Fereshta Ludin, Lehrerin
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05.07.2018, Baden-Württemberg, Stuttgart: Fereshta Ludin, Lehrerin an einer Privatschule in Berlin bei einer Pressekonferenz

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20 Jahre Kopftuchurteil: "Wichtig ist, was man im Kopf hat"

Vor genau 20 Jahren musste das Bundesverfassungsgericht entscheiden: Darf eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch unterrichten oder nicht? In der Praxis in Bayern scheint diese Frage heute weniger eine Rolle zu spielen als in der Politik.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Begonnen hat der sogenannte "Kopftuchstreit" 1998 in Baden-Württemberg. Fereshta Ludin, einer angehenden Lehrerin mit Hijab, wird der Eintritt in den Schuldienst verweigert. Die damalige CDU-Kultusministerin Annette Schavan begründete das so: "Es ist viel mehr als ein Stück Stoff, es ist viel mehr als ein religiöses Symbol. Es wird von politischen Islamisten eingesetzt, ganz gezielt als Zeichen kultureller Abgrenzung."

Ein Streit, der vor 20 Jahren in Karlsruhe endet

Ludin hingegen sieht das Kopftuch als Teil ihrer religiösen Überzeugung und zieht bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dort wird am 24. September 2003 entschieden, dass ein Kopftuchverbot mit den Landesgesetzen nicht vereinbar sei. Das nehmen wiederum acht Bundesländer zum Anlass, Gesetze zu schaffen, die Lehrerinnen an öffentlichen Schulen das Tragen eines Kopftuchs verbieten. 2015 stellen die Richter in Karlsruhe klar: Ein pauschales Kopftuchverbot sei mit der Religionsfreiheit nicht vereinbar. Nur, wenn der Schulfrieden bedroht ist, kann es im Einzelfall verboten werden.

Einzelfallentscheidung in Bayern

Fatma kennt diese Sorge. Seit acht Jahren unterrichtet sie in München Englisch, Wirtschaft und Kommunikation. Und sie trägt Hijab. "Natürlich hatte ich anfangs meine Bedenken, was, wenn das Kopftuch verboten wird?"

2015 habe sie einen Sonderantrag stellen müssen, der von der Regierung genehmigt werden musste. In ihrem Fall klappte das. Fatma spricht von Glück. Einer ihrer Kolleginnen mit Hijab erging es nicht so gut – die ihr zugewiesene Schule wollte sie nicht. Sie musste eine andere Schule finden. Fatma kann nicht nachvollziehen, dass manche in ihrem Hijab ein Symbol der Unterdrückung sehen. "Es ist eher eine Unterdrückung der Frau, ihr vorschreiben zu wollen, was sie zu tragen hat oder nicht zu tragen hat."

Das allerdings macht das bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz. Dort heißt es: Äußere Symbole und Kleidungsstücke, die eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung ausdrücken würden, dürften von Lehrkräften im Unterricht nicht getragen werden, "sofern (sie) als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist".

Grünen-Politiker sieht Ungleichbehandlung

Toni Schuberl ist Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Er stellte in diesem Jahr eine Anfrage an den Landtag zu diesem Gesetz: "Der Hintergrund der Anfrage ist die Vermutung, dass die Regeln (…) reine Regeln gegen das Kopftuch waren."

Problematisch findet der Grünen-Politiker vor allem den Begriff "christlich-abendländische Werte". Er sieht eine Ungleichbehandlung. Von der Formulierung her sei das Gesetz "tricky". Es gehe um "religiöse Symbole" und nenne konkret die "christlich abendländische Kultur". Damit versuche man, so Schuberl, die Debatte indirekt auszuhebeln, wenn es um die Frage Kreuz tragen oder Kopftuch von Nonnen als religiöses Symbol gehe. "Also es ist so gestrickt, dass es gegen Muslime gerichtet ist."

Das bayerische Kultusministerium dagegen betont, wie wichtig in der Frage, ob Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichten dürften, die Absprache mit der Schulleitung sei. "Wir verstehen Schule als einen Ort des kulturellen Miteinanders, dazu gehört selbstverständlich auch Toleranz und Respekt anderen Religionen und deren Werten gegenüber." Und das gelte für Schülerinnen und Schüler wie auch für Lehrkräfte. "Deswegen gibt es an unseren Schulen auch Lehrkräfte, die Kopftuch tragen."

Beim Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) hat man von Schulleitungen gehört, die sich von kopftuchtragenden Lehrerinnen nochmal extra attestieren lassen, dass sie sich zu den verfassungsrechtlichen Grundwerten und den Bildungszielen in der Verfassung bekennen, obwohl das bei Dienstantritt schon bei den übergeordneten Dienststellen unterschrieben wird. Fleischmann kritisiert dieses Vorgehen. Es zeige, "dass wir noch lange nicht so weit sind", dass Schulleitungen und Schulfamilien mit einer Kopftuch-Kollegin umgehen wie mit jeder anderen Lehrkraft auch. Fleischmann betont, man sei gegen jegliche Diskriminierung - und vor allem gegen die von Frauen mit Kopftuch.

"Wichtig ist, was man im Kopf hat"

In der Praxis scheint das Thema weniger heiß gekocht zu werden. Die 35-jährige Fatma hat bisher an mehreren Schulen unterrichtet. Ihr Fazit: Nur anfangs ist das Kopftuch Thema – danach nie wieder. Im Referendariat habe mal eine Rektorin das Gespräch mit ihr gesucht und fragte nach Fatmas Beweggründen – "aus reinem Interesse". Die Konversation habe sie dann mit den Worten beendet: "Fatma, die ersten zwei Sekunden habe ich das Kopftuch gesehen, danach ist es unsichtbar." Für Fatma steht deshalb fest: "Ich finde die Diskussion nicht nur diskriminierend, sondern unnötig verschwendete Zeit, es ist egal, was man am Kopf hat, wichtig ist, was man im Kopf hat."

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