Mit einer Taschenlampe bewaffnet sucht Matthias Hammer das Dachgebälk in der Marktheidenfelder Polizeistation nach den "Großen Mausohren" ab. So heißt die Fledermausart, die jedes Jahr im Sommer hier ihr Quartier bezieht. Seit gut dreißig Jahren kommt der Biologe im Auftrag des Landesamts für Umwelt (LfU) nach Marktheidenfeld, um zu schauen, wie es ihnen geht. "Nach unseren Zählergebnissen in den letzten 30 bis 35 Jahren geht es den Mausohren hier in Marktheidenfeld gut. Also die Population wächst jetzt nicht ins Unermessliche, aber sie schrumpft auch nicht, worüber wir uns schon sehr freuen", so seine Prognose.
170 Fledermäuse leben derzeit unter einem Dach
Dieses Mal muss der Wissenschaftler sogar über eine wackelige Leiter direkt unters Dachgebälk klettern, um alle Tiere zu finden, so gut haben sie sich versteckt. Mit einem sogenannten Zählei bewaffnet, klickt sich Matthias Hammer durch die Kolonie. 170 Stück sind es dieses Jahr. Fünf mehr als im letzten. Ein erfreuliches Ergebnis für Hammer. Fledermäuse stehen unter Artenschutz, deshalb lässt das Bayerische Landesamt für Umwelt den Biologen von der Uni Erlangen Fledermauskolonien in ausgewählten Quartieren zählen, um eine Grundlage für den behördlichen Artenschutz zu erhalten. An diesem Tag stehen noch zehn weitere Quartiere im Spessart an.
"Großes Mausohr" unter Polizeischutz
Insgesamt 25 verschiedene Fledermausarten gibt es in Bayern. Dass sich die größte hier heimische Art, die "Großen Mausohren" bei der Polizei in Marktheidenfeld so wohl fühlen, hat andere Gründe als den Polizeischutz im Haus. "Die wissen natürlich nichts von Marktheidenfeld und die wissen auch nichts von der Polizei, aber der Dachboden hat eben eine Qualität. Er ist groß, ungestört, und die Größe ist zum Beispiel wichtig, weil hier auch die jungen Mausohren das Fliegen lernen", erklärt Matthias Hammer. Fledermäuse leben zehn bis 15 Jahre, die Weibchen kommen immer wieder an den Ort ihrer Geburt zurück. Sie wissen, dass sie ihre Jungen dort gut und sicher aufziehen können.
Von der Mami-WG bis zur Junggesellenbude
Überall im Dachboden verteilt hängen sie rum. Die Männchen hängen einzeln und ganz abseits vom Dachbalken. Noch bis zum Herbst müssen sie ihr einsames Single-Dasein in ihrer Junggesellenbude fristen, bevor die Paarungszeit wiederbeginnt. Die Mamis dagegen kuscheln in Gruppen dicht an dicht gedrängt mit ihren Jungen.
Und nur ein Stockwerk tiefer wühlen sich die Polizistinnen und Polizisten durch ihre Akten. Und die sind ziemlich stolz auf die seltenen Tiere über ihren Köpfen: "Die Fledermäuse sind für uns ein ganz, ganz angenehmer Untermieter. Wir merken sie kaum. Ich denke mal, wenn wir ein Maskottchen bräuchten, wäre es das Große Mausohr. Also man nimmt das schon wahr und ist in gewisser Weise auch stolz drüber. Also für uns ist das schon was, wenn diese Population hier zumindest gleichbleibt oder größer wird", freut sich der sichtlich stolze Leiter der Marktheidenfelder Dienststelle Michael Zimmer.
Dachsanierung hat Kolonie nicht geschadet
Jahrelang hatten die Beamten den Mausohren im April sogar ein Dachfenster geöffnet, damit sie reinfliegen können. Was sie nicht wussten: die Mausohren nahmen lieber den Weg über den Kamin. Wie wichtig es ist zu wissen, wie die Fledermäuse den Dachboden nutzen, zeigt sich spätestens bei der Sanierung, erklärt Biologe Matthias Hammer. So wie bei der Dachsanierung des Marktheidenfelder Polizeigebäudes von 1890 vor ein paar Jahren. "Bevor man die Dachdecker und die Architekten hier ans Dach gelassen hat, hat man sich die Mühe gemacht zu beobachten, wo die Fledermäuse rein und rausfliegen und konnte dann eine sehr unauffällige kleine Öffnung am Kamin finden, die dann auch im Zuge der Sanierung erhalten wurde und die sicher ein entscheidender Punkt ist, dass eben die Kolonie heute überhaupt noch existiert", so Hammer.
- Mehr Wissenswertes: Großes Fledermauswinterquartier: Sanierung rückt näher
Baumaßnahmen können zum Tod einer ganzen Kolonie führen oder immens teuer werden, wenn man die "Wohngewohnheiten" der geschützten Tiere zu spät oder nicht berücksichtigt. Auch deshalb sind die jährlichen Besuche vor Ort wichtig, ergänzt der Biologe. So erfahren die Fledermausschützer von etwaigen geplanten Maßnahmen und können entsprechend reagieren.
Fledermäuse in Marktheidenfeld stehen unter besonderem Schutz
Das Besondere an den Fledermäusen in Marktheidenfeld ist zudem, dass es sich um eine sogenannte Flora-Fauna-Habitat-Kolonie handelt, das heißt, sie sind sehr streng geschützt. "Die Mausohren hier in der Polizeidienstelle in Marktheidenfeld sind ein kleiner Mosaikstein unseres gesamteuropäischen Naturerbes", erklärt Hammer.
Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) ist ein Abkommen der Europäischen Union zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen auf europäischer Ebene. Das Monitoring durch die Koordinationsstellen für Fledermausschutz in Süd- und in Nordbayern, die an der Universität Erlangen angesiedelt ist, wurde 1985 ins Leben gerufen. Laut LfU beläuft sich der aktuelle Stand der Fledermausdatenbank Bayern auf knapp 33.000 Fundorte und über 170.000 Nachweise (Stand 2020).
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!