Russland hat das Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer gestoppt. Sobald alle russischen Forderungen für den Export seines eigenen Getreides erfüllt seien, kehre Moskau wieder zur Erfüllung der Vereinbarung zurück, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge.
Die Vereinbarung mit Russland und der Ukraine hatte nach mehreren Verlängerungen offiziell bis zum späten Montagabend (23 Uhr MESZ) gegolten.
Russland stellt Bedingungen für Wiederaufnahme des Abkommens
Die Russland betreffenden Teile des Abkommens seien nicht erfüllt worden, sagte Peskow weiter. Dabei geht es im Kern um westliche Sanktionen, die aus russischer Sicht verhindern, dass Zahlungen für russische Agrarexporte abgewickelt werden können. Moskau forderte zuletzt Erleichterungen bei den Sanktionen für seine Dünge- und Lebensmittelexporte, etwa bei Versicherungen, Fracht und auch der Finanzierung.
Peskow dementierte, dass der Zwischenfall auf der Krim-Brücke vom Montag, den Russland "Terroranschlag" nennt, Auswirkungen auf die Zukunft des Getreideabkommens habe. "Das sind zwei nicht miteinander verbundene Ereignisse. Sie wissen, dass noch vor dem Terroranschlag die Position von Präsident Putin geäußert wurde", sagte er am Montag. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte erklärt, dass die Grundlagen für eine Verlängerung der Vereinbarung fehlten.
Bundesregierung ruft Russland zur Verlängerung auf
Die Bundesregierung hat an Russland appelliert, eine weitere Verlängerung des Getreideabkommens möglich zu machen, wie die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin sagte. Auch setze die Bundesregierung darauf, dass es künftig nicht nur Einigungen mit kurzen Fristen gebe, sondern langfristige Exportmöglichkeiten für Getreide und Düngemittel aus der Ukraine. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) warf dem russischen Präsidenten Putin vor, "die Ärmsten der Armen auf dieser Welt in Geiselhaft für seine grauenhafte Kriegstreiberei zu nehmen".
"Es muss ein Ende haben, dass Hunger als Waffe eingesetzt wird." Bundesagrarminister Cem Özdemir
Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) kritisierte die Nicht-Verlängerung des Schwarzmeer-Getreideabkommens. Diese Entscheidung zeige einmal mehr, dass Präsident Wladimir Putin "der Hunger auf der Welt und die Sorgen der Entwicklungsländer letztlich egal sind". Schulze erklärte, ukrainisches Getreide könne helfen, die Weltmarktpreise zu dämpfen und so den Hunger zu bekämpfen. Die Lehre müsse sein, "dass man sich unabhängiger machen muss von Putins Willkür. Das gelingt, wenn Entwicklungsländer wieder mehr selber anbauen statt sich auf Weltmarkt-Weizen zu verlassen." Die Welt sei heute weniger verwundbar durch eine solche Blockade als noch vor einem Jahr, sagte Schulze. So könne Ukraine inzwischen etwa mehr Getreide als früher über den Landweg exportieren.
Getreide aus der Ukraine für andere Länder
Russland hatte nach Beginn seines Angriffskriegs gegen die Ukraine auch die Seehäfen des Nachbarlands blockiert. Getreide aus der Ukraine konnte mithilfe des Abkommens an Länder in Afrika, im Nahen Osten und in Asien geliefert werden, wo der Hunger zunimmt und mehr Menschen wegen hoher Lebensmittelpreise von Armut betroffen sind. Die Ukraine gehört zu den weltweit größten Getreideexporteuren.
Der Deutsche Bauernverband sieht keine Engpässe, zumindest auf dem deutschen und europäischen Markt. Der stellvertretende Generalsekretär des Verbands, Udo Hemmerling, verwies im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf die eigene Ernte, die in Mitteleuropa zur Verfügung stehe. Allerdings fügte er hinzu, sollte es eine längere Unterbrechung der Schwarzmeerroute für Getreide, Ölsaaten und Düngemittel geben, könnte es erneut zu Versorgungsengpässen und Preissteigerungen im globalen Agrarhandel kommen. Das ginge vor allem zu Lasten von Importeuren von Brotgetreide in Arabien, Afrika und Asien.
Ukraine reagiert gelassen
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sagte, die Aussetzung des Abkommens sei erwartet worden. Er halte die Entscheidung für politisches Theater. "Die Mitteilung selbst enthält sofort eine Ausweichklausel", sagte er. Russland habe bereits in der Vergangenheit ähnlich gehandelt, daher sei keine Reaktion mehr erforderlich.
Erdogan gibt sich zuversichtlich
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, dass der türkische Außenminister Hakan Fidan mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow noch heute "ins Gespräch treten" wird. Er hofft, das Getreideabkommen ohne Unterbrechung fortsetzen zu können.
Die Vereinten Nationen und die Türkei hatten das Abkommen im vergangenen Sommer vermittelt. Damit sollten nach dem Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine Lebensmittellieferungen aus der Region des Schwarzen Meers ermöglicht werden - allerdings nur in beschränktem Umfang. Vertreter der UN, Russlands, der Ukraine und der Türkei kontrollierten die Schiffsladungen in Istanbul.
Das Abkommen wurde zuletzt im Mai um 60 Tage verlängert, obwohl Moskau schon damals Vorbehalte äußerte. In den vergangenen Monaten gingen die Menge der exportierten Lebensmittel und die Zahl der Schiffe, die die Ukraine verlassen, stark zurück. Beobachter warfen Russland vor, die Teilnahme weiterer Schiffe an der Initiative zu beschränken.
Einnahmen wichtig für ukrainischen Haushalt
2022 konnte die Ukraine trotz des Krieges auch dank des Getreidedeals mehr als 38 Millionen Tonnen Getreide exportieren und dabei Erlöse von umgerechnet über acht Milliarden Euro erzielen. Die Einnahmen sind wichtig für den Staatshaushalt des Landes, das sich gegen den russischen Angriffskrieg zur Wehr setzt. Knapp 75 Prozent der Exporte gingen über die Häfen am Schwarzen Meer und der Donau ins Ausland. Gegenüber 2021 ging der Seeexport damit um etwa 23 Prozent zurück.
Mit Informationen von Reuters, AP und dpa
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