Ob Großstadt, Kleinstadt oder Wandergebiet – solange das Ziel mit dem öffentlichen Nahverkehr gut erreichbar ist, ist dort mehr los, seit es das 9-Euro-Ticket gibt. Auch wenn es noch keine offizielle Statistik gibt: Aus den ersten Rückmeldungen lässt sich ein eindeutiger Trend ablesen.
Stadt Günzburg profitiert vom 9-Euro-Ticket
So hat das Team der Tourist-Info im schwäbischen Günzburg alle Hände voll zu tun. Die Stadt liegt verkehrsgünstig an der Bahnstrecke München–Ulm – seit Anfang Juni kommen deutlich mehr Gäste hierher, hat Anja Hauke von der Tourist-Information Günzburg-Leipheim festgestellt.
Wie viele mit dem 9-Euro-Ticket kommen, wird statistisch allerdings in Günzburg nicht erhoben. Bei den Gesprächen würden die Gäste aber oft erwähnen, dass sie mit dem günstigen Ticket angereist seien, sagt Anja Hauke.
In Günzburg startet auch der Donau-Auwald-Wanderweg: In 60 Kilometern führt er auf mehreren Etappen nach Schwenningen. Anja Hauke berichtet, dass Wanderer es sich mit dem 9-Euro-Ticket nun bequem einrichten – sich ein Hotel in Günzburg nehmen und dort ihr Gepäck lassen und mit dem Zug nach den einzelnen Etappen stets zurück nach Günzburg fahren, um am nächsten Tag weiterzuwandern. Alles für neun Euro.
Mehr Besucher in Bad Wörishofen dank 9-Euro-Ticket
Auch im Allgäu spürt man die Auswirkungen des günstigen Tickets. Bad Wörishofen im Unterallgäu meldet einen kleinen Zustrom an Tagesgästen, an Besuchern in der Stadt, der Therme und auch an Wanderern. Allerdings wirke sich das Ticket auch auf die Tagesplanung der Urlaubsgäste vor Ort aus, heißt es. Diese würden sich wegen des Tickets verstärkt für Ausflüge in die Umgebung – beispielsweise München, Memmingen oder Füssen – interessieren. Zwischenzeitlich gab es in dem bekannten Kurort sogar Anfragen von Gästen aus dem Münchner Raum, die keine ganze Kur mehr buchen, sondern für tägliche Kuranwendungen nach Bad Wörishofen kommen wollten.
Scheinbar spielt die gute Erreichbarkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Rolle, denn in Nesselwang im Ostallgäu – eigentlich ein sehr beliebtes Ausflugsziel – fällt die Reaktion etwas verhaltener aus. Die am Ort vorbeiführende Bahnstrecke, die Außerfernbahn zwischen Kempten und Pfronten, ist seit Monaten mal mehr, mal weniger eine Baustelle. Derzeit wird die Strecke nur mit Bussen bedient. Im Rathaus heißt es, der Zustrom sei nicht stark angestiegen.
Die Herausforderung vor Ort: intelligente Besucherlenkung
Offizielle Zahlen gibt es von den bayerischen Tourismusverbänden nicht, lediglich die Einschätzungen der Touristiker vor Ort. Markus Pillmayer, Tourismusforscher von der Hochschule München, bestätigt diese subjektiven Eindrücke allerdings: "Mit dem 9-Euro-Ticket lassen sich gut angebundene Regionen günstig erreichen, sodass hier stellenweise mehr Besucher zu beobachten sind. Wobei wir berücksichtigen müssen, dass sich die ersten deutschen Bundesländer schon in den Sommerferien befinden. Die Herausforderung vor Ort liegt aber wie so oft in einer intelligenten Besucherlenkung", sagt der Tourismusforscher.
Der Tourismusverband Oberbayern hat dafür schon 2021 das Projekt "GeHEIMATorte" ins Leben gerufen – also Orte abseits der ausgetrampelten Pfade: lieber auf den unbekannten Jasberg bei Otterfing statt auf den viel begangenen Herzogstand am Walchensee, oder statt mit dem Rad wie tausend andere rund um den Chiemsee ab auf den ruhigen Sempt-Mangfall-Radweg. Ein Auswahlkriterium dabei: die gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Bis zu 6.000 Zugriffe täglich auf die Webseite lassen erahnen, wie gut die Kampagne ankommt.
Beispiel Kampenwand: Mühsame Anreise mit ÖPNV
Beim Chiemsee-Chiemgau-Tourismus meldet man keine speziellen Auswirkungen des 9-Euro-Tickets. Es sei gewohnt viel los in der Region, so Pressesprecherin Claudia Kreier. Neu auf der Homepage ist ein Überblick zum Thema "Wandern ohne Auto". Erprobt von einer Mitarbeiterin des Tourismus-Büros werden 15 Touren jeglicher Schwierigkeitsstufe vorgestellt. Bei den vielen Bergen im Chiemgau eine relativ kleine Anzahl.
Und tatsächlich: Schaut man sich einen Klassiker wie die Kampenwand an, stellt man fest, dass man wohl schon durchgeschwitzt wäre, bevor man den Aufstieg beginnt, müsste man den Berg öffentlich erreichen: ab München mit dem Zug nach Prien am Chiemsee, weiter mit dem Zug nach Aschau im Chiemgau, und dann geht es zu Fuß in 25 Minuten zur Talstation der Bergbahn. Oder alternativ von Bernau oder dem Bahnhof Aschau mit dem Bus direkt zur Kampenwandbahn – der fährt aber am Wochenende so gut wie nie.
Tourismusforscher: Nachfolgeregelung finden
Noch knapp zwei Monate gibt es das günstige 9-Euro-Ticket. Tourismusforscher Pillmayer fordert jetzt ein Weiterdenken: "Sowohl für die Deutsche Bahn als auch alle anderen Akteure im öffentlichen Nahverkehr liegt die Herausforderung jetzt darin, nach dem 9-Euro-Ticket eine intelligente Antwort darauf zu geben, wie es weitergehen soll. Wir merken, es ist Interesse da, es ist eine Nachfrage da und die müssen sowohl Bahn als auch alle anderen entsprechend bedienen."
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