Ab kommenden Montag, dem 23. August, werden viele Aktivitäten des öffentlichen Lebens nur noch mit der "3G"-Regelung möglich sein. Das haben Bund und Länder in einer Videokonferenz am 10. August beschlossen. Konkret bedeutet das:
"Wer nicht vollständig geimpft ist oder nicht als genesen gilt, muss künftig in vielen Fällen entweder einen Antigen-Schnelltest (maximal 24 Stunden alt) oder einen PCR-Test (maximal 48 Stunden alt) vorlegen. Tests werden damit zur Voraussetzung zum Beispiel für den Zugang zu Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, zur Innengastronomie, zu Veranstaltungen und Festen, aber auch zum Besuch beim Friseur oder im Kosmetikstudio. Gleiches gilt für Sport im Innenbereich oder Beherbergungen etwa in Hotels und Pensionen." (Mitteilung der Bundesregierung)
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Kaum Änderungen in Bayern
Bayern will die Bund-Länder-Beschlüsse laut Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) "eins zu eins umsetzen". Ohnehin ändere sich damit an den bestehenden Maßnahmen nicht viel. "Die Testpflicht gilt schon, wir passen lediglich die Inzidenzgrenze an." Wer nicht geimpft oder genesen ist, braucht bisher einen Test ab einem örtlichen Inzidenzwert von 50, jetzt soll die Grenze auf 35 gesenkt werden. Was genau damit jetzt in Bayern gilt, haben wir hier für Sie zusammengefasst.
In den sozialen Medien verbreiten sich Gerüchte
Also alles wie gehabt? Im Internet sorgt der Beschluss trotz der beschwichtigenden Worte der Politik jetzt schon für Gerüchte - besonders in Bezug auf die Bundestagswahl. Einige User mutmaßen, die Politik könne versuchen, Ungeimpften und Ungetesteten das Wahlrecht vorzuenthalten – indem sie die 3G-Regel zur Zulassungsvoraussetzung für die Wahllokale macht.
Unter einem Youtube-Video der AfD etwa schreibt ein User:
"Für das Wahllokal lasse ich mich nicht mit einem Test oder Giftspritze erpressen! So etwas nennt man Wahlbetrug übelster Sorte! Briefwahl=SED Wahl! Können wir uns also schenken! Klartext: Wahlverbot für Ungespritzte!…" (User in einem Youtube-Kommentar)
Doch was ist dran an den Behauptungen? Käme 3G im Wahllokal tatsächlich einem "Wahlverbot" gleich, wie hier behauptet wird? Welche gesetzlichen Grundlagen bräuchte eine solche faktische Einschränkung des Stimmrechts? Und wie wahrscheinlich ist das überhaupt? Der #Faktenfuchs hat recherchiert.
Plant die Bundesregierung ein "Wahlverbot für Ungespritzte"?
Solche Vermutungen entbehrten "jeglicher rechtlicher Grundlage", sagt Josef Franz Lindner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg. Es gebe keinerlei "Restriktionen derzeit im Wahlrecht, die die Urnenwahl (...) einschränken würden". Vermutungen, die Politik würde Menschen mittels der 3G-Regel von der Wahl ausschließen, seien "völlig haltlos".
Welche Corona-Regeln am Wahltag in den Wahllokalen gelten werden, ist derzeit allerdings noch unklar. Auf Twitter beantwortet der Bundeswahlleiter eine dahingehende Frage sehr allgemein:
"Das Schutzkonzept am Wahltag orientiert sich an der pandemischen Lage. Maßgeblich werden die infektionsschutzrechtlichen Regelungen von Bund und Ländern sein." (Bundeswahlleiter, Twitter)
Am Telefon erklärt eine Mitarbeiterin der Pressestelle dem #Faktenfuchs auf Nachfrage, man versuche derzeit, sich länderübergreifend auf gemeinsame Corona-Regelungen für die Wahl zu einigen. Sie rechnet mit einer Entscheidung in der kommenden Woche.
Welche Hygienemaßnahmen gelten bei der Wahl?
Würde morgen gewählt, dann dürften in den Wahllokalen keine 3G-Regeln gelten. "Zum Stand jetzt werden alle unabhängig von ihrem Coronastatus in die Wahllokale reingelassen", sagt Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf.
Hintergrund ist, dass die geplante Einführung der 3G-Regeln in Innenräumen bisher nur ein Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz ist - und überdies erst bei einer Sieben-Tage-Inzidenz über 35 gilt. Damit der Beschluss rechtskräftig werde, müsse er noch von den Ländern umgesetzt werden - "durch Landesverordnungen, die ihrerseits ihre Grundlage im Infektionsschutzrecht haben", erklärt der Jurist Lindner. Dabei haben die Länder Spielraum, sie können die Verordnungen nach ihren Vorstellungen ausgestalten. Baden-Württemberg hat das schon getan, Bayern und viele andere Bundesländer bisher noch nicht.
Baden-Württemberg hat in diesem Zuge übrigens schon die Maskenpflicht in den Wahllokalen in der Verordnung festgeschrieben. Von 3G-Regeln bei der Wahl ist aber auch dort keine Rede.
Wie wahrscheinlich ist es, dass in den Wahllokalen die 3G-Regeln gelten werden?
Sowohl Lindner als auch Schönberger, die auch Ko-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung ist, halten das für höchst unwahrscheinlich. Hintergrund ist, dass eine derart gravierende Einschränkung des Stimmrechts - denn nichts anderes wäre es, wenn nur Geimpfte, Getestete und Genesene in die Wahllokale gelassen würden - eine klare rechtliche Grundlage braucht.
Grundsätzlich gibt es dafür zwei Möglichkeiten:
- Der Bundestag könnte das Bundeswahlrecht im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens anpassen.
- Die Regierungen der Länder könnten die 3G-Regelung als Zutrittsvoraussetzung für Wahllokale in ihre Infektionsschutzverordnungen aufnehmen.
Der weitaus rechtssichere Weg wäre der erste, sagen Schönberger und Lindner übereinstimmend. Denn ein so grundlegender Eingriff in das Wahlrecht brauche die demokratische Legitimation des parlamentarischen Prozesses. "Eine 3G-Regelung jetzt in einer Infektionsschutzverordnung zu verankern, das halte ich für völlig unzureichend", sagt Lindner. Würden die Länder 3G im Wahllokal einfach per Verordnung einführen, dann wäre das wahrscheinlich sogar verfassungswidrig. "Und das eröffnet jedem Bürger die Möglichkeit, Einspruch gegen die Bundestagswahl einzulegen." Im schlimmsten Fall müsste die Wahl wiederholt werden.
Für eine Gesetzesänderung fehlt die Zeit
Doch um jetzt - wenige Wochen vor der Bundestagswahl - noch das Bundeswahlrecht anzupassen, fehlt schlichtweg die Zeit. Nicht nur, weil es dauert, eine solche Gesetzesänderung durch das Parlament zu bringen. Sondern auch, weil die Bundestagswahl eigentlich schon begonnen hat: Briefwahlunterlagen können schon angefordert werden.
"Wenn man jetzt im laufenden Verfahren gewissermaßen die Spielregeln ändert, dann legt man sich in diese Wahl einen verfassungsrechtlichen Sprengsatz hinein, der einem dann möglicherweise (...) irgendwann um die Ohren fliegt", so Lindner.
Die Briefwahl ist zwar eine Alternative – aber keine gleichwertige
Doch warum ist das eigentlich so? Schließlich kann doch, wer sich den Regeln im Wahllokal nicht beugen möchte, auch einfach per Briefwahl wählen? Tatsächlich geht der Bundeswahlleiter Georg Thiel davon aus, dass viele Menschen diese Möglichkeit diesmal nutzen werden: "Wir rechnen mit einem deutlichen Anstieg. Es kann auch eine Verdoppelung sein. (...) Sicher ist wohl: Es werden erheblich mehr."
Juristisch sei das aber nicht einfach mit der Wahl im Wahllokal gleichzusetzen, sagt Schönberger. Denn bei der Briefwahl "kann nicht mehr in gleicher Weise sichergestellt werden, dass zum Beispiel die Geheimheit der Wahl gewährleistet ist, dass nicht doch jemand Kenntnis davon hat, was sie wählen oder sie Druck ausgesetzt werden, mit dem sie dann ihrer Familie, ihren Mitbewohnern, wem auch immer, offenbaren sollen, was sie gewählt haben."
Auch Josef Franz Lindner sieht das so: Das Bundesverfassungsgericht habe es "als hochrangiges Wahlrechtsprinzip postuliert", dass die Wahl öffentlich ist, indem man in Präsenz im Wahllokal wählen kann. Die Menschen jetzt, in Abhängigkeit von ihrem Corona-Status, auf die Briefwahl zu verweisen, "wäre nur in einer Situation zulässig, wo die infektiologische Gefährdungslage so drastisch wäre, dass die Urnenwahl nicht verantwortbar wäre".
Fazit: Vermutungen, nur Geimpfte, Getestete oder Genesene dürften am Wahltag in den Wahllokalen wählen, sind zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation. Welche Regeln genau gelten werden, ist noch nicht sicher. Im Büro des Bundeswahlleiters rechnet man mit einer Entscheidung dazu in der letzten Augustwoche.
Dass die 3G-Regeln im Wahllokal gelten, halten zwei Experten für höchst unwahrscheinlich: Denn dafür müsste zunächst eine rechtssichere Rechtsgrundlage geschaffen werden, andernfalls könnte die Wahl angefochten werden. Anders gesagt: Der Bundestag müsste das Bundeswahlrecht anpassen. Dass vor der Wahl noch zu schaffen, ist zeitlich kaum noch möglich. Zudem wäre es problematisch, jetzt noch "die Spielregeln" anzupassen. Immerhin hat die Wahl formal schon begonnen, Briefwahlunterlagen können schon angefordert werden.
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