Darum geht's:
- Der Verband Deutscher Seilbahnen sagt, in Bayern würde ein Viertel der Skipistenfläche künstlich beschneit.
- Diese Rechnung stützt sich aber auf 18 Jahre alte Daten und hat einen Fehler.
- Der Anteil der künstlich beschneiten Pistenfläche ist wahrscheinlich deutlich höher, das schätzt auch der Deutsche Alpenverein (DAV).
Mit den Osterferien endet auch die Skisaison in Bayern. Wie schon in den vergangenen Jahren wurden auch in dieser Saison auf vielen Abfahrten Schneekanonen eingesetzt. Sie sind mittlerweile fester Bestandteil der bayerischen Skigebiete – denn fast überall in Bayern fällt weniger Schnee als früher. Das ist ein Problem für den Wintersport.
Kunstschnee und Schneekanonen werden in jeder Saison wieder diskutiert – zum Beispiel auch in diesem Winter in der ARD-Sendung "Hart aber fair". Dort war am 26. Februar unter anderem die bayerische Tourismusministerin Michaela Kaniber (CSU) zu Gast und diskutierte zum Thema "Berge ohne Schnee: Nie wieder Wintersport?".
Kaniber wies in der Sendung darauf hin, dass in Bayern im Vergleich zu Ländern wie Österreich oder Italien vergleichsweise wenig Pistenfläche künstlich beschneit werde. Konkret sagte sie: "Nehmen wir jetzt mal Italien 90 Prozent, Österreich 75 Prozent, die Schweiz mit 54 Prozent und wir in Bayern mit 25 Prozent."
Stimmen diese Zahlen? Und wenn ja: Warum werden Skipisten in Deutschland so viel weniger beschneit? Ein #Faktenfuchs.
Die Zahl 25 Prozent stammt vom deutschen Seilbahn-Verband
Die Zahlen, die Kaniber nennt, sind nicht aus der Luft gegriffen. Trotzdem sind sie nicht belegbar. Sie stammen laut einem Sprecher des Bayerischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus vom Verband Deutscher Seilbahnen (VdS). "Das Bayerische Tourismusministerium erhebt hierzu leider keine Zahlen", so die Antwort.
Der VdS schreibt zum Beispiel auf seiner Homepage: "Der Anteil der beschneiten Pistenfläche beträgt in Bayern zurzeit 25 Prozent." Diese 25 Prozent berechnen sich folgendermaßen: In den Jahren 1990 bis 2004 untersuchte und kartierte das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) die Skigebiete des bayerischen Alpenraums, die sogenannte "Skipistenuntersuchung Bayern". Die Ergebnisse wurden 2006 veröffentlicht. Dabei wurden knapp 3.700 Hektar in Bayern als "Skigebietsfläche" erfasst.
Von diesen 3.700 Hektar wurden im Jahr 2022 in ganz Bayern 970 Hektar beschneit. Diese Zahlen zur künstlich beschneiten Fläche nennt die bayerische Staatsregierung in einer Antwort auf eine Anfrage von Landtagsabgeordneten. Die Daten werden von den bayerischen Landratsämtern erfasst, da sie alle Beschneiungsanlagen genehmigen müssen, schreibt das Umweltministerium auf #Faktenfuchs-Anfrage.
970 Hektar von 3.700 Hektar würden 26 Prozent entsprechen. So würde die Rechnung des VdS aufgehen, das entspricht etwa der Zahl, die Ministerin Kaniber in der "Hart aber fair"-Sendung erwähnte.
Skigebiet ist nicht gleich Skipiste
Diese Rechnung ist aber so nicht korrekt. Die 3.700 Hektar Skigebietsfläche sind nicht gleichzusetzen mit der Pistenfläche. Diese ist deutlich kleiner. Die Autoren der "Skipistenuntersuchung Bayern" schreiben 2005 in einer Auswertung im "Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt": "Die reine Gesamtpistenfläche beläuft sich auf ca. 2.400 ha (…)".
Das liegt daran, dass ein Skigebiet nicht zu 100 Prozent aus Piste besteht. Geograf Thomas Dietmann, einer der Autoren der Untersuchung von 2005, schreibt dem #Faktenfuchs in einer Mail: "Die Skigebietsfläche umfasst die jeweilige Gesamtfläche des Skigebiets mit allen Abfahrtsvarianten innerhalb des Gebiets, also zwischen den einzelnen Pisten die sogenannten Variantenabfahrten (= nicht mit der Pistenraupe präpariert)."
Der deutsche Skilehrerverband erklärt in einer Veröffentlichung, dass diese Variantenabfahrten nicht kontrolliert, markiert und gesichert sind. Dietmann schreibt: "Die Pistenflächen sind die, die mit der Pistenwalze präpariert werden und ja im Gelände auch (sicherheitstechnisch) abgegrenzt werden."
Seilbahn-Betreiber benutzen Zahlen von 2006
Dietmann schreibt dem #Faktenfuchs auch, dass die Zahlen aus der LfU-Untersuchung veraltet seien, egal ob Skigebiets- oder Pistenfläche. Mit den Skigebieten am Grünten im Allgäu und am Jenner im Berchtesgadener Land haben zum Beispiel in den letzten Jahren zwei größere Gebiete den Ski-Betrieb ganz oder teilweise eingestellt. Der #Faktenfuchs hat beim VdS deswegen gefragt, ob die kommunizierten Zahlen trotz der Veränderungen seit 2006 so stimmen könnten?
Der Anteil der beschneiten Pistenflächen habe sich nicht verändert, schreibt der VdS auf #Faktenfuchs-Anfrage. Eine Pressesprecherin sagt im Telefongespräch mit dem #Faktenfuchs: Die 3.700 Hektar seien die aktuelle Zahl, mit der gearbeitet werde. Es sei nicht ersichtlich, warum sich an der Pistenfläche etwas geändert haben sollte. Die 3.700 Hektar blieben Pistenfläche, auch wenn sie mittlerweile nicht mehr so genutzt würden. Eine zweite Anfrage, weshalb der Seilbahnen-Verband mit den Zahlen aus 2006 und der gesamten Skigebietsfläche statt der Pistenfläche rechnet, blieb unbeantwortet.
DAV: Anteil beschneiter Pistenfläche ist deutlich höher
Der #Faktenfuchs hat auch beim Deutschen Alpenverein (DAV) nachgefragt. Der DAV kommt ebenfalls auf andere Zahlen als der VdS und betont ebenso, dass die LfU-Untersuchung mittlerweile veraltet sei. Man habe im Zuge der Erstellung der Alpenvereinskarten "Bayerische Alpen" die Pistenflächen selbst kartiert, sagt Steffen Reich, Ressortleiter "Naturschutz und Kartografie" beim DAV. Aufgegebene Skigebiete habe man aus dem Datensatz entfernt, Pistenumfeld und Variantenabfahrten nicht berücksichtigt.
Das Ergebnis: "Die Pistenfläche in den Bayerischen Alpen und dem Arbergebiet (Bayerischer Wald) beträgt rund 2.000 ha", schreibt Reich dem #Faktenfuchs. Die Pistenfläche in anderen Teilen Bayerns außerhalb der kartierten Gebiete schätzt der DAV auf 300 Hektar. Diese Daten seien maximal fünf Jahre alt, schreibt Reich.
Rechnet man mit der Zahl von 2.300 Hektar und den von der Staatsregierung genannten 970 Hektar künstlich beschneiter Fläche, dann wäre das Ergebnis: Ungefähr 42 Prozent aller bayerischen Skipistenflächen werden künstlich beschneit. Da es aktuell keine offiziellen oder wissenschaftlich erhobenen Daten zur gesamten bayerischen Skipistenfläche gibt, ist das keine gesicherte Rechnung, eher eine Annäherung.
Allerdings, so schreibt Steffen Reich vom DAV: "Die Zahl halten wir immer noch für deutlich zu niedrig. Aus eigener Erfahrung schätzen wir die beschneibare Fläche in den bayerischen Skigebieten (sporadisch betriebene Schlepplifte ausgenommen) auf rund 70 Prozent, Tendenz steigend."
Die 25 Prozent an künstlich beschneiter Pistenfläche, die von den Seilbahnbetreibern kommuniziert werden und auf die sich Kaniber bezieht, sind jedenfalls nicht belegbar. Korrekterweise müsste man hier von beschneiter Skigebietsfläche und nicht von Skipisten sprechen und erwähnen, dass die zugrundeliegenden Daten 18 Jahre alt sind.
Kanibers Zahlen zu anderen Ländern stimmen
Die anderen von Tourismusministerin Kaniber genannten Zahlen stammen von italienischen, österreichischen und Schweizer Seilbahn-Verbänden. Der #Faktenfuchs hat bei den Verbänden nachgefragt. Diese bestätigen die Zahlen, die Kaniber für den Anteil künstlich beschneiter Pistenfläche genannt hat: 90 Prozent in Südtirol (2022), 54 Prozent in der Schweiz (2022) und 75 Prozent in Österreich (2023).
Der Wirtschaftsgeograf Jürgen Schmude von der Ludwig-Maximilians-Universität in München hält diese Zahlen für die beschneite Fläche grundsätzlich für plausibel: "Im Trend stimmt das schon. Also die beschneite Fläche in Italien ist zum Beispiel exorbitant höher als in Deutschland", sagt er im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Der genaue Unterschied sei aber schwer zu beziffern, sagt er. "Aber ich würde jetzt die Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass man sagt, der Unterschied sind 20 Prozent, 30 oder 40 Prozent."
Warum beschneien andere Länder stärker?
Die wahrscheinlich niedrigere Beschneiungsquote in Bayern liegt laut den Experten unter anderem daran, dass andernorts künstliche Beschneiung früher und mehr ausgebaut und gefördert wurde. In Österreich sei künstliche Beschneiung einfach früher eingesetzt worden, sagt Jürgen Schmude von der LMU. Es spiele auch eine Rolle, ob es Förderprogramme im jeweiligen Land gab.
"In Österreich ist viel früher viel intensiver gefördert worden, als das in Bayern der Fall war", sagt Jürgen Schmude von der LMU. Während in Deutschland die Förderung von Beschneiungsanlagen Sache der einzelnen Länder sei, werde das in Österreich und der Schweiz auch vom Bund gefördert.
Nachhaltigkeit und Klimabilanz der Schneekanonen stehen immer wieder in der Diskussion – auch bei "Hart aber fair" wurde darüber diskutiert. Zur ganzen Wahrheit gehört auch: Berechnungen, unter anderem vom österreichischen Umweltbundesamt, zeigen, und Experten sagen, dass die An- und Abreise in den Skiurlaub die meisten CO₂-Emissionen verursachen. "Da müssen wir ganz kritisch feststellen: Wir als Verbraucher sind eigentlich das größere Problem als die Schneekanone", sagt Jürgen Schmude.
Fazit
In Bayern werden laut Kartierungen des Deutschen Alpenvereins und nach Ansicht von Experten wahrscheinlich mehr als 25 Prozent der Pistenfläche künstlich beschneit. Diese Zahl stammt aus einer veralteten Berechnung des Verbands Deutscher Seilbahnen und bezieht sich auf die gesamte Fläche der Skigebiete, nicht auf die deutlich geringere Pistenfläche. Einige dieser Skigebiete haben mittlerweile den Betrieb eingestellt.
Der Deutsche Alpenverein schätzt, dass weit mehr als ein Viertel der Pistenfläche in Bayern beschneit wird. Andere Länder setzen Schneekanonen teils deutlich breiter ein als Bayern. Unter anderem, weil dort früher mit dem Ausbau begonnen und dieser staatlich gefördert wurde.
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