Margarete von Wrangell hat es geschafft. Nach Forschungsjahren in England, Frankreich und Estland hat die habilitierte Pflanzenphysiologin einen Ruf als Professorin für Pflanzenernährungslehre an der Hochschule Hohenheim erhalten. Was sich liest wie eine ganz normaler Karriereschritt im Leben einer erfolgreichen Forscherin ist tatsächlich ein Meilenstein im Wissenschaftsbetrieb. Denn der Ruf an Margarete von Wrangell zur ersten ordentliche Professorin in Deutschland erging vor genau 100 Jahren.
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Männerdominierter Wissenschaftsbetrieb
"Aus heutiger Sicht hat Margarete von Wrangell in ihrer wissenschaftlichen Karriere vieles richtig gemacht", sagt Magdalena Kaminska. Die Leipziger systemische Coachin und Change Managerin berät Doktorandinnen sowie weibliche Post-Docs und Führungskräfte bei ihren Karrieren im Wissenschaftsbetrieb. "Sie hat sich gegen den Widerstand in einem zutiefst von Männer geprägtem Umfeld durchgesetzt, indem sie zahlreiche Netzwerke nutzte und sich die Unterstützung eines Mentors gesichert hat."
Förderer und Mentoren gesucht
Viele Wissenschaftlerinnen stehen heute vor ähnlichen Problemen wie Margarete von Wrangell. Die eigene Forschung erfolgreich nach außen darzustellen und in einem noch immer deutlich männlich dominierten Forschungsbetrieb durchzusetzen, erfordert nicht nur Mut, Geschick und Fleiß, sondern vor allem Förderer und Mentoren. Zwar sind mittlerweile auf allen Hierarchieebenen des Wissenschaftssystems Frauen anzutreffen. Aber gerade in höherer Position gibt es nach wie vor einen großen Männerüberschuss – oder anders gesagt - einen Mangel an Frauen.
"Leaky Pipeline" und "gläserne Decke"
Der Frauenanteil bei Erstsemestern in Deutschland lag 2021 bei 52,4 Prozent. Aber unter den hauptberuflichen Professoren betrug der Anteil der Frauen im selben Jahr nur 27 Prozent. Dabei war der Professorinnen-Anteil mit 15 Prozent in den Ingenieurswissenschaften am geringsten, am höchsten mit 42 Prozent in den Geisteswissenschaften. Die "gläserne Decke" für Frauen existiert dabei offenbar besonders an forschungsintensiveren Einrichtungen und das nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit. Das zeigt die Erhebung „U-Multirank Gender Monitor“, erhoben unter Federführung des CHE Centrum für Hochschulentwicklung. Die "Leaky Pipeline", also der absinkende Frauenanteil auf den verschiedenen Qualifizierungsebenen und Karrierestufen, je höher sich eine Person auf der Karriereleiter befindet, ist für den weiblichen Forschernachwuchs ein gravierendes Problem, sagt Coachin Magdalena Kaminska. "Menschen tendieren dazu Menschen zu fördern, die ihnen ähnlich sind, sozioökonomisch zum Beispiel, aber eben insbesondere auch im Hinblick auf das Geschlecht."
Wer fördert wen in der Wissenschaft?
Wissenschaftler fördern also Wissenschaftler und Forscherinnen unterstützen Forscherinnen? So einfach ist es nicht. „Es wäre natürlich ideal, wenn Frauen andere Frauen automatisch fördern würden. Aber viele Frauen haben letztendlich gar nicht das Bewusstsein, dass Frauen besonders gefördert werden sollten – oder es beispielsweise einer Frauenquote bedarf,“ erklärt Magdalena Kaminska. Dabei sei es wichtig, dass Institutsleiterinnen und Professorinnen sich ihrer Machtposition und ihrer Bedeutung als Rollenmodell bewusst werden. "Wenn Wissenschaftlerinnen in Führungspositionen ihre Macht und ihre Verantwortung nutzen, kann das auch andere Frauen wirklich nach vorne bringen."
Förderprogramme reichen nicht
Schon jetzt gibt es zahlreiche Förderprogramme, Stipendien und Initiativen für angehende oder bereits im Berufsleben stehende Wissenschaftlerinnen. Doch die Bedeutung von Frauennetzwerken und -förderprogrammen zu erkennen ist das eine, alte, männlich geprägte Denk- und Handlungsmuster zu durchbrechen, das andere.
Tatsächlich sind die Hindernisse, die Wissenschaftlerinnen in den Weg gelegt werden, noch zahlreich. Zum einen die Rahmenbedingung in der Wissenschaft: Um Innovation zu fördern, sieht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eine hohe Fluktuation in den Forschungseinrichtungen vor. Wer sich aber neben der Wissenschaft um eine Familie kümmert, und das sind überwiegen Frauen, bräuchte vor allem Sicherheit – nicht nur im Hinblick auf die Kinderbetreuung. "Die Wege nach der Promotion sind unglaublich undurchsichtig. Viele Wissenschaftlerinnen fragen sich, was passiert mit mir? Was passiert, wenn ich permanent publizieren und auf Konferenzen reisen muss oder gar für die wissenschaftliche Karriere ins Ausland gehen soll - aber eine langfristige Sicherheit fehlt," sagt Coachin Magdalena Kaminska.
Der Mythos, dass Leistung alleine zählt
Entscheiden sich Frauen trotz allem für die Wissenschaft, stehen sie vor der nächsten Herausforderung: dem Meritokratiemythos. Damit gemeint ist die Annahme, das Leistung unabhängig vom Geschlecht bewertet wird. "Es gibt eine Voreingenommenheit gegenüber Frauen in der Wissenschaft, die der Wertschätzung und Förderung von Wissenschaftlerinnen im Weg steht", sagt Magdalena Kaminska. Laut einem Bericht der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ist Forschung von Frauen tatsächlich weniger hoch angesehen als die Themen der männlichen Kollegen und ihre Leistung wird im gleichen Zuge schlechter bewertet. Ein nachgewiesener Mechanismus, der laut einer Handreichung des GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften von vielen Professorinnen selbst aber tatsächlich abgestritten wird. Demnach berichten Wissenschaftlerinnen zwar darüber, dass sie Benachteiligungen bei Kolleginnen durchaus wahrnehmen, die eigene Betroffenheit werde aber regelmäßig zurückgewiesen. Auch für von ihnen geschilderte Erlebnisse, die Probleme und Zurücksetzungen beinhalten, werde Geschlecht als bedeutsamer Erklärungsansatz häufig abgelehnt bzw. relativiert.
Wissen, wofür man kämpft
Dass sich Leistung im Wissenschaftsbetrieb auch für Frauen lohnen kann, hat Margarete von Wrangell vor 100 Jahren als erste in Deutschland bewiesen. Doch auch für sie war es kein leichter Weg. 1923 schreibt sie an ihre Mutter: "Ich habe viele Kämpfe in meinem Berufe. Ich bin der (sic!) erste ordentliche weibliche Professor in Deutschland. Bin zudem durch einige wissenschaftliche Größen öffentlich anerkannt worden. Das hat mir die Feindschaft vieler eingetragen; aber mein Institut ist eine Schöpfung, die von dauerndem Wert und Nutzen bleiben wird, und macht mir trotz großer Sorge und Arbeitsüberlastung doch Freude. Jedenfalls weiß ich, wofür ich kämpfe."
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