Die Möglichkeiten, sich mit Freunden im Freien zu treffen, draußen Sport zu treiben oder auch einfach nur in der Schule auf dem Pausenhof zu spielen, sind wegen der Maßnahmen zur Corona-Eindämmung im Moment nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Da bleibt nicht viel, als zuhause im Zimmer zu lesen oder vorm PC oder Smartphone zu hocken – zumal auch der Unterricht momentan via Computer stattfindet. Bewegung am Tageslicht – Fehlanzeige.
Das hat Folgen, nicht nur für die Fitness, sondern auch fürs Augenlicht. Denn eine übermäßige Nutzung von Smartphones, Tablets und Computern im frühen Kindesalter führt zu mehr Kurzsichtigkeit. "Studien zeigen, dass Kurzsichtigkeit zu rund 50 Prozent vom Lebensstil beeinflusst wird", meint Bettina Wabbels von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).
Kurzsichtigkeit: Stubenhocker sind gefährdet
Eine Studie, veröffentlicht im Fachblatt "Nature Genetics", an mehr als 160.000 Probanden hatte bereits im Mai 2018 herausgefunden, dass nicht nur das lange Lesen und Starren auf Bildschirme kurzsichtig mache, sondern besonders der Umstand, dass dies häufig drinnen bei künstlicher Beleuchtung geschehe.
Tageslicht für "gute" Augen
Wenig helles Tageslicht bedeutet bei Kindern und Jugendlichen ein hohes Risiko, kurzsichtig zu werden. Denn im Freien herrscht an sonnigen Tagen auch im Schatten eine Lichtstärke von etwa 10.000 Lux. In einem Klassenraum oder Kinderzimmer sind dagegen meist nur 500 Lux. Deshalb seien besonders die Stubenhocker gefährdet, die stundenlang bei mangelhafter Beleuchtung Bücher lesen oder bei Onlinespielen auf den Computerbildschirm oder das Smartphone starren, sagen die Wissenschaftler.
"Das Wahrscheinlichkeitsverhältnis für das Auftreten einer Myopie ist bei geringer Tageslichtexposition um den Faktor 5 erhöht und steigt durch ein zusätzlich hohes Maß an Naharbeit auf das bis zu 16-fache an", so Prof. Dr. med. Wolf A. Lagrèze 2017 im Deutschen Ärzteblatt.
Im Lockdown wird digital mehr gespielt
Fakt ist auch, dass Kinder und Jugendliche während des ersten Corona-Lockdowns bis zu 75 Prozent mehr Zeit mit digitalen Spielen verbracht haben. Sei es aus Langeweile zuhause, sei es, weil Eltern sich in Zeiten von geschlossenen Kitas und Homeoffice häufig kaum anders zu helfen wussten, auch die Kleinen vorm Smartphone oder Tablet zu "parken". Haben im September 2019 die Kinder durchschnittlich 79 Minuten werktags mit Spielen verbracht, waren es im April dieses Jahres 139 Minuten. Das ist das Ergebnis einer Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit in Zusammenarbeit mit Forschern des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
Besser keine Handys für die Kleinsten
Bei Kindern unter drei Jahren führe ein häufiges Starren auf nahe Computerbildschirme zu einem Wachsen des Augapfels und damit zu einem längeren Auge. "Ist ein Auge einmal so gewachsen, schrumpft es nicht mehr", ergänzt Bettina Wabbels, die Leiterin der Abteilung für Orthoptik, Neuro- und pädiatrische Ophthalmologie an der Universitäts-Augenklinik Bonn. Die Kurzsichtigkeit (Myopie) bleibe dann ein Leben lang. Zwar lässt sich der Fehler durch eine Brille oder Kontaktlinsen beheben, doch die langfristige Gefahr einer Netzhautablösung bleibt bestehen.
Was ist Kurzsichtigkeit überhaupt?
Kurzsichtigen können weit entfernte Gegenstände nur verschwommen oder gar nicht erkennen, sie sehen nur in "kurzen" Distanzen gut. In der Fachsprache heißt Kurzsichtigkeit auch "Myopie". Der häufigste Grund für Kurzsichtigkeit ist die Bauweise des Augapfels. Er ist länger als beim normal sehenden Auge, das circa 24 mm lang ist. Ist es auch nur einen Millimeter länger, hat der Mensch bereits - 3 Dioptrien. Das bedeutet, dass der entfernteste Punkt, der scharf gesehen werden kann, 30 Zentimeter weit entfernt ist.
Später Blick auf den Screen führt zu Schlafstörungen
Ein übermäßiger elektronischer Medienkonsum hat noch weitere negative Auswirkungen. So steht der abendliche Griff zu Smartphone & Co. im Verdacht, Schlafstörungen auszulösen. "Der hohe Blaulichtanteil der Bildschirme hemmt die Ausschüttung des Hormons Melatonin, das schläfrig macht", erläutert Bettina Wabbels von der Universitäts-Augenklinik Bonn, und empfiehlt, elektronische Medien ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen abzuschalten.
Ihre Tipps im Umgang mit Medien:
- Kinder unter drei Jahren sollten möglichst keine Zeit vor dem Bildschirm verbringen
- Vier- bis Sechsjährige bis maximal 30 Minuten täglich
- Grundschüler bis zehn Jahre maximal eine Stunde täglich
- ab einem Alter von etwa zehn Jahren bis zu zwei Stunden pro Tag
Kurzsichtigkeit bei Kindern in Deutschland
Hat die steigende Mediennutzung der vergangenen Jahre denn zu vermehrter Kurzsichtigkeit geführt? Das haben Forscher in der sogenannten KIGGS-Studie bei Kindern in Deutschland untersucht. Danach ist die Häufigkeit von Myopie über etwa zehn Jahre Jahre bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland nahezu unverändert. In den Jahren 2003–2006 betrug die Myopieprävalenz im Alter von 0–17 Jahren 11,6 Prozent, in den Jahren 2014–2017 11,4 Prozent. In keiner der Altersgruppen beider Geschlechter zeigte sich eine relevante und statistisch signifikante Veränderung in der Myopieprävalenz, so die Forscher. Das heißt, dass die Veränderungen in der Mediennutzung bisher keinen nachweisbaren Einfluss auf die Myopie-Entstehung haben. Zukünftige Studien sollten den Einfluss eventuell weiter steigender Mediennutzung sowie Langzeiteffekte betrachten, empfehlen die Autoren der Studie im Deutschen Ärzteblatt vom 11. Dezember 2020 (Jg. 117 | Heft 50). Die Problematik, ob ein Lockdown die Situation verschärft, ist in dieser Studie allerdings nicht enthalten.
Führt der Lockdown zur Kurzsichtigkeit?
Wie also sieht die Situation unter den verschärften Bedingungen des Lockdowns aus? Forscher aus China haben den Zusammenhang zwischen Lockdown während des COVID-19-Ausbruchs und der Entwicklung von Myopie bei Kindern im schulpflichtigen Alter untersucht. Sie fürchteten, dass eine kürzere Zeit im Freien und eine längere Bildschirmdauer zu Hause zu vermehrter Kurzsichtigkeit bei Kindern geführt habe.
China war vom Januar bis Mai 2020 im strengen Lockdown. Die Schulen öffneten erst wieder im Juni 2020. In diesem Monat untersuchten die Forscher insgesamt 123.535 Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren aus zehn Grundschulen in Feicheng, China. Die Studie war Teil einer jährlichen Untersuchung, die seit 2015 durchgeführt wird.
Die 6 bis 8-Jährigen leiden unter einer Zunahme von Kurzsichtigkeit
Bei den Screenings im Jahr 2020 wurde im Vergleich zu den Vorjahren (2015-2019) für jüngere Kinder im Alter von 6 bis 8 Jahren eine Zunahme der Kurzsichtigkeit festgestellt. Die Ergebnisse weisen bei den sechsjährigen Kindern eine dreimal höhere Häufigkeit von Myopie auf, bei den siebenjährigen eine zweimal höhere und bei den achtjährigen Kindern eine 1,4-mal höhere.
Bei den älteren Kindern im Alter 9 bis 13 wurde kaum ein Anstieg der Kurzsichtigkeit festgestellt. Deshalb schlussfolgern die Forscher, dass der Lockdown zu einer Erhöhung der Kurzsichtigkeit bei Kindern im Alter von 6 bis 8 Jahren geführt hat. Gleichwohl, so räumen die Forscher ein, müssten bei der Interpretation der Daten zahlreiche Einschränkungen berücksichtigt werden. So ist auch eine Vermutung, dass die Brechkraft der Augen bei jüngeren Kindern möglicherweise empfindlicher auf Umweltveränderungen reagiert als bei älteren, da sich die jüngeren Kinder in einer kritischen Phase für die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit befinden.
Bewertung der Studie
"Die Stärke der Publikation liegt in der hohen Fallzahl, eine Schwäche darin, dass nicht in Zykloplegie gemessen wurde [das heißt, dass die dynamische Anpassung der Brechkraft des Auges durch Tropfen lahmgelegt wird] und es keine Daten zur Bulbuslänge [Länge des Augapfels] gibt. [...] Es ist zu hoffen, dass die Arbeitsgruppe im Folgejahr erneut berichtet. Es wird dann spannend sein zu sehen, ob der Trend nach der Pandemie wieder rückläufig ist. Offen bleibt die Frage, ob die Veränderung darauf beruht, dass die Kinder nicht draußen waren oder dass die Kinder viel Zeit vor Bildschirmen verbrachten. Das kann die Studie nicht beantworten." Prof. Dr. med. Wolf Lagrèze von der Augenklinik des Universitätsklinikums Freiburg
Raus ans Tageslicht: China will Kurzsichtigkeit vorbeugen
Der Rat von Augenärzten lautet, Kinder mindestens zwei Stunden am Tag zum Spielen nach draußen zu schicken. Das belegen auch Versuche in China, wo mittlerweile mehr als 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Myopie betroffen sind. Der Anteil der Kurzsichtigen sinkt spürbar, wenn mehr Unterricht im Freien stattfindet oder die Kinder ihre Pausen an der frischen Luft verbringen. Statt drinnen auf den Bildschirm zu starren, sollten Kinder lieber im Freien auf den Horizont blicken, das könnte in jedem Fall den Weitblick erhalten – auch wenn das in Zeiten der Corona-Pandemie nicht immer so einfach zu realisieren ist.
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