Rollstuhlfahrerin Karin Wagner bei einem Heimspiel des SSV Jahn Regensburg im Stadion.
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Karin Wagner verpasst kein Heimspiel des SSV Jahn Regensburg. Nicht alle Stadien sind barrierefrei und haben eine gute Sicht für Rollstuhlfahrer.

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Barrierefreiheit im Stadion: Zwischen Anspruch und Realität

Barrierefreiheit im Stadion: Zwischen Anspruch und Realität

Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf Barrierefreiheit. Doch viele Betreiber von Fußballstadien erfüllen die Anforderungen nicht. Für Rollstuhlfahrer ist ein Stadionbesuch oft mit Hürden und Sichteinschränkungen verbunden.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus der Oberpfalz am .

"Und wir geben nicht auf", diese in Rot auf Weiß gestickten Worte zieren den Schal von Karin Wagner. Es ist nicht nur der Fanspruch der SSV Jahn-Anhänger, sondern auch ihr Lebensmotto. Seit fast 40 Jahren sitzt sie nach einem Unfall im Rollstuhl. Doch das ist für sie kein Grund, auch nur ein Spiel des Jahn zu verpassen.

Möglich ist das, weil das Jahnstadion für sie barrierefrei ist. Von den Parkplätzen kommt man, ohne eine Stufe oder eine Kante zu überqueren, zu den Rollstuhlplätzen. Doch Karin erzählt von anderen Stadionbesuchen, bei denen nicht alles glattlief. Beispielsweise sei in Magdeburg der Durchgang direkt vor den Rollstuhlplätzen, so dass hier oft die Sicht versperrt sei.

Investition vs. Inklusion: Barrierefreiheit in Fußballstadien

Nimmt man die deutschen Stadien genauer unter die Lupe, fällt auf, dass kaum eines den Anforderungen an Barrierefreiheit gerecht wird. Dabei gibt es Vorgaben, die sie rechtlich erfüllen sollten. In einer Recherche der Sportschau stellte sich heraus, dass keines der Erst- und Zweitligastadien die vorgeschriebenen Normen erfüllt. Laut den Vorgaben müsste es in den 36 Stadien insgesamt knapp 7.400 Rollstuhlplätze geben, in der Realität sind es nur rund 3.000. Organisationen wie die Bundesfachstelle Barrierefreiheit bemängeln, dass oft wirtschaftliche Defizite die Begründung für die Nichteinhaltung sind. Zu viel Aufwand, zu hohe Kosten für zu wenig Umsatz.

Daniela Wurbs und ihr Team versuchen, die Lage zu verbessern. Wurbs ist Projektleiterin bei "KickIn". Die Initiative setzt sich für Inklusion aller Fußballfans ein. Laut Wurbs würde von Inklusionsmaßnahmen nicht nur eine Gruppe profitieren: Auch für ältere Menschen oder Eltern mit einem Kinderwagen wären weniger Barrieren hilfreich. "Es wird von den Menschen eine Anpassung an die Infrastruktur erwartet, statt von der Infrastruktur eine Anpassung an die Bedürfnisse der Menschen."

"Wo kein Kläger, da kein Richter"

Von der Deutschen Fußball Liga (DFL) gibt es eine Empfehlung zum Thema "Barrierefrei im Stadion". Diese beruht auf der seit 2007 bestehenden Versammlungsstättenverordnung, die rechtlich bindend ist. Trotzdem legen Stadionbetreiber diese Grundlagen nach ihrem Belieben aus. Auch in Regensburg gibt es nur 51 Rollstuhlplätze statt der rechtlich erforderlichen 152. Alexander Hahn, Leiter für Organisation und Infrastruktur des SSV Jahn Regensburg, begründet das so: "Im Schnitt besuchen uns 20 Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, nur bei einer Handvoll Spiele sind wir ausgelastet." Beim Bau des Jahnstadions wurde von behördlicher Seite festgestellt, dass eine Abweichung der Versammlungsstättenverordnung zulässig sei, man berief sich auf Zahlen aus der alten Spielstätte. Aus diesem Grund findet Hahn, dass es standortspezifische Betrachtungen geben muss.

Wurbs kann das nicht nachvollziehen: "Hier ist es schwierig, wenn du als Verein sagst 'Wir machen's halt, wie wir's brauchen', denn es gibt eben rechtliche Grundlagen. Natürlich: Wo kein Kläger, da kein Richter, aber ich würde mir wünschen, dass die Klagekultur in Deutschland hier ein bisschen präsenter wäre und Behörden ihre eigenen Verordnungen anwenden."

Verantwortlich sind nicht nur die Vereine

In Regensburg ist der SSV nur der Hauptmieter des Stadions, für den Bau war die Stadt Regensburg zuständig. Der Betriebsleiter des Jahnstadions, Sebastian Graf, warnt davor, pauschalisierte Aussagen zu treffen: "Aus unserer Sicht liegt kein Grund vor, den Forderungen der Versammlungsstättenverordnung nachzukommen, solange sich die Nachfrage nicht ändert." Die Ansprüche sind laut ihm in manchen Stadien berechtigt, aber nicht bei allen.

Inklusion endet nicht am Stadiontor

Trotz aller Kritik ist das Jahnstadion für Karin Wagner eines der Stadien, in dem sie am besten zurechtkommt. Das trifft nicht auf alle Stadien zu: "Auswärts fahre ich nie ohne Begleitperson." Karin wünscht sich, dass man auch außerhalb von Fußballstadien öfter an sie denkt.

Dieser Beitrag entstand in der Lehrredaktion Audio/Video des Studiengangs Journalistik und Strategische Kommunikation an der Universität Passau in Zusammenarbeit mit Journalistinnen und Journalisten aus dem BR-Studio Niederbayern/Oberpfalz.

Im Audio: Unterwegs mit einer Rollstuhlfahrerin im Jahnstadion in Regensburg

Eine Rollstuhlfahrerin ist im Jahnstadion in Regensburg unterwegs.
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Auch im Jahnstadion in Regensburg gibt es weniger Plätze für Rollstuhlfahrer, als eigentlich vorgeschrieben sind.

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