Schnell fahrende Feldspritze auf Getreide.
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Pflanzenschutzmittel: Bayern legt Zahlen zu ihrem Einsatz auf dem Feld vor.

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19 Prozent weniger Pestizide in Bayern: Was steckt dahinter?

Zum ersten Mal hat das Landwirtschaftsministerium Zahlen veröffentlicht, wie viele der sogenannten Pflanzenschutzmittel auf Bayerns Felder ausgebracht werden. Das zentrale Ergebnis und die Erhebungsmethode werfen Fragen auf.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Das Ziel ist klar: Bis 2028 will der Freistaat den Einsatz von Pestiziden um die Hälfte gesenkt haben. Bereits 2019 war das Vorhaben als Reaktion auf das Volksbegehren Artenvielfalt in Gesetzesform gegossen worden. Lange war aber unklar, wie es erreicht werden sollte. Denn die Grundlage dafür fehlte bis zuletzt: Die Ausgangsbasis - die Daten darüber, wie viele Pestizide aktuell überhaupt zum Einsatz kommen.

Ministerium: Landwirte haben Einsatz um 19 Prozent gesenkt

Mit dem "Bericht zum Einsatz und zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln" hat die Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) nun nachgelegt. Sie präsentierte zu Beginn der Woche ein Ergebnis, das viele erstaunte: Im Vergleich zum Mittel zwischen 2014 und 2018 haben Landwirte in Bayern im Jahr 2022 bereits 19 Prozent weniger chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel ausgebracht. Damit sei es ein realistisches Ziel, den Einsatz von Pestiziden bis 2028 halbiert zu haben.

Schaden für Umwelt unterschätzt: Wissenschaft kritisiert den Bericht scharf

Was gut klingt, ist aus wissenschaftlicher Sicht jedoch angreifbar, sagt der Toxikologie Carsten Brühl von der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau. Denn als Indikator wurde im Bericht alleine die reine Wirkstoffmenge herangezogen: Rund 500 Tonnen weniger Pflanzenschutzmittel wurden 2022 auf bayerischen Flächen ausgebracht. Doch alleine die Menge sage noch nicht viel darüber aus, wie schädlich die Mittel sind, so Carsten Brühl.

Ein besonders aggressives Mittel könne beispielsweise in sehr geringen Mengen ausgebracht werden, ist aber ungleich schädlicher für die Umwelt als ein wenig toxisches Mittel in einer höheren Dosierung. Hinter den Zahlen im Bericht vermutet Brühl "Schönrechnerei". Deutschlandweit jedenfalls beobachte die Wissenschaft kaum eine Reduktion von chemischen Pflanzenschutzmitteln, weder hinsichtlich der Menge noch der Toxizität.

Zum ersten Mal legt Bayern Zahlen zum Pestizideinsatz vor

Es ist das erste Mal, dass Bayern überhaupt Zahlen zur tatsächlich ausgebrachten Menge an Pestiziden präsentiert. Lange waren sie erwartet worden, vor allem von Seiten des Naturschutzes. Aus Mangel an Alternativen hatte der Landesbund für Vogel- und Naturschutz 2022 bereits selbst erste Zahlen zum Pestizideinsatz in Bayern vorgelegt.

Denn zwar verpflichtet die EU schon seit 2009 ihre Mitgliedstaaten, Daten über die landwirtschaftliche Verwendung von Pflanzenschutzmitteln zu erheben – allerdings nur auf Bundesebene. Wie es in den einzelnen Bundesländern aussieht, ist somit schwer nachzuvollziehen. Zwar führen Landwirte Buch darüber, welche Mittel sie wann und in welchen Dosierungen ausgebracht haben. Eine Meldepflicht besteht jedoch nicht.

Marktforschungsdaten statt eigener Erhebungen

Das Landwirtschaftsministerium nutzte für den jüngst vorgelegten Bericht Daten eines Marktforschungsunternehmens, die auf Befragungen basieren. Die Ergebnisse seien damit zwar repräsentativ - ein eigenes Messnetzwerk, wie es etwa das Nachbarbundesland Baden-Württemberg hat, gibt es in Bayern bislang nicht. Der Landesbund für Vogel- und Naturschutz kritisiert, dass damit statt echter Zahlen weiterhin lediglich Hochrechnungen zum Einsatz von Pestiziden vorlägen. Immerhin: Die Landesanstalt für Landwirtschaft ist mit dem Aufbau eines solchen Messnetzes beauftragt. 2025 sollen erste Ergebnisse folgen, teilte die Anstalt BR24 mit.

Zu wenig konkrete Maßnahmen?

Was aber im Bericht vor allem fehle, da sind sich Wissenschaft und Naturschutz einig: ein konkreter Plan, wie die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln wirklich erreicht werden könne. Der Bericht lese sich vielmehr wie eine Bestandsaufnahme, so Toxikologe Carsten Brühl. Das sei "fatal", weil sich die Wissenschaft seit Jahren um eine Transformation in der Landwirtschaft bemühe. "Das muss an Maßnahmen gekoppelt sein und da sehe ich, dass da nichts drin ist."

Zwar stellt der Bericht auf elf von 78 Seiten Projekte vor, die Landwirte dabei helfen sollen, Pflanzenschutzmittel zu reduzieren – indem sie beispielsweise mechanische Mittel wie eine Maishacke verwenden, um Unkräuter zu bekämpfen und diese Methode mit dem Einsatz von Herbiziden kombinieren. Was aber aus Sicht des Landesbund für Vogel- und Naturschutz sinnvoller wäre, sei ein gänzlicher Verzicht von Pflanzenschutzmitteln auf bestimmten Flächen. Kulturen, die großflächig angebaut würden wie Mais oder Weizen, seien dafür besonders gut geeignet.

Bauernverband: "Es geht nicht ohne Pflanzenschutzmittel"

Für die Bauern in Bayern aber kommt ein gänzlicher Verzicht auf Pestizide kaum infrage. Zwar sei man bemüht, den Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden so gering wie möglich zu halten – denn die Mittel seien teuer. Anton Huber vom Bayerischen Bauernverband sagt aber auch im Gespräch mit BR24: "Wir machen das nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil wir die Qualität unserer Produkte erhalten wollen." Als konventionell wirtschaftender Bauer könne es sich niemand leisten, ohne Kostensteigerung für Verbraucher auf chemischen Pflanzenschutz zu verzichten.

Doch dass er reduziert werden muss, darüber waren sich bis vor kurzem europaweit praktisch alle Beteiligten noch einig. Schließlich war die Halbierung der eingesetzten Pflanzenschutzmittel bis 2030 Teil des europäischen Green Deal. Die Kommission hatte das Leitziel im vergangenen Jahr eigentlich in Gesetzesform gießen wollen. Dann war der Entwurf der Pflanzenschutzverordnung im EU-Parlament aber überraschend gekippt worden. Deshalb ist es den Ländern jetzt weiter selbst überlassen, wie viele Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden dürfen.

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