Als die 310 angereisten Mitglieder aufgerufen werden, auf ihren erstmals digitalen Stimmgeräten das Knöpfchen für die Wahl zum Spitzenkandidatenduo zu drücken, liegt ein stundenlanges Gezerre hinter ihnen. Manche waren komplett gegen eine Spitzenkandidatur jeglicher Art, andere wollten den Landeschef Stephan Protschka zum Zugpferd für die Wahl nominieren, ein weiterer war für ein Spitzenteam aus sieben regionalen Listenführern.
Diesmal mit Spitzenkandidaten: Die AfD scheint dazugelernt zu haben
Am Ende setzte sich bei den AfD-Anhängern die Erkenntnis durch, dass Politik wahrnehmbare Personen braucht, dass der Bürger ein Gesicht braucht für eine Partei, der er seine Stimme geben soll. Die AfD scheint dazugelernt zu haben, wie der Kampf um Wählerstimmen funktioniert. Was auffällt: Die Gewinner der Abstimmung, die Landtagsabgeordneten Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm, kommen beide aus dem radikalen Lager der Partei. Beide sind gut vernetzt im Netzwerk des Flügels. Dieser gilt als offiziell aufgelöst.
Der Flügel bestimmt über Personal und Inhalte
Doch die Strippen im Lager, das sich als "patriotisch" bezeichnet, laufen weiterhin heiß und entscheiden auch in Bayern immer öfter über Personal und Inhalte. So ist es bezeichnend, dass sowohl Ebner-Steiner als auch Böhm ein freundschaftliches Verhältnis zum thüringischen AfD-Chef Björn Höcke pflegen.
Der Einfluss des rechtsextremen Politikers scheint auch in Bayern weite Teile der Partei erfasst zu haben. Zwar erhielten Ebner-Steiner und Böhm mit 58 Prozent und 53 Prozent jeweils keinen großen Rückhalt auf dem Parteitag. Doch die Wahl der beiden wird den Fokus der Partei vor der Wahl auf radikale Positionen verschieben. Schon in der Bewerbungsrede warnt Böhm vor einer "kriegssüchtigen Elite abgehobener Globalisten".
Resolution gegen Bayerns transatlantischen Schulterschluss
Auch inhaltlich können sich die Höcke-Getreuen in Teilen durchsetzen: Mit einer pro-russischen Resolution spricht sich der AfD-Parteitag gegen die Ausbildung von ukrainischen Streitkräften im bayerischen Grafenwöhr aus. Bayern solle "kluge Zurückhaltung wahren", heißt es in der Resolution, der Freistaat lasse sich "in einen Strudel geopolitisch motivierter Konfrontation eines Stellvertreterkriegs zwischen Ost und West hineinziehen".
Eine klare Annäherung an Russland, die auch andere Höcke-Anhänger propagieren. Das passt zu Höckes antiamerikanischer Einstellung. So sagte der Flügel-Gründer 2017 in Dresden, die deutsche Armee sei "von einem Instrument der Landesverteidigung zu einer durchgegenderten multikulturalisierten Eingreiftruppe im Dienste der USA verkommen". Auch der aktuelle Parteichef Tino Chrupalla machte mit seinem jüngsten Auftritt in der russischen Botschaft deutlich, wo er im Russland-Ukraine-Krieg steht.
Wahlprogramm: Schutz vor "fortschreitender Islamisierung und Afrikanisierung"
Gewohnt provokant klingen die Passagen im AfD-Wahlprogramm zum Thema Einwanderung. Darin heißt es, der "Schutz unserer Werteordnung vor weiter fortschreitender Islamisierung und Afrikanisierung" sei unerlässlich. Die Staatsbürgerschaft solle wieder an das "Abstammungsprinzip" gebunden werden, so das Wahlprogramm. Die AfD fordert eine bayerische Abschiebequote "von 100 Prozent".
"Kinder bis zum vierten Lebensjahr zu Hause betreuen"
Auch die Passagen zu Familie und Sprache klingen stark nach Kulturkampf: Der "Kult um Regenbogenfamilien" müsse "eingedämmt" werden, das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare lehnt die AfD ab. Eltern sollten unterstützt werden, ihre Kinder "bis zum vierten Lebensjahr zu Hause betreuen zu können". Und "Gendersprache" und "Genderideologie" ist der AfD ebenso ein Graus. Das Wahlprogramm erhielt am Ende eine größere Mehrheit als das Spitzenduo.
Im Video: So lief es auf dem Parteitag der Bayern-AfD
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