Heute beginnt die 15. Biodiversitäts-Konferenz der Vereinten Nationen in Montréal, Kanada. Regierungen aus der ganzen Welt kommen zusammen mit dem Ziel, Pläne zu entwickeln, um das Verschwinden der Arten einzudämmen und die biologische Vielfalt zu erhalten.
Wie drastisch die Biodiversität schwindet, zeigt etwa die letzte Auswertung des vom WWF erstellten Living Planet Index: Die darin beobachteten, auf der ganzen Welt verteilten Wirbeltierpopulationen schrumpfen im Durchschnitt um 69 Prozent.
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Wirbellose Tiere und Pflanzen gehen in großer Zahl verloren
Die folgende Grafik zeigt eine Übersicht über die Rote Liste Deutschlands – darin wird alle zehn Jahre von Experten festgehalten, welche Arten hierzulande bedroht oder sogar kurz vor dem Aussterben sind.
Grafik: Bedrohte und ausgestorbene Arten
Auch für die einzelnen Bundeländer gibt es solche Auflistungen, denn Naturschutz fällt in Deutschland in den Aufgabenbereich der Länder. Vergleichen lassen diese sich laut einer Sprecherin des Rote-Liste-Zentrums Deutschland untereinander jedoch nur sehr schwer – Methoden und Gefährdungskategorien unterscheiden sich; oft ist der Datenstand zeitlich zu weit auseinander. Und weiter aufgeschlüsselte Daten gibt es auch fast keine.
Dabei seien die Gefährdungsgründe und die Umstände einer bedrohten Art in vielen Fällen sehr lokal, erklärt Jörg Freyhof, Wissenschaftler am Museum für Naturkunde in Berlin. "Die Biodiversität nimmt im Allgemeinen auf jeden Fall ab – aber in Deutschland haben wir nie systematisch Hotspots der Arten analysiert. Wir wissen nicht, was die Schlüsselgebiete für das Überleben einer Spezies sind."
Bedrohte Arten: Hotspots in Rosenheim und Traunstein
Bayern bildet eine gewisse Ausnahme: Das Bayerische Landesamt für Umwelt ermöglicht es, die bedrohten Arten auch für jeden Landkreis zu betrachten.
Die meisten bedrohten Arten – also Arten, die nach den Kategorien der Roten Liste Bayern ausgestorben, verschollen, vom Aussterben bedroht, sehr gefährdet oder gefährdet sind – gibt es im Landkreis Rosenheim und in Traunstein. Die meisten in Bayern bereits ausgestorbenen oder verschollenen Arten, insgesamt neun, zählen beispielsweise Bad Tölz-Wolfratshausen oder der Landkreis München.
In dieser interaktiven Karte sehen Sie, wie viele bedrohte Tierarten in einem Landkreis vorkommen. Wählen Sie einen Kreis aus, um zu erfahren, wie stark die Bedrohung ist:
Karte: Bedrohte und ausgestorbene Arten in den bayerischen Landkreisen
Wichtige Beobachtungsdaten fehlen
Allerdings sind die komplexen Zusammenhänge viel schwerer zu beziffern als etwa der Rückgang einer einzigen Population von Bergsträuchern oder einer ganzen bestimmten Art in einem bestimmten Gebiet. Und selbst dafür fehlen in Deutschland, wie so oft, die nötigen Beobachtungsdaten.
Der Living Planet Index des WWF etwa kann nur auf größere Regionen wie Eurasien angewendet werden. "Wir haben kein europäisches Reporting-System und auch kein deutsches Monitoring-System zu all diesen Veränderungen", erklärt Carl Beierkuhnlein, Professor für Biogeografie an der Universität Bayreuth. "Keine Daten, die einen quantitativen Vergleich über die Zeit wirklich erlauben würden." Dabei wäre gerade das laut dem Fachmann wichtig: Ökosysteme funktionieren lokal und regional – auf dieser Ebene müsste genau erfasst und analysiert werden.
Rote Listen beruhen auf Expertenwissen
Weil Beobachtungsdaten fehlen, behelfen sich Forscher anderweitig – zum Beispiel mit den bereits erwähnten Roten Listen. Diese beruhen laut Beierkuhnlein zum Großteil auf dem Expertenwissen der Autoren und Autorinnen. "Das soll nicht bedeuten, dass diese Listen wertlos sind. Sie sind sehr wertvoll, aber sie sind eben mit einem gewissen Teil von Subjektivität versehen", erläutert der Experte. "Das ist erforderlich, weil wir als Gesellschaft bislang zu wenig investiert haben, um wirklich flächendeckende, zeitlich hochaufgelöste Daten zur Entwicklung der Biodiversität in unserem Land zu generieren."
Dennoch finden Forscher und Forscherinnen immer wieder Wege, um mit den vorhandenen Daten die Lage besser zu verstehen. So publizierte ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Forschungseinrichtungen eine Studie zu den sechs globalen Hauptbedrohungen für die Artenvielfalt von Wirbeltieren. Auf Karten veranschaulichen sie, wo diese Bedrohungen am wahrscheinlichsten auftreten. Diese Daten können, so die Forscher, auch auf nationaler Ebene ein Gefühl dafür geben, wo sich mögliche Krisengebiete befinden.
Datenjournalistinnen von BR24 haben diese Daten für Deutschland analysiert.Die folgende Bildergalerie zeigt die Ergebnisse für Säugetiere. Achtung: Die Skalen der Karten sind nicht immer gleich.
Die Datengrundlage ist die Rote Liste der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN). Sie gibt für viele Arten weltweit einen Bedrohungsstatus an – ähnlich der Roten Listen Deutschlands und der Bundesländer. Zusätzlich enthält sie aber auch Informationen dazu, was die verschiedenen Arten bedroht – und wie stark. Diese Infos wurden in der Studie mit Populationsdaten von auf dem Land lebenden Wirbeltierarten in unterschiedlichen Regionen verrechnet und nach Klassen zusammengefasst. So entstehen die Wahrscheinlichkeitswerte, die auf den Karten zu sehen sind.
Daten für Wirbeltiere als Indikator der Biodiversität
Auch die IUCN-Liste leidet unter den bereits genannten Schwächen. Nicht ohne Grund haben die Forscher die Daten der Wirbeltiere untersucht – es gibt hier schlicht die meisten Experten und damit die meisten Informationen. Aber natürlich kann Biodiversität nicht auf die Bedrohung und die Verluste einer Artengruppe reduziert werden – das macht etwa Biogeograf Carl Beierkuhnlein deutlich. Trotzdem meint er: "Die Wirbeltiere sind ein guter Indikator. Wenn sich dort etwas tut, dann hat sich auf den Ebenen der Ressourcen darunter, bei den Pflanzen und den Mikroorganismen, auch etwas getan – wo wir eben oft gar nicht mehr so genau hinschauen."
In den Deutschlanddaten stechen daher immer wieder zwei Naturräume ins Auge, die Forscherinnen und Forscher hierzulande schon lange Sorgen machen: die Küste und der Alpenraum. So auch in der folgenden Galerie zu den Amphibien:
Es überrascht nicht, dass vor allem im Süden Bayerns die Auswirkungen groß sein können. "In Bayern haben wir einige Bereiche, die sich durch eine außergewöhnlich hohe Biodiversität auszeichnen", erklärt Carl Beierkuhnlein. "Da ist natürlich der Alpenraum zu nennen. Aber auch das Mittelgebirge und die nördliche Frankenalb." Im Alpenraum habe man sehr viele Endemiten, also vor allem Pflanzen, aber auch Insekten und andere Kleintiere wie Vögel – das Alpenschneehuhn zum Beispiel –, die überwiegend oder fast nur in den Alpen vorkommen.
Was außerdem auffällt: Die Landwirtschaft in Deutschland kann über alle drei Artengruppen hinweg fast flächendeckend eine hohe Auswirkung haben. Eine Entwicklung, die Carl Beierkuhnlein bestätigt und sehr kritisch sieht: "Wir könnten auf sehr viel geringerer Fläche eine nachhaltige Landwirtschaft zur Versorgung unserer Bevölkerung betreiben – die dann auch nicht zur Belastung von Grundwasser und Atmosphäre durch Stickstoff und Kohlenstoff und damit zum Klimawandel beiträgt."
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Die Studie zu den globalen Bedrohungen hat weitere Nachteile. "Die IUCN Rote Liste, etwas anders als die Deutsche Rote Liste, betrachtet sehr stark das Aussterberisiko. Aussterben bedeutet, dass das letzte Individuum von dieser Erde verschwunden ist", erklärt Wissenschaftler Jörg Freyhof. "Arten, die ein kleines Verbreitungsgebiet haben, haben ein höheres Aussterberisiko haben als Arten, die weit verbreitet sind."
Die Daten zur Gefährdung durch Umweltverschmutzung, die in der Originalstudie vorhanden waren, werden von BR24 für Deutschland nicht dargestellt – zu ungenau ist das Ergebnis nach der Einschätzung der interviewten deutschen Experten. Carl Beierkuhnlein fehlt in den Kategorien zudem die Gefährdung durch die zerklüftete Kulturlandschaft, die es vielen Arten schwer macht, in andere Gebiete auszuweichen. Global ist das nicht unter den sechs größten Bedrohungen – in Deutschland jedoch ein großes Thema.
Die COP15: Biodiversität in den Fokus rücken
Eine Möglichkeit, einen größeren Teil der Bevölkerung, Unternehmen oder Verwaltungen für das Thema Biodiversität zu sensibilisieren, sehen die Experten in der am Mittwoch beginnenden Konferenz COP15: "Diese Konferenz bringt das Thema in die Medien und in die Presse und so realisieren immer mehr, dass es etwas zu tun gibt", sagt Jörg Freyhof. Zu optimistisch ist der Fachmann aber auch nicht: "Vielleicht sind die Zeiten dieser großen Konferenzen vorbei, wo man glaubt, erreichen zu müssen, dass alle Mitgliedsstaaten sich da auf irgendetwas einigen."
Nationale und regionale Ziele setzen
Viel wichtiger sei es, dass man sich über diese großen Abkommen hinaus auf nationaler und auch regionaler Ebene eigene Ziele setze und diese umzusetzen versuche. Ein Ansporn dürfte auch in Zukunft das Anwachsen der Roten Listen sein. In der folgenden Tabelle können Sie nach Ihrem Landkreis suchen und nachlesen, welche Arten dort bereits angezählt oder schon verschwunden sind.
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