Nach den Anschlägen auf türkische Läden im oberbayerischen Waldkraiburg im Jahr 2020 fällt heute Vormittag vermutlich das Urteil. Damit endet der Prozess acht Verhandlungstage früher als ursprünglich angesetzt. Es geht um versuchten Mord, schwere Brandstiftung, Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat.
Anschlagserie auf türkische Geschäfte
Die Verteidigung fordert eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren für den mutmaßlichen Täter Muharrem D.. Die Bundesanwaltschaft hatte dreizehneinhalb Jahre beantragt. Wegen seiner Schizophrenie soll er aber, aus Sicht der Anklage, in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden.
Im April 2020 beschädigte Muharrem D. laut Anklage zuerst zwei Geschäfte in Waldkraiburg, deren Besitzer türkischer Abstammung sind. Er warf die Fensterscheibe eines Friseursalons sowie einer Pizzeria ein und verschüttete eine „übel riechende“ Flüssigkeit.
Am 27. April verursachte der Mann kurdischer Abstammung noch einen Brand in einem Gemüseladen in Waldkraiburg, in dessen Folge vier Menschen eine Rauchvergiftung erlitten. Dabei hatte Muharrem D. den Tod von 26 Bewohnern, die in ihren Wohnungen über dem Gemüseladen schliefen, offenbar billigend in Kauf genommen. Die Verteidiger erklärten, dass ihr Mandant aufgrund seiner Schizophrenie nicht in der Lage war, die Tragweite seiner Tat zu erfassen.
Radikal islamistische Weltanschauung und "Türkenhass"
Das Tatmotiv war nach den Ergebnissen der Ermittlungen eine radikal-islamistische Weltanschauung und ein darauf gestützter, von ihm selbst so bezeichneter "Türkenhass". Muharrem D. bezeichnet sich selbst als Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS).
Die Taten hat er weitgehend eingeräumt, allerdings entsprechende Planungen bestritten und von "Spontantaten" gesprochen. Diese Argumentation bezeichnete die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer allerdings als Schutzbehauptung.
Festnahme im Mai 2020 verhinderte weitere Taten in Waldkraiburg
Am 8. Mai 2020 nahm die Polizei den Täter fest – durch Zufall nach einer Fahrkartenkontrolle. Die Festnahme des damals 25-jährigen könnte weitere Taten verhindert haben. Im Gepäck hatte er Rohrbomben und kiloweise Sprengstoff, die er vorher lange in seinem Auto in einer Tiefgarage in Garching an der Alz gelagert hatte.
Vor Gericht räumte der Angeklagte ein, noch ganz andere Taten geplant zu haben: Anschläge auf mehrere Moscheen des Islamverbandes Ditib, auf das türkische Generalkonsulat in München und die Ditib-Zentralmoschee in Köln.
Opfer leiden teils bis heute
Viele der Mieter, die nachts vom Brand überrascht wurden, leiden bis heute unter psychischen Problemen. Ein Betroffener erzählte dem BR, er habe monatelang im Bett liegend gedacht, er rieche Rauch, es würde brennen. Neben den psychischen Problemen aber gab es für die Opfer auch organisatorische: 27 Menschen mussten nach dem Brand ihr zu Hause verlassen – für Monate.
Manche kamen in einer städtischen Notunterkunft unter. Die betroffene Helga Rittersporn erzählte dem BR, sie habe zehn Monate lang teils bei ihren Töchtern, teils im Hotel gelebt. Erst dann habe die Hausverwaltung die Wohnung wieder freigegeben. Helga Rittersporn erzählt von einem fünf-jährigen Nachbarskind: "Wenn die mich sieht, sagt sie jedes Mal: Helga, warum war dieser Mann so böse, warum hat dieser Mann das getan?"
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