegt nur bei weniger als zwei Prozent der Kopfschmerzen im Kindesalter eine behandlungsbedürftige Erkrankung zugrunde. Sehr viel häufiger sind Stressfaktoren in Familie, Schule oder dem Freundeskreis entscheidend." Dr. Martin Steinberger, Leiter der interdisziplinären Schmerztagesklinik, München Klinik Schwabing
Checkliste: Warnzeichen für dringenden Behandlungsbedarf bei Kopfschmerzen
Wenn Kopfschmerzen bei Kindern...
- ...akut auftreten und kontinuierlich stärker werden
- ...länger als 72 Stunden andauern
- ...mit Fieber, Nackenschmerzen oder –steifigkeit verbunden sind
- ...den Charakter ändern (Stärke, Häufigkeit, Lokalisation oder Schmerzcharakter)
- ...die Kinder aus dem Schlaf aufwecken
- ...mit morgendlichem (Nüchtern-) Erbrechen verbunden sind
- ...oder mit Funktionsstörungen des Nervensystems einhergehen (zum Beispiel Bewusstseinsstörungen, Sehstörungen, Sprachstörungen, Lähmungen, Krampfanfall)
...sollte eine umgehende ärztliche Abklärung der Kopfschmerzen erfolgen.
💡 Einteilung von Kopfschmerzen
Kopfschmerzen werden in primäre und sekundäre Erkrankungen eingeteilt. Primäre Kopfschmerzen sind eine eigenständige Erkrankung, sekundäre Kopfschmerzen sind Folgen einer anderen Erkrankung.
Migräne und Spannungskopfschmerzen gelten als die häufigsten primären Kopfschmerzerkrankungen.
Migräne tritt immer wieder und häufig auf. Sie kann vier bis 72 Stunden andauern und von Sehstörungen begleitet sein. Weitere Charakteristika: häufig halbseitig, pulsierender Schmerzcharakter, mittlere bis hohe Intensität. Begleitend treten oft Übelkeit und Erbrechen auf sowie eine Licht- und Lärmüberempfindlichkeit.
Der BR Gesundheitstag am 22. Oktober 2019 steht unter dem Motto "Kinder, Kinder!". Einen Überblick über das Programm im Radio, Fernsehen und online gibt es hier.