Ein Mann hält sich die Augen zu, hinter ihm ein Wirrwarr
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Ein Mann mit ADHS (Symbolbild)

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Erwachsene mit ADHS: "Endlich kommt das Thema aus dem Abseits"

Erwachsene mit ADHS: "Endlich kommt das Thema aus dem Abseits"

Hyperaktiv, unaufmerksam, impulsiv – das sind die Hauptmerkmale von ADHS. Nicht nur Kinder sind davon betroffen – auch Erwachsene leiden darunter. Aber oft wird die Erkrankung nicht erkannt. Die Folgen: Depression, Angststörungen, Suchterkrankungen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

ADHS zu haben, bedeutet, anders zu sein, aufzufallen. Aber eben nicht wie bei Kindern, durch Zappeln, sondern durch andere Symptome: Frauen sind eher unkonzentriert, wirken abwesend. Männer dagegen mehr ungeduldig und impulsiv.

Viele von ihnen wissen nicht, dass sie ADHS haben. Sie merken nur: Sie ecken an, haben Probleme in der Schule, im Job, in der Partnerschaft, im Alltag. Sie erleiden immer wieder Niederlagen und Misserfolge.

ADHS wächst sich im Erwachsenenalter nicht aus

Die These, dass sich ADHS im Erwachsenenalter auswächst, wird seit Jahren widerlegt. Amerikanische Studien zeigen, dass 30 bis 50 Prozent der Erwachsenen, die bereits als Kind von ADHS betroffen waren, auch später noch deutliche Symptome zeigen, die sie in ihrem Leben beeinträchtigen.

Aber: Die Symptome verändern sich im Erwachsenenalter. Es kann ein komplexes Krankheitsbild entstehen, sagt ADHS-Expertin Astrid Neuy-Lobkowicz.

ADHS-Expertin ist selbst von Erkrankung betroffen

Die Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie hat selbst ADHS. Lange Zeit wusste sie das aber nicht. Bis bei dreien ihrer fünf Kinder diese Erkrankung diagnostiziert wurde. Als sie sich dann näher mit ADHS beschäftigt hat, erkannte Astrid Neuy-Lobkowicz auch sich darin. Das war vor 25 Jahren. Ihre Symptome: sprunghaft, unruhig, chaotisch, vergesslich.

Schon in der Schule trieb sie eine innere Unruhe. Intuitiv hat die Bad Tölzerin, die in Hessen zur Schule ging, damals den richtigen Weg gefunden. Sie hat im Unterricht Norwegerpullis gestrickt. "Ich hatte diese Unruhe, konnte nicht stillsitzen. Das konnte ich so wunderbar in diese Stricknadeln reinstricken. Dann konnte ich zuhören, wenn ich ganz komplizierte Muster gestrickt habe."

Neuy-Lobkowicz hilft seit 25 Jahren Erwachsenen mit ADHS

Noch heute ist sie ihren Lehrkräften dankbar dafür, dass sie ihr das Stricken erlaubt haben. Die Diagnose ADHS als Erwachsene hat die heute 65-Jährige nicht schockiert, weil sie vom Fach ist. Sie fand es eher spannend und sah es als Herausforderung, erzählt Neuy-Lobkowicz. "Niemand hatte damals ADHS bei Erwachsenen auf dem Schirm." Also hat sie sich in die Materie eingearbeitet.

Depression, Angststörungen, Suchterkrankungen

Und so hilft die Ärztin seit 25 Jahren Erwachsenen mit ADHS in ihren Praxen in Aschaffenburg und München. Der Bedarf sei groß, sagt Astrid Neuy-Lobkowicz. Sie könne sich vor Patienten kaum retten.

Rund 500 Betroffene behandelt sie pro Quartal. Die Warteliste sei lang. Denn die Verzweiflung der Erkrankten ist groß. Sie wissen nicht, was mit ihnen los ist, haben aber Probleme, den Alltag zu bewältigen. Die Folgen: Selbstzweifel, Frust, Selbsthass, Depression.

LMU-Experte: "Viele Fälle sind undiagnostiziert"

Das beobachtet auch Neurologe Oliver Pogarell von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU in München. Oft kommen Erwachsene zu ihnen mit psychischen Erkrankungen und werden erstmals in seiner Klinik fachärztlich behandelt.

"Viele Fälle sind undiagnostiziert und nicht beachtet, aber ADHS ist eine schwerwiegende Erkrankung mit vielen Folgen für die Betroffenen, für ihre Kompetenz im Alltag", sagt Psychiater Pogarell. Das führe zu erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität.

ADHS zeigt sich im Kindesalter meist durch Hyperaktivität und Konzentrationsstörungen. Im Erwachsenenalter verändert sich diese Überaktivität in eine innere Unruhe, manchmal auch in Impulsivität, beobachtet der ADHS-Experte. "Die Betroffenen halten es in Besprechungen nicht lange am Platz aus, müssen immer wieder aufstehen. Manchmal platzt ihnen eine Antwort heraus, sie unterbrechen andere häufiger."

Kritik: ADHS bei Erwachsenen zu selten erkannt

Deutschlandweit sind etwa zwei Millionen Erwachsene von ADHS betroffen, ohne es zu wissen. Sie haben Folgeerkrankungen, wie Angststörungen und Depressionen, kommen häufiger mit dem Gesetz in Konflikt und sind anfälliger für Suchterkrankungen. Neurologe Oliver Pogarell kritisiert: ADHS bei Erwachsenen ist eine der insgesamt häufigen Erkrankungen, aber unterdiagnostiziert und zu wenig beachtet. "Dabei wissen wir, dass im Kindesalter etwa fünf Prozent der Menschen an ADHS leiden, und im Erwachsenenalter sind das immer noch zwei bis drei Prozent." Die ADHS-Erkrankung spielt also auch im Erwachsenenalter eine Rolle.

Die Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie Astrid Neuy-Lobkowicz kann dem nur zustimmen. ADHS bei Erwachsenen werde oft als Modekrankheit abgetan. "Viele Ärzte und Psychotherapeuten nehmen es einfach nicht wahr." Auch im Medizinstudium werde es nicht beachtet, kritisiert die Fachärztin.

"Soziale Medien diagnostizieren besser als Fachärzte"

Dabei erfährt ADHS gerade einen Hype bei Instagram, TikTok und Youtube. Astrid Neuy-Lobkowicz begrüßt das. "Endlich kommt das Thema aus dem Abseits." Viele ihrer Patientinnen und Patienten berichten ihr, dass sie beim Surfen im Netz auf Videos von ADHS stoßen, vorher aber noch nie davon gehört haben und dann merken: Das bin ja ich! Dabei hatten sie schon mehrere Ärzte und Psychotherapien hinter sich. "Mittlerweile sage ich: YouTube kann ADHS-Diagnostik besser als Fachärzte."

ADHS ist vererbbar, lässt sich aber gut behandeln

ADHS hat aber auch seine positiven Seiten: Die Menschen seien begeisterungsfähig, sensibel, kreativ, innovativ, können sich hyperfokussieren, wenn sie etwas fasziniert. Zwar ist ADHS nur selten heilbar, aber es ist gut therapierbar. Meist helfen Medikamente, dann Psychotherapie, so Expertin Astrid Neuy-Lobkowicz. Für die Patienten sei das ein Lifechanger. "Sie sind verblüfft, wie viel klarer, konzentrierter und wacher sie dann sind."

Astrid Neuy-Lobkowicz selbst braucht keine Medikamente. Sie hat ihre eigene Strategie gefunden, mit der Erkrankung umzugehen: Sie macht viel Sport, spielt Tennis, geht laufen, wandern und Skifahren. "Ich brauche Herausforderungen, etwas Spannendes. Langeweile kann ich schlecht ertragen." Aber sie müsse auch aufpassen, nicht über ihre Grenze zu gehen und nicht zu viel anzufangen.

Das Gute: "ADHS-ler haben Superkräfte"

Die ADHS-Expertin und selbst Betroffene möchte andere motivieren: Ein Leben mit ADHS ist möglich, man ist nur einfach etwas anders. Außerdem sei es ein dankbares Krankheitsbild in der Psychiatrie, so Neuy-Lobkowicz. Man könne den Betroffenen schnell helfen, wenn man es richtig diagnostiziert.

Typische ADHS-Kernsymptome:

• Aufmerksamkeitsstörung

• Konzentrationsstörung

• Sprunghaftigkeit

• Innere Unruhe, Getriebenheit

• Chaos, desorganisierte Arbeitsweise

• Vergesslichkeit

• Motivationsstörung

• Mangelende Selbstdisziplin

• Schnelle Stimmungswechsel

• Hohe Sensibilität

• Ungeduld, Gereiztheit

• Hoher Gerechtigkeitssinn

(Quelle: Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz, "Habe ich AD(H)S? Und wenn ja, was mache ich Gutes draus?")

Weitere Hilfen und Tipps:

ADHS Deutschland

ADHS München

ADHS Ratgeber

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