Eine Person geht während eines Pressetermins in einer HNO-Praxis durch das Wartezimmer.
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Beleidigungen und Bedrohungen: Immer mehr Patienten rasten aus

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Beleidigungen und Bedrohungen: Immer mehr Patienten rasten aus

Der Ton in den Praxen wird rauer, beklagen Ärzte. Vor allem, wenn Wünsche von Patienten nicht sofort erfüllt werden. Um sein Personal zu schützen, berichtet Bayerns Hausärzte-Chef Wolfgang Ritter, scheut er nicht vor drastischen Konsequenzen zurück.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

"Um das Personal zu schützen, muss man ab und zu sogar die Polizei holen", sagt Wolfgang Ritter. Ritter ist Hausarzt im Süden Münchens und Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands. Hunderte Patienten kommen jeden Tag in die Hausarztpraxis, in der er und viele weitere Ärzte und Ärztinnen praktizieren.

"Wir sehen da schon eine Tendenz", sagt er, "dass bei Problemen, wenn nicht sofort Wünsche erfüllt werden, dass dann der Ton gleich rauer wird." Er berichtet, dass sein Personal dann beleidigt werde und auch bedroht. Immer wieder gäbe es Patienten, die der Praxis verwiesen werden müssen, weil sie sich nicht beruhigen oder nicht einbremsen lassen, wie Ritter sagt.

Patienten aus der Praxis zu werfen ist sein gutes Recht, denn eine grundsätzliche Pflicht, jemanden zu behandeln, gibt es per Gesetz nicht. Insbesondere wenn sich Patienten aggressiv verhalten, können Ärzte von ihrem Hausrecht Gebrauch machen.

Im Interview: Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung, zu Gewalt in Arzt-Praxen

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Praxis-Team bekommt Frust ab

Vor allem seine MFA würden die Aggressionen abbekommen, die Medizinischen Fachangestellten, die die Patienten unter anderem in Empfang nehmen. "Bei den Angestellten lassen sie ihren Frust massiv raus", beklagt Ritter. In dem Beruf, in dem es darum gehe, Menschen zu helfen, sei es für die MFA manchmal schwer zu verkraften, dass die Wertschätzung, mit der sie den Patienten begegnen, mit Forderungen und Aggressionen erwidert werde. Er selbst habe bereits MFA verloren, die hingeschmissen hätten, weil sie mit dem täglichen Konfliktpotenzial an der Anmeldung nicht mehr umgehen konnten.

Ist die Praxis ein Einzelfall? Groß angelegte Erhebungen unter Arztpraxen gibt es kaum. Bereits 2016 zeigte eine bundesweite Studie der Technischen Universität München (externer Link), dass fast alle befragten Hausärzte im Laufe ihrer Tätigkeit schon einmal aggressive Patienten erlebt hatten. Eine große Mehrheit berichtete damals von Bedrohung, Einschüchterung, sogar leichter körperlicher Gewalt oder sexueller Belästigung. Kleinere Befragungen in verschiedenen Bundesländern und in den Jahren darauf, teils in Notaufnahmen, bestätigen den Trend.

Kassenärzte-Chef fordert Anpassung des Strafrechts

Deswegen fordert Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dass der Gesetzgeber das Strafrecht verschärft. Außerdem sei es wichtig, geltendes Recht auch umzusetzen, so Gassen im Gespräch mit BR24. Justizminister Marco Buschmann (FDP) plant bereits, unter anderem Rettungskräfte besser vor Anfeindungen und Gewalt zu schützen. Derzeit ist der Gesetzentwurf noch in der Abstimmung im Ministerium. Die KBV hat zum Referentenentwurf Ende Juli Stellung genommen und findet, das Vorhaben geht nicht weit genug. Neben Rettungskräften und Vollstreckungsbeamten müsste etwa auch der Schutz für Vertragsärzte und Psychotherapeutinnen mit ihren Praxisteams gesetzlich festgeschrieben werden.

Als Ursache des schärfer gewordenen Umgangstons bis hin zu Handgreiflichkeiten in den Arztpraxen sieht KBV-Chef Gassen mehrere Punkte: "Das sind Erwartungshaltungen, die von Politik und Kassen geschürt werden, die nicht erfüllbar sind, die in der gesetzlichen Krankenversicherung auch nicht abgebildet sind." Auch eine "kürzere Zündschnur bei vielen Menschen und einen anderen kulturellen Hintergrund" sieht er als Motive. "Man kann es nicht an einem Punkt festmachen", so Gassen.

Bayerns Hausärzte-Vorsitzender appelliert an Menschlichkeit

In der Praxis von Wolfgang Ritter weisen Plakate darauf hin, bei Ärger und Wut erstmal tief durchzuatmen: ein Anfang. Der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands beklagt aber, dass der humanistische Gedanke, das Miteinander in einem solidarischen System und das Achten auf Schwächere in der modernen, digitalen, schnellen Welt immer mehr verloren gehe.

Es brauche einen gesamtgesellschaftlichen Disput, welche moralischen Werte wichtig seien, mithilfe von Schulen, anderen Bildungseinrichtungen oder Informationskampagnen, wie man in einer demokratischen und offenen Gesellschaft miteinander umgehen sollte.

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Arzthelferinnen am Limit: Praxen weisen ihre Patienten auf einen respektvollen Umgang mit den Ärzten und ihren Mitarbeitern hin.

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