Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und die CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz und Carsten Linnemann haben ihre Bereitschaft zu Reformen in der Migrationspolitik erklärt. Habeck sagte im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), alle "demokratischen Parteien" seien verpflichtet, "bei der Suche nach Lösungen zu helfen". CDU-Chef Merz bekräftigte die Bereitschaft der Union zu Lösungen im Konsens mit der Ampel-Koalition, Generalsekretär Linnemann brachte einen "Schulterschluss" wie beim Asylkompromiss vor 30 Jahren ins Spiel.
Linnemann fordert parteiübergreifende Zusammenarbeit
Es brauche jetzt "so einen Konsens wie 1993", sagte Linnemann der "Süddeutschen Zeitung". Damals war auf Grundlage des sogenannten Asylkompromisses von Union und FDP mit der damals oppositionellen SPD das Asylgrundrecht eingeschränkt worden.
"Wenn wir dieser Herausforderung Herr werden wollen, dann müssen die Parteien im Deutschen Bundestag bereit sein, parteiübergreifend den Schulterschluss zu suchen", forderte Linnemann. "Ich persönlich würde dann sofort öffentliche Zuspitzungen im Streit mit den Ampelparteien sein lassen - und ich wäre sofort bereit zu sagen: Kommt, wir setzen uns an einen Tisch! Damit die Flüchtlingszahlen runtergehen." Die gesamte Infrastruktur sei nicht auf diese hohe Zahl von Menschen ausgelegt.
Habeck warnt vor Ausbeutung des Themas durch Rechtspopulisten
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck sagte zur Asylpolitik, die Suche nach Lösungen in der Migrationspolitik sei nötig, um zu verhindern, dass "der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet". Angesichts der derzeitigen Lage sieht der Wirtschaftsminister und frühere Grünen-Chef viele Kommunen an der Belastungsgrenze. Bei einer Konferenz hätten ihm Bürgermeister und Landräte berichtet, sie könnten "die Unterbringung kaum noch und bald gar nicht mehr gewährleisten". Da herrsche "eine gewisse Dramatik", sagte er.
Er betonte, dass seine Partei auch zu pragmatischen Lösungen bereit sei, um den Zuzug bereits an den EU-Außengrenzen zu senken. "Wir haben regierungsseitig einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, das unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen der EU vorsieht, zugestimmt, aber es war schwierig für viele Grüne", sagte er. Um das Recht auf Asyl zu schützen, "müssen wir die Wirklichkeit annehmen und die konkreten Probleme lösen - auch, wenn es bedeutet, moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen. Wir wissen, dass wir eine Verantwortung für den Zusammenhalt in diesem Land tragen."
Merz für Abschiebungen nach dänischem Beispiel
CDU-Parteichef Friedrich Merz forderte indessen einen härteren Kurs bei Abschiebungen: "Die Dänen sind da sehr konsequent, es gibt dann nur noch Sachleistungen, die Betroffenen kommen nur noch in Sammelunterkünfte und werden dann auch konsequent abgeschoben", sagte der Unionsfraktionsvorsitzende bei einer Live-Veranstaltung der "Augsburger Allgemeinen". Die sozialdemokratische Regierung in Dänemark habe durch ihren Kurswechsel in der Asylpolitik den Stimmenanteil rechtsnationaler Parteien von über 20 auf unter drei Prozent zurückdrängen können.
Stationäre Kontrollen an Grenzen zu Polen und Tschechien möglich
Am Freitag hatte die oppositionelle Union bereits im Bundestag versucht, die Ampel-Koalition mit einem Antrag für einen "Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik" unter Druck zu setzen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte dabei die Regierung gegen Vorwürfe verteidigt: "Unsere Maßnahmen wirken. Wir steuern und ordnen Migration", betonte sie.
Mögliche Bewegung deutete sich in der umstrittenen Frage der Grenzkontrollen an: Faeser sagte der "Welt am Sonntag" auf die Frage, ob es an der polnischen und tschechischen Grenze kurzfristige stationäre Grenzkontrollen geben werde: "Aus meiner Sicht ist das eine Möglichkeit, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen." Ein Sprecher ihres Ministeriums teilte der Nachrichtenagentur dpa mit, entsprechende Maßnahmen würden geprüft.
Faeser warnte zugleich: "Man sollte aber nicht suggerieren, dass keine Asylbewerber mehr kommen, sobald es stationäre Grenzkontrollen gibt." Wenn eine Person an der Grenze um Asyl bitte, dann müsse der Asylantrag in Deutschland geprüft werden. Entscheidend bleibe also der Schutz der EU-Außengrenzen, "den wir mit dem gemeinsamen Asylsystem erreichen". Noch vor kurzem hatte die Innenministerin die Unionsforderung nach stationären Grenzkontrollen etwa an den Grenzen zu Polen und Tschechien als "Symbolpolitik" abgelehnt.
Länder und Kommunen warnen vor Überlastung der Unterkünfte
Aus Ländern und Kommunen waren zuletzt zunehmend dramatische Warnungen vor einer Überlastung gekommen. Bis Ende August registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 204.000 Erstanträge auf Asyl - ein Plus von 77 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Hinzu kommt, dass infolge des russischen Angriffskriegs mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland Schutz suchten, die keinen Asylantrag stellen müssen.
Mit Informationen von dpa und AFP
Im Video: Schulterschluss beim Thema Migration
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