Im Jugendtreff "Einstein" in Geretsried geht es um mehr als darum, Spaß zu haben. Regelmäßig kommen Jugendliche hierher, die noch immer unter den Nachwehen der Corona-Pandemie leiden. Zum Beispiel die 18-jährige Lucy. Sie ist immer noch wegen depressiver Phasen in therapeutischer Behandlung. "Die Jugend von heute wird immer als faul abgestempelt", kritisiert sie. "Aber niemand fragt nach den Ursachen. Keiner überlegt, dass das vielleicht daran liegen könnte, dass wir zwei Jahre lang zu Hause eingesperrt waren." Ähnlich geht es der 15-jährigen Ronja: "Bei mir zeigt sich das dadurch, dass ich viel im Bett liege, ich lege mich auch nach der Schule hin. Ich komme also nicht raus, wenn ich nicht gerade etwas mit Freunden mache." Auch andere Jugendliche im Alter der beiden berichten von psychischen Problemen im Nachgang der Pandemie.
Probleme wurden ausgelöst oder verstärkt
Wer in einen Jugendtreff wie das "Einstein" kommt, hat schonmal den ersten Schritt gemacht. Viele schaffen es aber gar nicht erst so weit. Das erlebt Sozialpädagogin Gabi Gomez immer wieder bei ihrer Arbeit an Schulen: "Die Jugendlichen, die am meisten kämpfen, sind von den Schulen teilweise verschwunden", ist ihre Erfahrung. Das mache ihr große Sorgen: "Die sind in Kliniken untergebracht oder gehen gar nicht mehr zu Schule. Sie sind Schulverweigerer, die zu nichts mehr zu bewegen sind, weil ihre Ängste so groß sind." Früher sei dieses Thema nicht so groß gewesen. "Ich hatte früher im Jahr vielleicht einen oder zwei Fälle, in denen Kinder mal nicht zur Schule gegangen sind. Jetzt sind es viel mehr."
Einer dieser Fälle ist Tom (Name von der Redaktion geändert). Der 16-jährige ist seit zwei Monaten stationär in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der LMU in München untergebracht. Nach Ende des Lockdowns kam der eigentlich gute Schüler mit dem Leistungsdruck nicht mehr klar. Heute wird er vor allem wegen einer Depression behandelt. "Ich war in einem Teufelskreis gefangen", berichtet Tom. "Ich habe die Schule nicht mehr ganz hinbekommen und habe teils bis drei Uhr nachts gearbeitet." Um sechs Uhr habe er dann wieder aufstehen müssen. "Das war auch nicht gut für meinen Körper. Es gab extrem viel Druck und ich hatte gemischte Gefühle, die mich extrem belastet haben." Er sei immer schlecht gelaunt und reizbar gewesen, sagt er heute.
Tom hat damals so dringend Hilfe gebraucht, dass er schnell einen Therapieplatz in der Klinik bekam. Ambulant warten allerdings viele Jugendliche oft über ein Jahr darauf. Ihre Zahl wächst. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der LMU, Gerd Schulte-Körne, beobachtet eine Zunahme von zehn bis zwanzig Prozent von Jugendlichen, die eine depressive Erkrankung, eine Angststörung oder Essstörungen haben. "Man kann sagen: Hätte es Corona nicht gegeben, wären sie vielleicht gar nicht oder später erkrankt", ist er überzeugt.
Experte kritisiert zu geringen Fokus auf das Kinderwohl
Tom wird die Klinik bald wieder verlassen und möchte in diesem Jahr seinen Abschluss machen. Er hofft, dass er dem Druck dann standhält. Gerd Schulte-Körne hat allerdings oft den Eindruck, dass das Kinderwohl und die Kinderpsyche weit weniger im Fokus stehen. „Wir haben eine zusätzliche Belastung von Kindern und Jugendlichen über Jahre und die Aufmerksamkeit ist viel zu gering“, kritisiert er. Im präventiven Bereich werde viel zu wenig getan. „Eigentlich reagieren wir immer erst dann, wenn die Kinder erkrankt sind.
Umso wichtiger können Angebote wie der Jugendtreff "Einstein" sein. "Ich kann einen festen, sicheren Ort anbieten", sagt Gabi Gomez. "Eltern sind mit so einem Kind, das Probleme hat, oft überlastet. Da ist es vielleicht gut, jemanden im Hintergrund zu haben." Und dennoch: Die fehlenden Therapiemöglichkeiten für psychisch gefährdete oder erkrankte Jugendliche können auch Jugendtreffs bei Weitem nicht ersetzen.