40 Jahre nach dem mörderischen Attentat vom 26. September 1980 hat die Gedenkfeier ganz ohne Oktoberfest stattgefunden - aber an einem neuen Gedenkort und erstmals mit Ministerpräsident Markus Söder und mit einem deutschen Staatsoberhaupt. Es sind selbstkritische Worte, die die Politiker gefunden haben.
Das Ende der Legende vom "Einzeltätertum"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nimmt sehr direkt Täter und Opfer in den Blick.
"Wie leben die Väter, Mütter und Kinder mit der Wut darüber weiter, dass ihre Fragen unbeantwortet blieben?"
Es seien Fragen, die "im ersten Ermittlungsverfahren nicht gestellt wurden und im zweiten nicht mehr beantwortet werden konnten." Steinmeier gibt zwei mögliche Antworten: Entweder sei die Erkenntnis, dass die Mörder keine Einzeltäter, sondern Teil von Netzwerken waren, damals nicht vorhanden gewesen - oder sie sei bewusst nicht weiterverfolgt worden.
Steinmeier warnte davor, bei rechtsextremistischen Netzwerken wegzuschauen, und zählte unter anderem den NSU-Prozess, die Drohschreiben des NSU 2.0, Waffenfunde und Feindeslisten sogenannter Preppergruppen aber auch die Aufdeckung einer rechtsextremen Chatgruppe innerhalb der Polizei in Nordrhein-Westfalen auf.
Eine "Wende" im Umgang mit der Erinnerung
Oberbürgermeister Dieter Reiter gesteht in seiner Begrüßungsrede im Namen der Stadt Versäumnisse von Ermittlern und Politik ein. "Unsensibel und hartleibig" sei der Umgang des Staates mit den Opfern zu oft gewesen. Reiter bezeichnet das neue Dokumentationszentrum als Zeichen einer "Wende" im Umgang mit den Geschehnissen, vor allem aber mit ihren Opfern.
Söders Entschuldigung
Ministerpräsident Markus Söder entschuldigt sich explizit "für die Fehler, die bei der Ermittlung und auch bei der Einschätzung dieser Tat gemacht worden sind." Er spreche damit als Ministerpräsident und Rechtsnachfolger aller anderen Ministerpräsidenten, aber auch als Verantwortlicher für den Freistaat. Deutlicher als andere CSU-Politiker bisher benennt auch er die Urheber des Massenmords:
"Wer Rechtsradikale unterschätzt, versündigt sich an der Demokratie." Markus Söder
"Ein feiger Angriff auf uns alle"
So nennt Pia Berndt den Terrorakt. Sie spricht für die DGB-Jugend - allesamt weit nach 1980 Geborene, die das Erinnern jedes Jahr mitorganisieren. Zwölf Wiesnbesucher und der Bombenleger sind vom Sprengsatz des Rechtsextremisten Gundolf Köhler damals in den Tod gerissen worden, mehr als 200 verletzt; die Hintermänner wurden nie ermittelt.
- Mehr zu Tathergang und Ermittlungspannen in unserem multimedialen Webspecial, einem aktuellen Gespräch mit BR-Journalist Ulrich Chaussy sowie einem SWR-Radiofeature über "1980, das Terror-Jahr der Rechten".
Was empfinden die, die den Angriff tatsächlich erlitten und überlebt haben? Vier Zeitzeugen schildern in berührenden Worten ihren Leidensweg, artikulieren die von Steinmeier angesprochene Wut, sprechen von der Unwiederbringlichkeit des Verlorenen - aber auch Tröstliches.
Die Leiden und die Stärke der Überlebenden
Eine davon: Gudrun Lang, die von der Bombe des 26. September 1980 schwer verletzt wurde. Sie hat, erzählt sie, "die erste große Liebe meines Lebens" verloren - Axel Hirsch, mit dessen heute 98 Jahre alter Mutter sie noch immer in Trauer verbunden ist.
"Das war ein Scheidepunkt des Lebens, den wir nicht freiwillig betreten haben. (...) Die Zeit heilt keine Wunden - hier zu stehen, lindert aber den Schmerz." Gudrun Lang
Renate Martinez, der die Bombe Splitter in die Lunge, den Kopf und die Beine sprengte, sagt:
"Vierzig Jahre später wünsche ich mir Dinge, die vor dem Attentat normal und selbstverständlich waren. (...) Ich möchte endlich wieder auf einen Berg steigen, mit dem Rad um den Starnberger See fahren. Ich möchte einfach nur schmerzfrei drei Stunden durch den Tierpark marschieren (..) Ich möchte es aushalten können, im Theater, Konzert oder in der Oper zu sitzen." Renate Martinez
Ihr Wunsch, den ihr die Behörden nicht erfüllt haben: Dass die Täter gefasst werden und "im Knast landen, wo diese vielfachen Mörder längst hingehören."
Hoffen auf die Behörden ...
Robert Höckmayr spricht von der Frage nach dem "Warum", die ihn all die Jahrzehnte gequält habe. Er bringt seine Erleichterung zum Ausdruck, dass die Ermittler im zweiten Anlauf mit mehr Engagement und Sachverstand gearbeitet haben - und die Hoffnung, dass dies auch in Zukunft gelten soll:
"Allein Bayern verfügt jetzt über einen gut geschulten Pool an Polizeiexperten für Straftaten von rechts. Dieses Fachwissen sollte das LKA pflegen." Robert Höckmayr
... und die nächste Generation
Auch Dimitrios Lagkadinos - auch er ein Überlebender, damals 17 - will nicht nur zurückschauen:
"Der Hauptgrund, warum wir hier sprechen, ist zu erinnern – für die Zukunft. Dazu gehört, die nächste Generation zu mahnen, was Gewalt und Extremismus zu Folge haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtsextremismus unser Zusammenleben vergiftet und bei jungen Menschen Fuß fassen kann. Dazu mahnt uns die Erinnerung an das Oktoberfest-Attentat vom 26. September 1980. (...) Und glauben Sie mir eins: Das Leben ist schön." Dimitrios Lagkadinos
Vom bayerischen Ministerpräsidenten kommt das Versprechen:
"Wir werden Sie und diesen Tag nie vergessen." Markus Söder
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