Zecken sind in der Natur allgegenwärtig. Fast ganz Deutschland ist Risikogebiet und die Saison wird aufgrund des Klimawandels immer länger. Zwar hat nicht jeder Zeckenstich Folgen für die Gesundheit, aber trotzdem besteht ein Risiko. Zecken können viele verschiedene Krankheitserreger übertragen.
Die bekanntesten sind die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und die Lyme-Borreliose. Sie tritt sehr viel häufiger auf als FSME. Um sich vor Borreliose zu schützen, helfen bis jetzt nur Vorsicht und im Falle einer Infektion Antibiotika. Gegen Borreliose gibt es, anders als bei FSME, noch keinen Impfstoff - bisher zumindest, denn die Forschung steht anscheinend kurz vor einem Durchbruch.
- Zum Artikel: "Borreliose durch Zeckenstich: Symptome und Behandlung"
Neu entwickelter Impfstoff gegen Borreliose
Die Pharmaunternehmen "Valneva" und "Pfizer" arbeiten schon seit Längerem an dem Lyme-Borreliose-Impfstoff VLA15. Der neu entwickelte Impfstoff ist ein Sechsfachimpfstoff, der auf die am häufigsten vorkommenden Arten von Borrelien (Serotyp 1-6) in Europa und Nordamerika abzielt. Unter Serotypen versteht man Untergruppen von zum Beispiel Bakterien oder Viren.
Der Impfstoff von Valneva wird als proteinbasierter Untereinheiten-Impfstoff (Subunit-Impfstoff) bezeichnet. Er verwendet bestimmte Teile des Erregers, Proteinfragmente, die in Zellkulturen hergestellt werden, ähnlich wie beim Impfstoff gegen Hepatitis B. Dies minimiert das Risiko von Nebenwirkungen, bedeutet aber auch, dass die Immunantwort schwächer sein kann. Proteinbasierte Impfstoffe enthalten daher einen Zusatzstoff, der die Wirkung verstärkt: ein sogenanntes Adjuvans.
"Die Impfung gegen Borrelien ist sehr komplex", sagt Volker Fingerle vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) im Interview mit dem BR. "Wir haben in Deutschland sechs verschiedene humanpathogene Arten, also Borrelien-Arten, die den Menschen krank machen können. Und jede Borrelien-Art sieht für das Immunsystem unterschiedlich aus. Das heißt, man muss einen Impfstoff machen, in dem sechs verschiedene Borrelien-Antigene drin sind. Das ist kompliziert."
Der neu entwickelte Impfstoff gegen Borreliose ist nicht der erste, der entwickelt wurde. In den USA ist ein Impfstoff zugelassen, der sich aber schlecht verkauft habe, sagt Fingerle. Für Europa ist der Impfstoff nicht interessant, denn er wirkt nur gegen eine Art von Borrelien, die in den USA besonders relevant ist. Der neu entwickelte Impfstoff von Valneva und Pfizer wirkt gegen verschiedene Arten von Borrelien - sowohl gegen die in den USA vorkommenden als auch gegen die meisten europäischen Arten.
Bisherige Studienergebnisse: wirksamer und verträglicher Impfstoff
Die bisherigen Studienergebnisse der Phase-II-Studien von Valneva wurden im Fachmagazin "The Lancet Infectious Diseases" (externer Link) veröffentlicht. Die Bilanz: "Wir haben gesehen, dass der Impfstoff sehr gut verträglich ist - über die gesamte Palette aller getesteten Probanden", sagt Thomas Lingelbach von Valneva im Interview mit dem BR. Außerdem sei die Immunantwort ausbalanciert, das heißt sie zeige eine ausgewogene Wirksamkeit gegen alle Borrelien-Arten und löse eine starke Immunantwort nach der Impfung aus. Alles Daten, die zuversichtlich stimmen dürfen, meint Fingerle.
Vorgehen in der Entwicklung des Borreliose-Impfstoffs
Bisher wurden zwei klinische Phase-II-Studien an Erwachsenen durchgeführt, um die richtige Dosierung des Impfstoffes und das optimale Impfschema für VLA15 zu finden. In dieser Phase wird ein Medikament oder ein Impfstoff an einer kleineren Gruppe Probanden getestet. Diese beiden Studien und eine dritte Phase-II-Studie mit Kindern sind die Grundlage für die derzeit laufende Phase-III-Studie, die für eine Zulassung relevant ist. Der Name: "Vaccine Against Lyme for Outdoor Recreationists" (VALOR). Phase-III-Studien sind in der Regel große Studien mit einer hohen Anzahl an Probanden, die nicht nur lokal, sondern an verschiedenen Standorten in verschiedenen Ländern durchgeführt werden.
Insgesamt nehmen an der VALOR-Studie 9.437 Probanden ab fünf Jahren aus den USA, Kanada und Europa teil. Dabei soll die Wirksamkeit, die Sicherheit und die Immunogenität, also die Fähigkeit des Impfstoffs, eine Immunantwort auszulösen, umfassend bewertet werden: "Wir freuen uns, dass diese Ergebnisse nun Experten für Infektionskrankheiten zur Verfügung stehen", so Juan Carlos Jaramillo, Chief Medical Officer von Valneva, in einer Pressemitteilung des Unternehmens (externer Link). "Lyme-Borreliose ist die häufigste durch Vektoren übertragene Infektionskrankheit in Nordamerika und Europa. Wir sind sehr zufrieden mit den laufenden Studien und den Fortschritten auf dem Weg zu einem potenziellen Impfstoff gegen diesen ungedeckten medizinischen Bedarf."
Wie arbeitet der Impfstoff gegen Borreliose?
Der Impfstoff gegen Borreliose verhindert die Übertragung der Borrelien von der Zecke auf den Menschen. Die Antikörper, die durch die Impfung induziert werden, sind gegen das sogenannte Oberflächenprotein A (OspA) gerichtet, das die Borrelien in der Zecke auf ihrer Oberfläche tragen. Die Zecke nimmt, wenn sie saugt, die Antikörper auf, die dann in den Magen der Zecke gelangen. In ihrem Magen-Darm-Trakt befinden sich die Borrelien. Die Antikörper attackieren und töten die Borrelien oder inaktivieren sie zumindest. So könnten Borrelien praktisch nicht übertragen werden, erklärt Volker Fingerle vom LGL.
Wann wird der Borreliose-Impfstoff zugelassen?
Sollten alle erhobenen Daten positiv ausfallen, planen Valneva und Pfizer im Jahr 2026 einen Lizenzantrag bei der "Food and Drug Administration" (FDA), also der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten und einen Antrag auf Marktzulassung bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zu stellen.
Wie oft muss geimpft werden?
In den Phase-II-Studien wurden zwei verschiedene Impfschemata getestet. Valneva hat sich für ein Dreierimpfschema als Primärimpfung entschieden. Offen ist noch, ob geboostert werden muss: "Man muss bei einem Impfstoff gegen Lyme-Borreliose davon ausgehen, dass man unter Umständen jährlich boostern muss. Und das ist eine Fragestellung, die derzeit noch parallel zur Phase 3 in weiteren Phase-II-Studien und als Follow-up einer Phase-II-Studie weiter evaluiert wird", sagt Lingelbach.
Was ist Borreliose eigentlich?
Borreliose ist die am häufigsten von Zecken übertragene Krankheit in Europa und wird von Bakterien ausgelöst. Borreliose wird auch Lyme-Borreliose oder Lyme-Krankheit genannt. Seit dem 1. März 2013 gibt es in Bayern eine Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte, um weitere Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie viele Fälle es gibt und wo sie auftreten. Eine Auswertung der Daten aus den Meldejahren 2013 bis 2020 belegt, dass in diesem Zeitraum insgesamt 35.458 Fälle in Bayern gemeldet wurden. Die Inzidenz variiert von Ort zu Ort deutlich. Hochrisikogebiete sind zum Beispiel der Bayerische Wald und Teile Frankens. Zudem sei ein hohes Risiko für Lyme-Borreliose bei 5- bis 9-jährigen Jungen und 60 bis 69-jährigen Frauen festgestellt worden, schreibt das Landesamt für Gesundheit (LGL) (externer Link) mit Bezug auf die Studienergebnisse (externer Link). Wöchentlich aktualisierte Meldezahlen zur Lyme-Borreliose (externer Link) werden auf der Homepage des LGL veröffentlicht.
Wie kann man sich vor Borreliose schützen?
Gegen Borreliose hilft bisher am besten, Zeckenstiche gänzlich zu vermeiden. Schutz bieten die richtige Kleidung bei einem Aufenthalt im Freien, Schutzsprays und vor allem das gründliche Absuchen nach Zecken, wenn man wieder zu Hause ist. Auch das schnelle Entfernen von Zecken nach einem Stich bietet aufgrund der Übertragungsdauer der Borrelien von circa zehn bis 30 Stunden einen gewissen Schutz. Die Übertragungsdauer variiert von Art zu Art: "Je länger die Zecke saugt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit der Übertragung," sagt Fingerle. Deshalb sollte die Zecke so früh wie möglich entfernt werden.
Welche Symptome treten bei Borreliose auf?
Die Lyme-Borreliose ist schwer zu diagnostizieren, da die Symptome häufig unspezifisch sind. Ein mögliches und typisches Symptom ist die sogenannte Wanderröte, eine ringförmige und schmerzlose Rötung, die sich an der Stichstelle und an anderen Körperstellen zentrifugal ausbreiten kann. Die Rötung kann Tage bis Wochen nach dem Stich auftreten. Sie tritt allerdings nicht bei allen Betroffenen auf. Neben der Wanderröte sind grippeähnliche Symptome wie Fieber und Abgeschlagenheit, Glieder- und Gelenkschmerzen oder auch Lymphknotenschwellungen und Kopfschmerzen symptomatisch.
Ein zweites Krankheitsstadium kann nach Wochen oder Monaten auftreten. Zu den Symptomen gehören schmerzhafte Gelenkentzündungen, meist an Knien, Händen oder Knöcheln, aber auch Herzprobleme und verschiedene Symptome der Hirnhautentzündung.
Behandlung der Borreliose mit Antibiotika
Gegen eine Borreliose-Infektion werden Antibiotika verschrieben: "Patienten, die im Frühstadium der Lyme-Borreliose mit geeigneten Antibiotika behandelt werden, erholen sich in der Regel rasch und vollständig", so das Robert Koch-Institut (RKI) (externer Link). Die Behandlung der Borreliose mit Antibiotika ist also nur erfolgversprechend, wenn eine Infektion rechtzeitig diagnostiziert wird.
Sie habe eine nachgewiesene Wirksamkeit von etwa 80 Prozent, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt angewendet werde, sagt Lingelbach. Problem ist, dass viele Menschen gar nicht bemerken, wenn sie von einer Zecke gestochen werden oder die typischen Symptome fehlen. Unbehandelt könnten sich Folgeerkrankungen entwickeln, die dann auch durchaus schwer sein können, sagt Fingerle.
Warum ist eine Impfung gegen Borreliose sinnvoll?
Eine Impfung ist eine präventive Lösung und kann später eintretende Erkrankungsverläufe der Borreliose verhindern. Der Umgang in der Natur sei zudem entspannter, wenn man sich vor einer Infektion mit Borreliose prophylaktisch schützen könne, meint Fingerle.
Erst seit einigen Jahren hat man zudem erkannt, dass Borreliose ein ernstes - und stark zunehmendes - Problem ist. Durch den Klimawandel breiten sich Zecken und Moskitos immer stärker aus: "Wir sehen wachsende Zahlen und daher sollte man an einer prophylaktischen Lösung arbeiten", meint Lingelbach von Valneva zur Motivation, einen Impfstoff gegen Borreliose zu entwickeln. "Das ist eigentlich der externe Push gewesen."
Zeckensaison dauert länger
Das Thema Zecken kommt auch immer früher im Jahr auf - denn die Zeckensaison startet häufig auch früher als "normal". Gewöhnlich haben die Tiere von April bis Ende Oktober Hochsaison. Darauf ist aber aufgrund der Klimaerwärmung kein Verlass mehr. Bei mildem Wetter sind die Blutsauger schon deutlich eher durstig.
FSME-Virus in wärmeren Wintern aktiver
Da die Wintertemperaturen zunehmend weniger kalt ausfallen, wird schon seit mehreren Jahren die sogenannte Winteraktivität der Zecken beobachtet, sagte Ute Mackenstedt, Leiterin des Fachgebiets für Parasitologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart im Interview mit dem BR 2023: "Das bedeutet auch, dass die Gefahr von Infektionen deutlich früher droht und sehr hoch ist." Das bestätigt auch Gerhard Dobler, Leiter des Nationalen Konsiliarlabors FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr: "Damit verlängert sich der Zeitraum der Zecken-Aktivität über das Jahr gesehen um Tage bis Wochen. Dies ist auch am immer früheren Auftreten der durch Zecken übertragenen Krankheiten zu beobachten."
In Bayern schwankt die Zahl der gemeldeten und diagnostizierten Borreliose-Erkrankungen von Jahr zu Jahr deutlich. In den vergangenen drei Jahren lagen die Zahlen zwischen 3.200 und fast 4.000. Heuer sind bisher 853 Fälle gemeldet (Stand 12.6.2024). Aber auch hierbei handelt es sich nur um gemeldete Fälle. Eine hohe Dunkelziffer ist wahrscheinlich.
FSME-Fälle nehmen zu
Die Verbreitung von FSME in Deutschland weitet sich aus. Es kommen immer mehr Risikogebiete hinzu. Aber: Die Durchseuchung der Zecken mit dem FSME-Virus bleibe gleich, sagt Dobler. FSME-Fälle liegen auf deutlich niedrigerem Niveau als Borreliose-Erkrankungen. Im Jahr 2023 wurden in Bayern 239 Fälle gemeldet, 2022 waren es 266. In diesem Jahr sind es bisher 51 Fälle (Stand 12.6.2024) - was über dem Schnitt zum Vergleichszeitraum 2023 liegt. Das RKI erfasst nur die gemeldeten Fälle. Auch hier ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Viele FSME-Infektionen werden nicht als solche erkannt, denn eine Infektion führt nicht immer zu einer Erkrankung.
Impfbereitschaft ist gering
Menschen, die in FSME-Risikogebieten wohnen, arbeiten oder sich dort aus anderen Gründen aufhalten und dabei ein Risiko für Zeckenstiche haben, empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) eine FSME-Impfung. Die meisten der übermittelten FSME-Erkrankten ist aber nicht oder nur unzureichend dagegen geimpft. Die Impfquoten seien auch in Risikogebieten auf niedrigem Niveau, so das RKI.
Zum Audio: Zecke - Kleiner Parasit mit großem Risiko
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