Eine Psychotherapeutin, die während einer Therapiesitzung mit ihrer Patientin Notizen macht.
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Immer noch lastet ein Stigma auf vielen psychischen Beeinträchtigungen. Fachleute betonen jedoch, dass frühe Hilfe wichtig ist (Symbolbild).

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In psychischer Not: Welche Hilfe schnell erreichbar ist

Die Zahl der Menschen in psychischen Notlagen steigt. Die Wartezeiten auf Psychotherapien sind mitunter beträchtlich. Doch es gibt auch Unterstützungsangebote, die schnell erreichbar sind – von denen viele Menschen in Bayern aber nichts wissen.

Es ist einige Monate her, dass Martina Schwab nicht mehr weiter wusste. Ihr 20-jähriger Sohn malte plötzlich großflächige Plakate, auf denen von Bedrohung durch Geheimdienste die Rede war, er lief ruhelos durch die Wohnung. "Er war wirklich komplett durch den Wind", erzählt Schwab. Sie hatte nur noch einen Gedanken: "Wir brauchen irgendwie Hilfe."

Notrufnummer für psychische Krisen

Sie hatte kurz zuvor davon gehört, dass man bei den Krisendiensten Bayern anrufen kann und wählte die kostenlose Nummer 0800 655 3000. Als sie die Lage schilderte, schickte der Krisendienst zwei Psychologinnen, die kurz darauf zu der Familie kamen. Sie bestärkten die Eltern in der Einschätzung, dass ihr Sohn dringend professionelle Hilfe brauchte und sprachen auch mit dem jungen Mann. Wenige Stunden später willigte er ein, sich in einem psychiatrischen Krankenhaus behandeln zu lassen.

"Das war eine große Erleichterung für uns alle", erinnert sich Martina Schwab. Nach einigen Wochen wurde ihr Sohn entlassen. Inzwischen ist er in ambulanter psychotherapeutischer Betreuung, nimmt Medikamente und setzt sein Studium fort. Mit Erfolg.

Hilfe-Adressen zu wenig bekannt

Anna Moosheimer vom Krisendienst des Bezirks Oberbayern freut sich, dass Martina Schwab und ihre Familie sich bei den Krisendiensten gemeldet haben und dort eine erste Hilfe finden konnten. Die Probleme, mit denen sich Menschen an das kostenlose und gegebenenfalls anonyme Angebot wenden, seien vielfältig, erklärt sie: von Paarkonflikten über Überforderungs-Gefühle bis zu schwereren psychischen Erkrankungen wie Psychosen und Depressionen mit Suizidgedanken.

Rund 82.000 Telefonate haben die Mitarbeiter der Krisendienste vergangenes Jahr geführt, rund 3.000 Mal haben sie Menschen vor Ort aufgesucht. Ziel ist es dabei vor allem, eine erste Beratung zu geben und weitere Adressen zu vermitteln, die Hilfe leisten. Die Krisendienste der sieben bayerischen Bezirke würden gerne noch mehr Menschen eine erste Hilfestellung geben, sagt Moosheimer. Aber sie seien noch nicht ausreichend bekannt. Das gelte für die Telefonnummer ebenso wie für die Online-Seite www.krisendienste.bayern.

Psychische Störungen weiter im Abseits

Die Krisendienste versuchen auf sich aufmerksam zu machen, indem sie auch Prominente für sich werben lassen. Der Profi-Kletterer Alexander Huber von den Huber-Buam etwa spricht auf den Internetseiten der Krisendienste offen über eine Angststörung, die er durchlitten hat.

Gerade bei schweren psychischen Störungen sei es wichtig, möglichst frühzeitig Hilfe zu suchen, betont Florian Seemüller, Chefarzt der Psychiatrie der kbo-Klinik Garmisch-Partenkirchen. Es laste aber weiter ein Stigma auf allem, was mit psychischen Beeinträchtigungen zu tun hat, sagt Seemüller, der auch im Vorstand der Gesellschaft für Bipolare Störungen mitarbeitet. Sogar innerhalb der Medizin würden Psychiater mitunter immer noch etwas schief angeschaut.

Vor allem schwere psychische Störungen sollten aber so früh wie möglich behandelt werde, betont Seemüller. Bei psychotischen Erkrankungen sei es erwiesen, dass Menschen umso besser geholfen werden kann, je früher sie Hilfe erhalten. Die Krisendienste könnten eine erste Anlaufstelle sein, sagt Seemüller. Wer akute schwerwiegende Probleme habe, könne aber sich aber auch direkt an ein psychiatrisches Krankenhaus wenden.

Von Wartezeiten nicht abschrecken lassen

Aber auch Menschen mit weniger schweren psychischen Problemen sollten sich nicht von möglichen Hürden auf dem Weg zu einer Therapie abschrecken lassen, sagt Claudia Ritter-Rupp, die bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) für den Bereich Psychotherapie zuständig ist.

Sie räumt ein: Die Wartezeiten auf Psychotherapie-Plätze sind zum Teil beträchtlich: Im Frühjahr war in einer Studie der KVB von im Schnitt rund drei Monaten die Rede. Doch der erste Kontakt lasse sich weit schneller herstellen, und es gebe verschiedene Wege, um Hilfe zu suchen, betont Ritter-Rupp. Ein Anruf direkt in Praxen von Psychotherapeuten oder – in schwereren Fällen – bei Psychiatern sei eine Möglichkeit. Die Zeiten, zu denen solche Praxen telefonisch erreichbar sein müssen, seien in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet worden.

Die Kassenärztliche Vereinigung vermittelt außerdem Termine unter der Telefonnummer 116 117. Daneben informiert die Koordinationsstelle Psychotherapie der KVB gegebenenfalls längerfristige Therapieplätze unter der Nummer 0921 880 99 – 404 10.

Anlaufstelle Hausarztpraxis

Und man dürfe die Hausärztinnen und Hausärzte nicht vergessen, sagt die KVB-Vorständin. Ein Großteil von ihnen habe eine Ausbildung in psychosomatischer Grundversorgung durchlaufen und könne selbst entsprechende Gespräche mit Patienten führen.

Hausärzte könnten aber auch die Weichen stellen, damit ihre Patienten gegebenenfalls von Psychotherapeuten oder auch Psychiatern weiter behandelt werden. "Da haben die meisten ihre Netzwerke, von denen die Kranken profitieren können", sagt Ritter-Rupp.

Telefonseelsorge: Angebot für alle

Ein Hilfsangebot für Menschen in seelischen Notlagen mit einer langen Tradition ist die Telefonseelsorge. Getragen wird das kostenlose und anonyme Angebot seit mehr als sechs Jahrzehnten im Wesentlichen von den christlichen Kirchen. Doch die Telefonnummern 0800 1110111 und 0800 1110222 sind für alle Menschen offen.

Die Telefonseelsorge betont, es gehe um Unterstützung für alle, die Hilfe suchen. Bundesweit rund 300 hauptamtliche und etwa 7.700 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten zweierlei: Einerseits Zeit, um über Probleme zu reden. Sie verfügen darüber hinaus auch über Adressen weiterer Anlaufstellen, an die sich Menschen in Notlagen gegebenenfalls wenden können.

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