Barrierefreiheit ist eines der Ziele, die mit der Umgestaltung der Freisinger Innenstadt erreicht werden sollen. Das Zwischenergebnis stellt freilich noch nicht alle zufrieden. Das speziell für die Stadt entwickelte Blinden-Leitsystem sei an vielen Stellen wenig hilfreich, berichtete ein Betroffener dem BR und hat zum gemeinsamen Rundgang eingeladen.
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Hindernislauf in der Altstadt
Der Weg durch die Altstadt ist für den blinden Freisinger Bernhard Primus oft der reinste Hindernislauf: "Da steht jetzt ein Fahrrad mitten im Weg", stellt er schon nach wenigen Metern fest. Kurz darauf ertastet er mit seinem Langstock das nächste Problem. Diesmal wird er von einem Lieferwagen ausgebremst.
Entwässerungsrinne als Leitsystem
Dabei geht Primus die ganze Zeit in der gepflasterten eineinhalb Zentimeter tiefen Entwässerungsrinne, die in dem verkehrsberuhigten Bereich auch als Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte dienen soll. Nur wird es als solches von den meisten anderen nicht wahrgenommen. Gerade bleibt wieder ein Auto mitten auf der Rinne stehen. Dass der Fahrer das Leitsystem blockiert, ist ihm nicht bewusst: "Meine Frau holt schnell in der Apotheke einige Medikamente, und ich hab mich gefreut, dass da ein freier Platz ist."
Informationskampagne wirbt um Rücksicht
Besser wahrgenommen würde nach Primus Ansicht das klassische Blinden-Leitsystem, wie er es etwa aus München kennt: eine geriffelte durchgehende weiße Linie. Für Freising sei das keine Option gewesen, sagt Michael Schulze vom Stadtplanungsamt.
Denn in einem verkehrsberuhigten Bereich dürfe es laut Straßenverkehrsordnung auch keine optische Aufteilung in Straßenraum und Gehweg geben – also keine durchgehende Linie. Dafür hat die Stadt eine Informationskampagne gestartet, damit das Leitsystem auch bei Sehenden noch bekannter und nicht mehr so oft zugeparkt wird.
"Eine einzige Katastrophe"
Auch an anderen Stellen hat sich gezeigt, dass das Konzept trotz langer Vorplanung und intensiven Diskussionen in der Praxis Lücken hat – im wahrsten Sinne. Primus bleibt bei seinem Rundgang plötzlich stehen. "Hier endet das System", erklärt er. Als blinder Mensch könne er nun gar nicht wissen, wie es weitergeht: "Das ist eine einzige Katastrophe."
Raue Steine statt Orientierungsfeld
Einige rauere Steine sollen ihm eigentlich signalisieren, dass sich hier eine Seitenstraße befindet. Mit dem Langstock fühlen sie sich aber nicht anders als das übrige Pflaster an. "Ein System muss selbstverständlich durchgängig sein", betont der Freisinger: "Das heißt, wenn es aufhört, muss es zumindest mit einem Orientierungsfeld aufhören."
Stadt will Schwachstellen beseitigen
Schwachstellen wie diese sollen demnächst beseitigt werden, versichert Stadträtin und Sozialreferentin Charlotte Reitsam (Grüne). Sie spricht von einem Lernprozess, bei dem man auch alle Möglichkeiten habe, noch etwas zu verbessern. Das werde natürlich auch "einen Haufen Geld" kosten, weiß sie. Dafür ist es ein weiterer Schritt in Richtung Barrierefreiheit in Freising.
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