Wenn Franz Unker seine 18 Milchkühe über die Straße treibt, die Kirchturmglocken läuten und die Sonne hinter den Bergen aufgeht, dann erfüllt der kleine Ort Flintsbach bei Rosenheim jedes Klischee, das man sich zu Bayern vorstellt. Dabei ganz wichtig: glücklichen Kühe auf dem Weg zu ihrer Weide.
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Bundesregierung will Anbindehaltung verbieten
Doch es gibt ein Problem: Denn die Kühe von Franz Unker sind nachts und im Winter im Stall angebunden. Und genau das soll laut Bundesregierung in Zukunft verboten sein. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP zu Beginn ihrer Regierungszeit vorgenommen, die Anbindehaltung innerhalb der nächsten zehn Jahre zu beenden. Landwirtinnen und Landwirte sollen also ihre Ställe umbauen. Das Argument: Tiere angebunden zu halten, sei nicht artgerecht.
Das bestätigt Silvia Ivemeyer. Sie ist Teil der Arbeitsgruppe Tierwohl am Thünen-Institut, die sich unter anderem mit artgerechter Milchkuhhaltung beschäftigt. Vor allem die ganzjährige Anbindehaltung sei mit vielen Einschränkungen für das natürliche Verhalten der Tiere verbunden, so Silvia Ivemeyer. Ein Beispiel: Ganzjährig angebundene Kühe haben kaum Kontakt zu anderen Kühen – das hat negative Auswirkungen auf das Tierwohl, da sie sich zum Beispiel nicht uneingeschränkt gegenseitig belecken können. Genau das erfüllt aber wichtige soziale Funktionen für die Tiere. Ein weiteres Beispiel: Auf einer Weide legen Kühe täglich bis zu 13 Kilometer zurück. Angebunden im Stall können sie, wenn überhaupt, wenige Schritt vor und zurück machen.
Anbindehaltung schränkt Sozialverhalten von Kühen ein
Aber was ist mit Kühen, die einen Großteil ihres Lebens auf der Weide verbringen? Wie die von Franz Unker? In Bezug auf das Tierwohl sagt Silvia Ivemeyer: "Man kann sicher sagen, dass es einen deutlichen Unterschied gibt zwischen ganzjähriger Anbindehaltung und Kombinationshaltung." Trotzdem böten Lauställe in der Regel insgesamt mehr Möglichkeiten, dass die Kühe ihr natürliches Verhalten ausleben können. Silvia Ivemeyer betont aber auch, dass nicht pauschal jeder Laufstall gut für die Tiere sei. Es kommt also auch darauf an, wie der Landwirt mit den Tieren umgeht – unabhängig von der Haltungsform.
Der Landwirt Franz Unker ist überzeugt: Seinen Kühen geht es gut. Und es gehe ihnen sicher besser als den Tieren, die ihr ganzes Leben in einem engen Laufstall verbringen und nie auf die Weide kommen, sagt er. Auf die Frage, warum er den Stall nicht einfach umbaut, schüttelt er den Kopf: "Einen Laufstall für 18 Milchkühe, das kannst du von der Rendite her vergessen." Mit dem Bau würde er sich und seine Familie vermutlich über Jahrzehnte verschulden. Und das für einen Betrieb im Nebenerwerb.
Ausnahmeregeln für Kombibetriebe
Der Konflikt ist der Bundesregierung bekannt. Aus einem Referentenentwurf zum Gesetz aus dem Mai geht hervor: Es soll Ausnahmen für bestimmte Betriebe in Kombihaltung geben. Dafür darf der Betrieb maximal 50 Rinder, die älter als sechs Monate sind, halten und sie müssen auch im Winter mindestens zweimal pro Woche bewegt werden. Aus Tierwohlperspektive sei das das Mindeste, so Silvie Ivemeyer vom Thünen-Institut. Diese Regeln sind für Franz Unker kein Problem. Auf dem am Stall angrenzenden Parkplatz kann er seine Kühe auch im Winter nach draußen lassen.
Der Haken: Der Landwirt will den Betrieb in den nächsten Jahren an seinen Sohn übergeben. Und mit der Hofübergabe endet die gesetzliche Schonfrist – der Sohn würde dann nicht mehr von der Ausnahmeregelung profitieren und müsste definitiv aufgeben oder umbauen. Franz Unker sieht man an, dass er für diese Regelung kein Verständnis hat: "Der Sohn will weitermachen. Wenn das so kommt, dann müsste wieder eine Landwirtschaft sterben, die weit über 700 Jahre besteht. Wegen einer Verordnung, die man einfach nicht verstehen kann!"
Entwurf wird noch diskutiert
Der Entwurf kommt aus dem Berliner Landwirtschaftsministerium. Das führen die Grünen. Da die Anbindehaltung in anderen Bundesländern kaum existiert, ist die Frage der Kombihaltung ein bayerisches Problem. Die grüne Landtagsabgeordnete Mia Goller plädiert für gemeinsame Lösungen. Sie will, dass mehr Geld in die Beratung investiert wird. Damit mehr Landwirtinnen und Landwirte den Umbau stemmen können, "sodass es Perspektiven gibt, auch für die kleinen Bauern."
Es gibt allerdings auch Betriebe mit Ställen mitten im Ort. Diese können schon allein aus Platzgründen nicht umbauen und müssten dann aufgeben. Noch ist die neue Regelung zur Anbindehaltung nur ein Entwurf. Landwirt Franz Unker hofft, dass das Gesetz noch einmal überdacht wird - damit sein Betrieb auch nach 700 Jahren weitermachen kann.
Dieser Artikel ist erstmals am 07. November 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Video: Anbindehaltung vor dem Aus - Junge Landwirte wollen ihre Höfe retten
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