Mittagszeit im "Leeren Beutel" in Regensburg. Geschirr wird abgeräumt, Gäste sitzen beim Espresso. Glaubt man der Aussage von Wirt Winfried Freisleben, wäre der Betrieb hier ohne Mitarbeiter aus dem Ausland längst unmöglich. Sie machen rund 50 Prozent von Freislebens Belegschaft aus. "Multikulti" – das sei Alltag, sagt er: "Es geht nicht um die Nationalität, sondern es geht darum, was die Damen und Herren bereit sind zu können oder bereit sind zu liefern." Und nach seinen Worten ist das eine Menge.
Freisleben bildet auch aus - wie viele Betriebe in der Gastronomie im Raum Regensburg. Zuletzt erlebten sie hier einen deutlichen Zustrom von Auszubildenden aus Vietnam. Die jungen Menschen helfen, Lücken in den Betrieben zu schließen und sind dort gern gesehen.
Sprachprobleme bremsen Berufsschul-Unterricht aus
Unterrichtet werden sie während der Ausbildung an der Städtischen Berufsschule II in Regensburg. Dort hat sich die Zahl der Vietnamesinnen und Vietnamesen im Fachbereich Gastronomie seit dem Schuljahr 2021/2022 mehr als verfünffacht. Schulleiter Alfons Koller und sein Lehrerkollegium sehen sich mit einer neuen Situation konfrontiert, denn immer öfter bemerkt Koller eine Begleiterscheinung der Entwicklung, die er bei Auszubildenden aus anderen Ländern so nie erlebt hat.
Koller beklagt, dass inzwischen langsamer unterrichtet werden muss. Er schildert, dass die sprachlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler aus Vietnam mitunter nicht ausreichend seien, obwohl sie entsprechende Zertifikate vorweisen könnten. Diese sind Pflicht, denn für eine Ausbildung in Deutschland sind bestimmte Voraussetzungen zu erbringen. Dazu zählen sprachliche Fähigkeiten auf dem Niveau "B1".
B1 bedeutet, dass die wichtigsten Punkte eines Gespräches verstanden werden, sofern klare Standardsprache verwendet wird und es um vertraute Dinge aus der Arbeit oder der Schule geht. Ausnahmen von der strengen Nachweispflicht gibt es etwa dann, wenn der Ausbildungsbetrieb die Sprachfähigkeiten des zukünftigen Auszubildenden vorab bestätigt.
Gefälschte Sprachzertifikate?
Mit diesen Auflagen sollte die Teilnahme am Unterricht an der Berufsschule problemlos möglich sein – doch genau hier scheint es zu hapern. Koller vermutet, dass entsprechende Sprachzertifikate auch jenseits der offiziellen Wege erhältlich sind. Denn eigentlich sollte deren Ausstellung vier speziellen Prüfungsanbietern vorbehalten sein. Mit dieser Vermutung ist Koller nicht allein. Unter anderem schildern Vertreter des Hotel- und Gaststättenverbandes sowie der Industrie- und Handelskammer unabhängig voneinander Ähnliches.
Arbeitskräftevermittlung gezielt gefördert
Die Vermittlung von Arbeitskräften aus Vietnam wurde zuletzt gefördert, um hierzulande Lücken zu schließen. Unter anderem soll es durch eine "Fachkräftevereinbarung" noch einfacher werden, dass Personal von Vietnam nach Deutschland kommt.
Blütezeit der Vermittlungsagenturen
Die Beziehungen dorthin haben historische Hintergründe. Auf dem internationalen Fachkräftemarkt spielt Vietnam für Deutschland eine besondere Rolle. Als die DDR in den 1970er-Jahren Arbeitskräfte benötigte, half der sozialistische Bruderstaat. Später schlossen die DDR und Vietnam sogar einen Vertrag: Vietnamesische Gastarbeiter trugen ihren Teil zur DDR-Wirtschaft bei und schickten Geld nach Hause, wo es dringend gebraucht wurde.
Die historische Entwicklung gilt Mimi Vu, Expertin für vietnamesische Arbeitsmigration, als Grundstein für heutige Migrationsmuster. Die gebürtige Amerikanerin arbeitet für eine Beraterfirma. Sie hat schon die EU-Delegation in Vietnam und Unicef beraten. Ihrer Einschätzung nach hat sich im Laufe der Zeit ein Markt für Vermittlungsagenturen entwickelt.
Vu zufolge ist die Nachfrage auf deutscher Seite aktuell so groß, dass davon auch zweifelhafte Anbieter profitieren wollen. Diese lockten junge Menschen mit falschen Versprechungen, erläutert sie. Zwar gebe es zum Teil Sprachkurse, seriös seien diese aber nicht. Sprachzertifikate würden einfach ausgestellt.
Dubiose Angebote
Welche Praktiken mitunter angewandt werden, musste Son Pham erleben. Pham ist Gründer und Geschäftsführer von "V-Unite". Die Agentur hat sich darauf spezialisiert, junge Menschen aus Vietnam, die hierzulande eine Ausbildung machen wollen, an Betriebe in Bayern zu vermitteln. Über 300 Partnerbetriebe zählt die Agentur mittlerweile. Das Angebot kostet Kandidatinnen und Kandidaten zwischen 6.000 und 8.000 Euro ohne Flug; Sprachkurs und anerkannte B1-Prüfung inklusive. Durchgeführt etwa am Goethe-Institut in Vietnam.
Im vergangenen Jahr erhielten jedoch einige Partnerbetriebe der Agentur verdächtige E-Mails, die angeblich von "V-Unite" stammten. Die Firmen schöpften Verdacht und wandten sich an Son Pham. Offenbar hatten Betrüger versucht, den Namen der etablierten Agentur für eigene Geschäfte zu missbrauchen. Pham spricht von "Trittbrettfahrern". Auch er warnt vor dubiosen Anbietern auf dem Markt der Vermittlungsagenturen.
Das Goethe-Institut, dass zu den vier anerkannten Prüfinstanzen gehört, nimmt das Thema "Fälschungssicherheit" nach eigenen Angaben sehr ernst. Vergangenes Jahr reagierte es mit der Einrichtung einer Website. Dort lassen sich Zertifikate des Instituts auf ihre Echtheit prüfen.
Berufsschulleiter wünscht sich bessere Kontrollen
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wünscht sich der Regensburger Berufsschulleiter Alfons Koller eine Lösung. Für ihn wären etwa noch bessere Kontrollen der Sprachzertifikate denkbar, damit er die Schüler zuverlässig durch die Ausbildung bringen kann und Auszubildende aus dem Ausland vernünftig integriert werden können. Und damit Vietnamesinnen und Vietnamesen hierzulande nicht irgendwann unter Pauschalverdacht stehen, Opfer krimineller Strukturen zu sein.
Im Moment muss seine Schule aber selbst mit manch sprachlicher Hürde im Unterricht fertig werden. Konkret also dort helfen, wo die Deutschkenntnisse fehlen, obwohl sie den Auszubildenden bescheinigt wurden.
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