Gebannt sitzen Kinder und Erwachsene vor der Mattscheibe, als der kleine Peter im Jahr 1953 zum ersten Mal beschließt, den Wolf im dunklen Wald zu fangen. Die sich zu Beginn öffnende Kiste brennt sich in das Gedächtnis von Generationen von Kindern in ganz Deutschland ein. Heute leitet Klaus Marschall die Puppenkiste in dritter Generation. Er erinnert sich an viele Begegnungen mit Besuchern, die von sich sagen, mit der Puppenkiste aufgewachsen zu sein. Trotz der eher seltenen Ausstrahlung - zum Beispiel im Jahr 1969 lediglich an den vier Adventssonntagen - hatte das Marionetten-Theater großen Einfluss auf die Kindheit vieler. So großen sogar, sagt Marschall, dass man als Erwachsener trotz dieser langen Zeit nach wie vor die Geschichten und Lieder aus der Puppenkiste kennt.
Aus Marionetten werden Stars
Urmel aus dem Eis oder Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer: Sie wurden zu den Fernsehstars an Fäden. Besonders Lukas – ein Kerl, der sich nicht unterkriegen lässt, der von seinem starken Willen geleitet wird. Walter Oehmichen war auch so einer. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat der Schauspieler und Regisseur seinen Traum erfüllt, ein eigenes Puppentheater in Augsburg zu eröffnen. 1948 dürfen die ersten Menschen zusehen, wie Oehmichen zusammen mit seiner Ehefrau Rose das Märchen des gestiefelten Katers zu neuem Leben erweckt.
Zwischen Augsburg und Hamburg
Ihre Bekanntheit verdankt die Augsburger Puppenkiste aber vor allem einem Zufall: Anfang der 1950er Jahre ist Hanns Farenburg, der Sendeleiter des Nordwestdeutschenrundfunks (NWDR), auf der Suche nach Inhalten für ein Kinderprogramm. Bei einem Werbespiel der Augsburger Puppenkiste wird Farenburg aufmerksam und nimmt das Theater unter Vertrag. So packt Oehmichen seine Puppenkiste, fährt nach Hamburg und geht nur wenige Wochen nach dem Start der "Tagesschau" auf Sendung – mit einem Puppentheater und einer Kamera davor. Klaus Marschall erinnert sich gerne zurück. Marionetten-Theater live im Fernsehen zu spielen sei eine besondere Erfahrung gewesen.
Neuer Zeitgeist bedeutete TV-Aus
Bis in die 1990er Jahre ist die Augsburger Puppenkiste nicht aus den Programmen der ARD und dem Kinderkanal wegzudenken. Über 1.000 Sendungen machen die Holzköpfe und ihre Abenteuer deutschlandweit berühmt. Doch dann ist Schluss. Vor mehr als einem Jahrzehnt beschließt der Kinderkanal KiKa, die Marionetten seien nicht mehr zeitgemäß. Der Leiter der Puppenkiste Klaus Marschall nimmt es gelassen. Die Schnelllebigkeit im Fernsehen passe nicht mehr zu seinem Theater.
Die neuen Stücke der Augsburger Puppenkiste finden in ihrem Marionettentheater im historischen Heilig-Geist-Spital statt und verbinden über die Jahrzehnte nicht nur verschiedene Altersgruppen, sondern auch alle sozialen Schichten.
Motorrad- und Rockerclub besucht Vorstellung
Anfang der neunziger Jahre gab es eine, wie Marschall erzählt, "ganz spezielle Vorstellung". In einer Dornröschen-Vorstellung saßen plötzlich etwa 20 Mitglieder des Rockerclubs Hells Angels. Ihre Motorräder, für Passanten ungewohnt, parkten sie laut Marschall direkt vor der Puppenkiste. Die Vorführung teilten sie sich mit einer ganz normalen Familie und zwei Punkern. Fans aus allen Schichten hat das Theater auch heute noch.
Puppenkisten-Content geht auf Social-Media viral
Auch auf TikTok und Instagram ist der Hashtag Augsburger Puppenkiste ein voller Erfolg. "Du holst meine Kindheit zurück" oder "Feinste Marionetten-Perfektion" sind Kommentare, die unter den Videos von Tom Böttcher stehen. Mit seinen Augsburger-Puppenkisten-Videos ist dem 28-jährigen Schauspieler ein viraler Hit gelungen – als lebende Marionette, wenn er die Bewegungen der Augsburger Puppen imitiert. Denn schon als Kind saß Tom Böttcher in Hamburg stundenlang vor seinem Röhrenfernseher und schaute seinem Favoriten "Schlupp vom grünen Stern" fasziniert zu.
Pläne für die Zukunft
Die Geschichten der Puppenkiste gehen weiter. Das Erbe von Walter Oehmichen will sein Nachfolger auch in Zukunft lebendig halten und das mit neuen Ideen für Kinofilme und Stücke. So soll das neue Kinderstück "Rapunzel" Premiere feiern. Eine große Jubiläumsausstellung zum 75-jährigen Bestehen der Puppenkiste ist laut Klaus Marschall ab Mitte März geplant.
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