Vor dem Gesetz sind Männer und Frauen in Deutschland gleichberechtigt, doch die gesellschaftliche Realität ist immer noch eine andere: Von Chancengleichheit und Gleichberechtigung sind wir im Jahr 2022 noch weit entfernt - auch mehr als 100 Jahre nach Einführung des internationalen Frauentags, der jährlich am 8. März begangen wird. Heutzutage müssen Frauen zwar nicht mehr um das Wahlrecht in Deutschland kämpfen, dafür aber vor allem um Anerkennung ihrer Arbeit.
Die Corona-Pandemie verstärkt die Ungleichheit
Für die Soziologin und Genderforscherin Dr. Anna Buschmeyer vom Deutschen Jugendinstitut in München ist der Weltfrauentag in diesem Jahr besonders wichtig. Denn nach zwei Jahren Corona-Pandemie wird deutlich, dass Frauen und Mütter die Hauptlast bei Erziehung und Sorgearbeit getragen habe.
Bei ihren Befragungen hat Buschmeyer festgestellt: Zu Beginn der Pandemie und im ersten Lockdown teilten sich Mütter und Väter die Erziehung untereinander auf. Doch zunehmend kümmerten sich wieder mehr die Mütter um Kinder, Haushalt, Homeschooling und die Versorgung der eigenen Eltern oder Großeltern. Die institutionelle Kinderbetreuung war teilweise weggebrochen. Und die Entscheidung, wer dann beruflich zurücksteckt, wurde meist einkommensbasiert getroffen und begründet. Verdiente der Partner mehr, dann reduzierten die Frauen ihre Arbeitszeit.
Gender-Pay-Gap verdeutlicht ungerechte Bezahlung
Die Pandemie verlangt(e) entsprechend viel ab von Frauen und besonders von Müttern, die sich verstärkt um die Familie kümmern und ihre Arbeitszeit deshalb oft reduzierten mussten. Gesellschaftlich wird diese Sorgearbeit jedoch nicht oder kaum honoriert. Frauen verdienen durchschnittlich weniger als Männer und erhalten meist weniger Rente (dazu gleich mehr).
- Zum Artikel "Frauenministerin Spiegel: Gleiche Löhne für Frauen und Männer"
Der sogenannte Gender-Pay-Gap verdeutlicht diese Ungleichheit: Laut Statistischem Bundesamt verdienen Männer durchschnittlich knapp 1.200 Euro im Monat brutto mehr als Frauen. Gerade bei den höheren Einkünften ist der Anteil der Frauen deutlich niedriger: In der Gehaltsklasse ab 5.100 Euro brutto pro Monat liegt der Männeranteil bei 79,5 Prozent. Frauen sind hingegen in den niedrigen Einkommensklassen überrepräsentiert. Grund: Viele Arbeitnehmerinnen sind in sozialen und pflegerischen Berufen tätig, in denen vergleichsweise wenig gezahlt wird - und: sie müssen aufgrund der Sorgearbeit häufig in Teilzeit arbeiten.
Gehaltsunterschied von 18 Prozent
Der sogenannte Equal-Pay-Day fiel in diesem Jahr auf den gestrigen 7. März. Bis zu diesem Tag arbeiteten Frauen heuer ohne Entgelt, setzt man die Gehaltsabstriche in Vergleich zum Jahreseinkommen von Männern. Der momentane Gehaltsunterschied beträgt 18 Prozent. Im Jahr 2008 gab es den ersten Equal-Pay-Day, der damals am 14. April stattfand. Die Lohnlücke wurde also seither und auch in den vergangenen Jahren etwas geringer. Allerdings: Die Folgen der Corona-Pandemie zeigen sich erst in den nächsten Jahren.
Gender-Pension-Gap und Gefahr der Altersarmut
Eine geringere Bezahlung bei gleicher Leistung führt überdies zu einer niedrigeren Rente. Die fehlenden Zeiten für Sorgearbeit werden im Rentensystem kaum berücksichtigt. Die Folge des Gender-Pay-Gaps ist deshalb: der Gender-Pension-Gap. Er zeigt an, wie groß der Unterschied bei den Renten von Männern und Frauen ist. Diese geschlechtsspezifische Rentenlücke lag in Europa laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2019 bei 30 Prozent. Die Gefahr, in Altersarmut zu geraten, ist für Frauen also generell größer.
Auch das hängt größtenteils damit zusammen, dass Frauen überdurchschnittlich oft in pflegerischen und sozialen Berufen mit wenig Einkommen arbeiten. Eine Frauenquote allein ist nach Ansicht vieler für eine Chancengleichheit nicht ausreichend. Und: Oft gereicht Frauen schon die Tatsache, dass sie Kinder bekommen können, auch im Job zum Nachteil - unabhängig davon, ob sie denn überhaupt Kinder bekommen wollen.
Viele Frauen sind Gewalt ausgesetzt
Die Lohn- und Rentenunterschiede sind aber nur ein Teil der Problematik.
Die #MeToo-Bewegung, die im Jahr 2017 begann, hat eine weltweite Debatte über sexuelle Belästigung und Gewalt gegenüber Frauen in Gang gesetzt. Männer, die Machtverhältnisse ausnutzen und Frauen unter Druck setzen, treten allerdings nicht nur in der Arbeitswelt auf. Laut Bundesfamilienministerium hat jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Der Täter war und ist meist der Ehemann, Freund oder Ex-Partner. Gewalt gegen Frauen gibt es Untersuchungen zufolge in allen sozialen Schichten, Altersgruppen und Lebenslagen. Der Weltfrauentag möchte ein Zeichen setzen, dass Frauen und Mädchen mehr Unterstützung brauchen, um sich besser zu schützen und sich sicherer zu fühlen.
Geschlechtsbedingte Benachteiligung
Ein weiterer Punkt: Inzwischen gibt es viele unterschiedliche Familienformen und nicht mehr allein die "klassische" Konstellation eines verheirateten Ehepaars mit leiblichen Kindern, sondern zunehmend Alleinerziehende, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, Patchwork-Familien oder gleichgeschlechtliche Familien.
Doch Elternzeit wird nur für den biologischen Elternteil angerechnet und reproduktionsmedizinische Angebote gelten nicht für Familien, die nicht der klassischen Norm entsprechen. In der Rechtsprechung ist die Vielfalt von Familie nicht sichtbar, betont Anna Buschmeyer vom Deutschen Jugendinstitut. Das Zukunftsforum Familie e.V. definiert Familie "überall dort, wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwendung schenken".
Im Hinblick auf den Weltfrauentag und die Forderung nach Gleichberechtigung könnte das bedeuten, dass die Sorge für Kinder unabhängig von der gewählten Lebensform der Eltern unterstützt werden sollte, die Sorgearbeit gerechter aufgeteilt wird und unterschiedliche Lebensgemeinschaften anerkannt werden.
Den Weltfrauentag 2022 feiern
Der Internationale Frauentag im Jahr 2022 steht unter dem Motto #BreakTheBias. Stereotypen, Vorurteile und Ungerechtigkeiten zulasten von Frauen und Mädchen sollen gestoppt beziehungsweise abgebaut werden. Es geht um eine gleichberechtigte, integrative und diverse Welt. Mit zahlreichen Demos und Kundgebungen soll der 8. März ein Zeichen für mehr Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung setzen, aber auch die Vielfalt zelebrieren.
Denn: Auch wenn die Frauen im Vergleich zu anderen Ländern in Freiheit und geringerer Abhängigkeit leben, gibt es doch noch viele Bereiche in denen die Chancengleichheit nicht gegeben ist und Frauen um ihre Rechte kämpfen müssen. In Berlin ist der Weltfrauentag seit 2019 sogar ein Feiertag.
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