Am Samstagabend besiegelt ein roter Knopf das Aus des Atomzeitalters in Deutschland. Drei Atomkraftwerke werden abgeschaltet, darunter der noch laufende Reaktor Isar 2 in Niederbayern. Vor zwölf Jahren wurde schon einmal ein roter Knopf gedrückt - im Reaktor Isar 1. Der Rückbau ist hier in vollem Gange: Reaktor, Rohre, Regler – alles wird mit Sägen und Bohrern zerlegt.
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AKW-Rückbau bedeutet: Baustelle
Martin Trettenbach, Strahlenschutzexperte im grünen Overall, erinnert sich noch genau an damals, als der Stromgenerator ausgebaut wurde: "Dann steht man da wie vor einem Grab und sieht, wie der Generator, also sozusagen der Sarg, nach unten geht: Da kommt Trauer und Wut hoch." Wut darüber, dass er seinen eigenen Arbeitsplatz abbauen muss. Jahrelang hat er mit mehreren hundert Mitarbeitern im Block Isar 1 in Essenbach bei Landshut Strom produziert. Die Arbeiter blieben allerdings alle weiter beschäftigt. Ihre neue Aufgabe heute: das Kernkraftwerk von innen heraus zu zerlegen.
Rückbau als gesellschaftliche Aufgabe
Trettenbach hat sich damit abgefunden – mehr noch, er sieht im Rückbau eine gesellschaftliche Aufgabe: "Wir sind es diesen Mitmenschen, die hier in der Umgebung wohnen, auch schuldig, dass wir hier wirklich alles zurückbauen." Am Ende soll es aussehen wie vor dem Bau des Kernkraftwerks in den Siebzigerjahren: "Grüne Wiese heißt es ja, und da bin ich überzeugt, dass wir das auch schaffen werden."
Rückbau-Kosten: Eine Milliarde Euro
Der Rückbau dauert insgesamt 15 Jahre und kostet eine Milliarde Euro – pro Kernkraftwerk. Es ist eine gigantische Summe, damit keine Strahlung nach draußen gelangt. Dafür prüft Trettenbach jedes einzelne Teil von allen Seiten auf Radioaktivität und misst beispielsweise Rohre. Ist ein Teil frei von Strahlung, wird es recycelt und gelangt in den Wirtschaftskreislauf.
Mittlerweile wurde schon Material von der Masse des Eifelturms im Reaktor Isar 1 abgetragen. Martin Trettenbach und viele andere hier sind bis zur Rente mit dem Rückbau beschäftigt – auch den jüngeren Kollegen ist nach Ende des Rückbaus ein Arbeitsplatz bei der Betreiberfirma sicher.
AKW-Mitarbeiter im Ausland weiter beschäftigen
Wie sehen das aber Jüngere? Michel Reimringer ist gerade einmal Anfang 30 und derzeit im Rückbau beschäftigt - und auch er blickt positiv in die Zukunft: "Es ist ja nicht gesagt, dass ich mein Leben lang Rückbau mache. Ich werde zum Beispiel im Mai in der Schweiz in einem aktiven AKW bei der Revision mitarbeiten", sagt er.
Für einige liegt die Zukunft also vielleicht im Ausland, denn dort gibt es noch aktive Atomkraftwerke und es werden sogar neue gebaut. In Deutschland hingegen wird abgebaut.
Rund zwei Prozent des zerlegten Materials von Isar 1 landen aber auch in riesigen, grauen Behältern: radioaktiver Atommüll – das Erbe des Atomzeitalters für unzählige Generationen. Ein Endlager dafür gibt es in Deutschland noch nicht.
Erfahrungen aus Rückbau AKW Kahl am Main
Was auf Trettenbach und seine Kollegen noch zukommen kann, zeigt das Beispiel Kahl am Main: Dort wurde bereits im Jahr 1988 mit dem Rückbau des ersten kommerziellen Kernkraftwerks Deutschland begonnen. Es war Ende 1960 als Versuchskraftwerk in Betrieb gegangen und nach 90 Störfällen, von denen sieben als ernsthaft eingestuft wurden, nach 25 Jahren Betrieb stillgelegt. Der Rückbau war nach 22 Jahren im Jahr 2010 abgeschlossen und kostete mit 150 Millionen Euro mehr als der Aufbau.
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