Gudrun Lang war 19 Jahre alt und wollte gemeinsam mit ihren Freunden einfach einen fröhlichen Abend auf dem Oktoberfest verbringen. Es war der 26. September 1980 und sie waren schon auf dem Heimweg, als das Grauen über sie hereinbrach. Sie passierten gerade den Haupteingang der Theresienwiese, als dort um genau 22.19 Uhr eine Bombe mit militärischem Sprengstoff detonierte, abgelegt in einem Papierkorb von dem 21 Jahre alten Neonazi Gundolf Köhler. Was dann geschah, hat sich in Gudrun Langs Gedächtnis buchstäblich eingebrannt:
"Manche Sachen sind völlig präsent – dieser Feuerball, dieses Zischen, auch dieses Gefühl, vom Feuerball davongetragen zu werden und in einer Schwärze aufzuwachen." Gudrun Lang, Überlebende des Oktoberfestattentats
Ihr bester Freund wurde bei dem Anschlag ermordet, sie selbst überlebte schwer verletzt. Erst vor einem Jahr hat es die heute 59-Jährige, die von der Münchner Opferberatungsstelle "Before" betreut wird, erstmals wieder über sich gebracht, auf die Theresienwiese zu kommen – zur Gedenkfeier anlässlich des 39. Jahrestages. "Wie ich da um die Ecke kam, war das wie ein Déjà-vue für mich: Die Luft, die Gerüche. Mir sind die Tränen gekommen."
Schreckliche Bilder, die man nie mehr vergisst
Robert Höckmayr war in den vergangenen Jahren immer wieder an dem Ort, an dem seine Familie zerstört wurde, auch wenn es ihm schwer fällt. "Sobald ich in die Nähe von dem Platz hier komme, also, sobald ich die Schwanthalerhöhe oben überquert habe, kommen die mulmigen Gefühle", erzählt der 52-Jährige.
"Und wenn man dann hier am Platz steht, dann fahren einem die Bilder in den Kopf, die Körperteile, die Menschen, die herumlagen, und auch das Trümmerfeld, das hier zu sehen war." Robert Höckmayer, Überlebender des Oktoberfestattentats
Binnen weniger Sekunden brach für den damals Zwölfjährigen buchstäblich die ganze Welt in sich zusammen. Höckmayrs Eltern hatten lange gespart, um mit ihren fünf Kindern einen Ausflug zur Wiesn machen zu können. Sie waren extra erst später hingegangen, wegen der besonderen Stimmung, wegen der bunten Lichter.
Ein fröhlicher Abend mit Kinder-Autoscooter, Kettenkarussell und Geisterbahn. Kurz nach 22 Uhr ging es nach Hause. Während der Vater ein paar Schritte vorausgegangen war, um das Auto zu holen, liefen die Kinder mit Heliumballons in der Hand zum Papierkorb am Haupteingang um ihren Abfall wegzuwerfen.
"Da sah ich nur einen Mann in Bückstellung, beide Arme im Abfalleimer. Ich kann nur vermuten, dass das der Köhler war. Und in dem Moment ist dann diese Bombe explodiert. Es ging ein Feuerschwall hoch, der hat meinen Arm und mein Gesicht erwischt.“ Robert Höckmayr
Robert Höckmayr verliert nicht das Bewusstsein, sondern erlebt alles mit.
"Ich sah meine Schwester, wie sie verstarb. Ich habe meinen Bruder gesehen, der nicht mehr reagiert hat. Meine Mutter lag weiter vorne Richtung Straßenrand. MeinVater war drüben am Brausebad am Boden. Es war einfach grauenhaft."
Opfer des Oktoberfest-Attentats verletzt, traumatisiert und allein gelassen
Monatelang ist der Zwölfjährige anschließend ans Krankenbett gefesselt, bis heute wurde er 42 Mal operiert, trägt noch immer über 20 Splitter in seinem Körper. Eine Schwester und ein Bruder überleben das Attentat nicht, auch die anderen sind schwer gezeichnet. Zwei nehmen sich später das Leben, weil sie das Geschehene nicht verwinden können. Und weil ihnen auch niemand dabei hilft.
Anfangs gibt es ein paar Spenden und etwas Geld vom Freistaat, ansonsten werden die Höckmayrs, wie so viele andere Betroffene des Oktoberfest-Attentats, alleine gelassen. Robert Höckmayr fühlt sich bis heute wie aus der Bahn geworfen: Die Lehre nicht abgeschlossen, jahrzehntelang nur Hilfsarbeiterjobs.
Erst seit etwas mehr als zehn Jahren hat er endlich eine sichere Anstellung bei der Stadt München.
Ein Hilfsfonds, der für die Opfer zu spät kommt
"Ich hätte mir gewünscht, dass damals jemand gekommen wäre und uns an der Hand genommen hätte", sagt Höckmayr heute. "Und ich meine nicht finanziell, sondern dass uns jemand sozial unterstützt hätte, dass uns jemand geholfen hätte, uns wieder ins Leben zu integrieren."
Dass Staatsregierung, Bundesregierung und Stadt München diese Woche angekündigt haben, einen Fonds für die Betroffenen des Attentats aufzulegen, ausgestattet mit rund 1,2 Millionen Euro, freut ihn zwar, aber: "Unterstützung hätte mir als Kind mehr geholfen als jetzt."
Es geht nicht um Geld, sondern um Anerkennung
Ums Geld gehe es ihr ohnehin nicht, sagt Renate Martinez, die als junge Frau von den Splittern der Oktoberfest-Bombe schwer am Bein verletzt wurde. Bis heute hat sie Schmerzen, kann sich nur mühsam mit dem Rollator fortbewegen. Doch der Hilfsfond sei zumindest eine Anerkennung des Leids der Verletzten und Hinterbliebenen. Eine kleine Genugtuung ist es für sie auch, dass die Bundesanwaltschaft vor wenigen Wochen erstmals festgestellt hat, dass der Anschlag politisch motiviert war. "Dieses Statement war wichtig", sagt Martinez.
"Für mich war das allerdings vom ersten Tag an klar, dass das ein rechtsradikale Anschlag war." Dass ansonsten aber nicht viel herausgekommen ist, bei den neuerlichen Ermittlungen, die die Bundesanwaltschaft 2014 in Sachen Wiesn-Attentat eingeleitet hat, wundert sie nicht: "Mehr war nach 40 Jahren einfach nicht drin."
Schuld daran seien die unzähligen Versäumnisse und Fehler, die die Beamten bei den ersten Ermittlungen machten. "Die haben Asservate vernichtet, Dokumente geschreddert und dermaßen schlampig ermittelt, dass man ihnen schon fast bösen Willen unterstellen kann."
Wenig Hoffnung auf Aufklärung
Die meisten Überlebenden des schwersten extrem rechten Terroranschlags der bundesdeutschen Geschichte setzen denn auch wenig Hoffnung darauf, dass die wahren Hintergründe und Hintermänner doch noch irgendwann aufgeklärt werden könnten. Doch im Gegensatz zu den letzten vierzig Jahren erhalten sie nun wenigsten die ihnen angemessene Anerkennung durch Gesellschaft und Staat.
So durften sie auch bei der Gestaltung der neuen Dokumentation Oktoberfest-Attentat mitreden, die heute am Haupteingang der Theresienwiese direkt gegenüber vom alten Mahnmal eingeweiht wird: "Da waren wir mit involviert", sagt Renate Martinez. "Und wir sind mächtig stolz drauf."
Sie freue sich auch darüber, dass sich für die alljährlich von Stadt München und DGB-Jugend veranstalte Gedenkfeier diesmal hoher Besuch aus der Politik angesagt hat: Ministerpräsident Markus Söder und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier werden kommen und Reden halten.
Doch noch vor ihnen werden die Überlebenden das Wort ergreifen: Dann werden Renate Martinez, Robert Höckmayr und Gudrun Lang gemeinsam mit Dimitrios Lagkadinos, einem weiteren Betroffenen des Oktoberfest-Attentats, ans Mikrophon treten und von ihrem Leid erzählen - 40 Jahre danach.
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