In einem Gericht in Baden-Württemberg stehen in einem Sitzungssaal eine Strafprozessordnung und ein Strafgesetzbuch.
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In einem Gericht in Baden-Württemberg stehen in einem Sitzungssaal eine Strafprozessordnung und ein Strafgesetzbuch.

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Beschleunigte Gerichtsverfahren: Politische Rufe und Realität

Der designierte CDU-Generalsekretär machte rasch mit einer Aussage auf sich aufmerksam: Er fordert die schnelle, konsequente Bestrafung von Gewalttätern. Sogenannte beschleunigte Verfahren kämen dann zum Zug. Die Positionen dazu gehen auseinander.

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"Beschleunigte Verfahren": Was zurzeit in der Öffentlichkeit teils verstärkt gefordert, teils als ungeeignet abgetan wird, gibt es grundsätzlich schon länger. Was es damit auf sich hat, verrät die Strafprozessordnung. Dort heißt es, ein beschleunigtes Verfahren sei möglich, "wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist". Doch wann trifft das zu?

Beschleunigtes Verfahren: Was das bedeutet

Blickt man in der Zeit zurück, gab es solche Fälle an Amtsgerichten etwa bei Ladendiebstählen, Sachbeschädigungen oder kleinere Betrügereien. Oftmals hatten Beschuldigte keinen festen Wohnsitz vor Ort oder waren geständig.

Die Staatsanwaltschaft stellt für beschleunigte Verfahren einen Antrag - dann prüfen die Gerichte den Einzelfall. Die Hauptverhandlung wird "sofort oder in kurzer Frist" durchgeführt, so die Strafprozessordnung. Eine Anklageschrift muss nicht eingereicht werden, stattdessen kann die Anklage bei Beginn der Hauptverhandlung mündlich erhoben werden. Immer wieder kommt es vor, dass Angeklagte derartige Verfahren ohne Anwalt absolvieren. Mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe darf nicht verhängt werden. Die Vernehmung etwa eines Zeugen kann durch verlesene Protokolle über eine frühere Vernehmung ersetzt werden. Die Angeklagten können gegen Urteile Berufung einlegen.

Berlin will mehr solcher Verfahren

Derartige Verfahren machten in jüngster Zeit in Bezug auf Klimaaktivisten die Runde. So wurden etwa am Amtsgericht Bamberg Klimaaktivisten zu Geldstrafen verurteilt. Erst einen Tag zuvor klebten sie auf der Straße.

In Berlin wiederum hatte die Staatsanwaltschaft im Juni angekündigt, künftig mehr beschleunigte Verfahren beantragen zu wollen. Dabei betonte eine Behördensprecherin: Dies sei eine generelle Entscheidung, die sich nicht auf Verfahren gegen Klimaaktivisten beschränke. Der Einzelfall entscheide. Das Gericht in Berlin und die Staatsanwaltschaft betonten schon damals, es müsse sich zeigen, ob die Verfahren gegen die Klima-Demonstranten tatsächlich für ein beschleunigtes Verfahren geeignet seien.

Doch Normalverfahren für Klimaaktivisten

Denn ebenfalls in Berlin zeigt sich vor rund einer Woche auch: Noch während der Hauptverhandlung kann der Richter entscheiden, dass sich das besondere Verfahren für den Fall nicht eignet. Das Amtsgericht Tiergarten setzte das beschleunigte Verfahren gegen einen Klimaaktivisten nach wenigen Stunden Verhandlung aus. Über den Vorwurf der Nötigung sollte nun in einem Normalverfahren verhandelt werden. Die Vorsitzende Richterin sah die Voraussetzungen nicht erfüllt - ihr fehlten Zeugen, etwa um zu klären, wie lange der Rückstau bei der Straßenblockade dauerte und wie die Verkehrsumleitung erfolgte, heißt es in einem Bericht des rbb. Der Beschuldigte habe im Prozess geschwiegen.

Nach der Entscheidung erklärte ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei zu den Hintergründen: Der Antrag auf ein beschleunigtes Verfahren sei ein Ansatz gewesen, um die Arbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft ein stückweit zu effektivieren. Die Klebeaktionen würden "unglaubliche Kapazitäten" bei den Sicherheitsbehörden binden. Das Gericht aber habe noch einmal all jenen den Wind aus den Segeln genommen, die sagten, Polizei und Staatsanwaltschaft könnten willkürlich entscheiden.

Linnemann: Tat mittags im Freibad, abends vor dem Richter

Aktuell ist Carsten Linnemann Anstoß für die Debatte, der neu ernannte Generalsekretär der CDU. Er hatte am Wochenende schnellere Verfahren für Gewalttäter gefordert. "Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden", sagte er der "Bild am Sonntag". Dies gelte "auch am Wochenende". Dem Vorstoß liegt der Abschreckungs-Gedanke zugrunde. Hintergrund von Linnemanns Forderung waren die wiederholten gewaltsamen Auseinandersetzungen in Berliner Freibädern. Aber auch im Bezug auf Klimaaktivisten waren solche Forderungen schon aus der Politik zu hören.

Deutscher Richterbund: Personal fehlt

Der Deutsche Richterbund sieht bei der Forderung bislang jedoch keine Umsetzbarkeit: "Die Politik, die öffentlichkeitswirksam immer wieder nach einer zügigen Strafverfolgung ruft, muss die Justiz dann auch deutlich besser ausstatten", erklärte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn am Sonntagabend. Bundesweit fehlten allein in der Strafjustiz rund 1.500 Strafrichter und Staatsanwälte.

Darüber hinaus die Kritik: Mit beschleunigten Verfahren gegen Klimaaktivisten vorzugehen, sei rechtsstaatlich falsch und seiner Meinung nach lediglich auf politischen Druck der Regierungskoalition eingeführt worden, sagte Tobias Krenzel, der Verteidiger des angeklagten Klimaaktivisten im Fall des ablehnten Verfahrens aus Berlin laut "Morgenpost".

Dirk Lammer vom Deutschen Anwaltverein hingegen äußerte kürzlich, dass es sich bei den Klimablockaden um einfache und unstrittige Sachverhalte handele. Auch der leitende Oberstaatsanwalt in Bamberg, Bernhard Lieb, hielt beschleunigte Verfahren im Falle der Straßenblockaden durch Klimaaktivisten für "geeignet", da auch bei ihnen der Sachverhalt in der Regel unstrittig sei und es keiner größeren Beweisaufnahme bedürfe.

Justizminister Eisenreich: "Forderung berechtigt"

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) betonte im Interview mit Bayern 2 vom Bayerischen Rundfunk, dass es ein berechtigtes Anliegen sei, dass Strafen zügig erfolgen. Voraussetzung für schnelle Verfahren sei aber eine klare Beweislage. "Das ist in nicht so vielen Fällen der Fall, das heißt das beschleunigte Verfahren haben wir in etwa fünf Prozent der Anklagen."

Sprecher des Bundesjustizministeriums bremst

Ein Sprecher von Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte laut "Bild-Zeitung" bezüglich der Erwartungen, beschleunigte Verfahren müssten rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. "Werden diese (…) nicht beachtet, kann dies im schlechtesten Fall dazu führen, dass eine Verurteilung nicht mehr möglich ist, obwohl der Verdächtige die Tat wahrscheinlich begangen hat."

Im Audio: Carsten Linnemanns Forderungen

 Carsten Linnemann, neu ernannter CDU-Generalsekretär (Archivbild)
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Carsten Linnemann, neu ernannter CDU-Generalsekretär (Archivbild)

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