Die kleine Zweizimmerwohnung in Mitterfels ist sehr spartanisch eingerichtet. Im Hauptraum steht ein Herd an der Wand. Daneben lehnt eine Spüle, die noch nicht installiert ist. An einem Holztisch sitzt Gulnur Bakhriddinova und hält ihr Smartphone in den Händen. Sie scrollt durch die Bildergalerie. Dann stoppt sie bei einem Foto und vergrößert es. Zu sehen sind ihre fast dreijährige Tochter und ihr Mann. "In Deutschland gibt es ein Sprichwort: 'Aller Anfang ist schwer'", sagt die Usbekin in sehr gutem Deutsch, "Ich vermisse sie wirklich, aber ich versuche, es zu schaffen".
Knapp 5.500 Autokilometer von der Familie entfernt
Anfang Dezember hat Bakhriddinova ihre Familie in ihrer Heimatstadt Samarkand vorerst zurückgelassen. Knapp 5.500 Autokilometer trennen die Großstadt im Südosten Usbekistans vom kleinen Mitterfels im Landkreis Straubing-Bogen. Hier in Niederbayern möchte die 26-Jährige Auslandserfahrung sammeln, Bräuche und Kultur entdecken. Und vor allem möchte sie lernen, wie Kinderbetreuung in Deutschland gelebt wird.
Bakhriddinova hat in ihrem Heimatland Pädagogik studiert und dort bereits in einem Kinderhort gearbeitet. Von einer ehemaligen Kommilitonin, die im oberbayerischen Penzberg lebt, erfuhr sie von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Deutschland. Die AWO betreibt unter anderem Kindertagesstätten – so auch im Landkreis Straubing-Bogen. Am 20. September bewarb sich die Usbekin aus ihrem Heimatland heraus in mehreren AWO-Kinderhorten in der Region.
Bewerbung im AWO-Kinderhort
Gut fünf Monate später verlässt Gulnur Bakhriddinova ihre Sozialwohnung und macht sich morgens auf den Weg zum AWO-Kinderhort in Mitterfels. In dem modernen Bau bereiten sich Conny Siewert und ihre Kolleginnen auf die Ankunft der Kinder vor. Siewert ist die stellvertretende Leiterin der Kindertagesstätten der AWO Straubing. Auf ihrem Tisch landete auch Bakhriddinovas Bewerbung.
Siewert bekommt ab und zu Bewerbungen aus dem Ausland. Doch Post aus Zentralasien ist in Mitterfels ziemlich ungewöhnlich. "Es war überraschend. Wie kommt jemand aus dem Land darauf, dass es in Straubing eine AWO gibt? Das war mein erster Gedanke. Wie kommt sie überhaupt darauf, sich bei uns zu bewerben?", erinnert sich die ausgebildete Erzieherin, "Aber die Bewerbung hat mich angesprochen. Die Bewerbung war vollständig. Die Bewerbung war ins Deutsche übersetzt, alle Dokumente waren dabei. Das war einfach stimmig."
Anruf in Usbekistan
Zum ersten Mal in ihrem Leben wählte Siewert dann eine usbekische Nummer. Die junge Frau aus Samarkand am anderen Ende der Leitung war noch nie in Deutschland, lernt aber seit drei Jahren Deutsch als Fremdsprache. Es folgten zwei digitale Bewerbungsgespräche, bei denen Bakhriddinova einen sehr guten Eindruck hinterließ. "Sie konnte auch Fragen außerhalb des Schemas auf Deutsch beantworten. Das ist oft anders", sagt Siewert. "Sie hat mit ihrer freundlichen Art gleich begeistert."
Am 23. Oktober - drei Tage nach dem zweiten Bewerbungsgespräch - stellte der AWO-Kinderhort Mitterfels beim Jugendamt den erforderlichen Antrag auf Personalzustimmung. Ein Prozess, der normalerweise Wochen dauert. Doch aufgrund der akribischen Vorarbeit der Usbekin lag die Zustimmung schon weitere drei Tage später vor.
Nächste Hürde: Visum
Die nächste Hürde war nun das Visum. Die Hort-Leitung reagierte schnell, stellte alle erforderlichen Dokumente wie den Arbeitsvertrag rasch zusammen. "Dann war ein ganz netter Zufall, dass ein Bekannter von Gulnur aus Bamberg Urlaub in Usbekistan gemacht hat, und der hat die ganzen Originalunterlagen dann mitgenommen", erzählt Conny Siewert weiter. Der Postweg sei ihr zu unsicher gewesen, sagt auch die Usbekin selbst.
Acht Wochen dauert in der Deutschen Botschaft in der usbekischen Hauptstadt Taschkent normalerweise der Bearbeitungsprozess. Am 27.11.2023, nur eine Woche nach Einreichung der Dokumente, lag das Visum für Gulnur Bakhriddinova vor. "Der Visumsantrag ist in meinem Heimatland immer nicht so einfach. Aber Usbekistan unterstützt immer junge Menschen, die im Ausland studieren oder legal arbeiten wollen", erläutert Bakhriddinova bescheiden. Dabei sei auch dieser Erfolg auf ihre eigene Professionalität zurückzuführen, wie Siewert bestätigt.
Nur zwei Monate bis zum ersten Arbeitstag
Am 3. Dezember landete die Usbekin in Deutschland. Auch die Gemeinde Mitterfels zog mit, organisierte schnell eine Ferienwohnung, in der Bakhriddinova in den ersten Wochen vor dem Umzug in die Sozialwohnung lebte. Am 11. Dezember hatte sie dann ihren ersten Arbeitstag – nur zwei Monate nach dem ersten Bewerbungsgespräch.
Gulnur Bakhriddinova ist dankbar, dass alles so reibungslos funktioniert hat. Und die Kinder im Hort sind begeistert von ihrer neuen Betreuerin. "Sie kann sehr gut Deutsch. Man merkt ein bisschen, dass sie nicht aus Deutschland kommt, aber ansonsten bemerkt man das nicht", lobt zum Beispiel die kleine Valentina. Sie muss es wissen, sie spricht selbst drei Sprachen. Gulnur bastele mit den Kids, helfe bei den Hausaufgaben, spiele mit ihnen.
Familiennachzug in Aussicht
Ihre eigene Familie soll bald nachkommen. Vielleicht schon im März. Ihr Mann ist Automechaniker und hat schon eine Probearbeit in Aussicht. "Ich stelle mir vor, in den nächsten zehn Jahren in Deutschland zu sein", sagt die Pädagogin. Und danach? "Es ist eine lange Zeit. Danach? Vielleicht." Gulnur Bakhriddinova lächelt. Ihre Geschichte ist ein gutes Beispiel für schnelle Integration ausländischer Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt.
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