Es klingt kurios: Was auf den ersten Blick wie Schlachtabfall aussieht, ist für den asiatischen Markt ein wertvolles Produkt. Braune, zentimeterdicke Kügelchen: Rindergallensteinen. Sie werden in der traditionellen chinesischen Medizin gegen Schlaganfälle verwendet und sind fast doppelt so viel wert wie Gold. Laut Wall Street Journal zahlen Händler bis zu 5.800 Dollar pro Unze. Das sind umgerechnet etwa 200 Euro pro Gramm. In Brasilien kommt es deshalb aktuell sogar zu bewaffneten Raubüberfällen auf große Rinderschlachthöfe oder Diebstählen durch Mitarbeitende.
Onlinehandel mit Rindergallensteinen
Im Internet finden sich mit wenigen Klicks Websites, die laut eigenen Aussagen einen fairen Preis für die Nebenprodukte versprechen. "Ox-Gallstones" mit Sitz in Frankreich bezeichnet sich selbst beispielsweise als "Marktführer im Einkauf von Rindergallensteinen". Das Angebot: Wer Rindergallensteine hat, kann sie in einem Paket einsenden und "Ox-Gallestones" prüft die Qualität und macht ein Kaufangebot. "Ox-Gallstone Austria" kauft ebenfalls Rindergallensteine.
Handel mit Rindergallensteinen auch in Bayern
Auch für deutsche und bayerische Schlachthöfe ist der Handel mit den Steinen kein unbekanntes Thema. Mehrere größere Schlachthöfe bestätigten gegenüber BR24, dass routinemäßig jede Rindergalle auf die braunen Klumpen untersucht wird. Eigens dafür angestellte Mitarbeiter nutzen spezielle Vorrichtungen dazu, die Gallensteine herauszufiltern, um sie weiterzuverkaufen. "Allerdings ist Deutschland nicht für den Export von Gallensteinen nach China zertifiziert. Aus diesem Grund werden sie als Nebenprodukte weiterverwertet", erklärt Lina Witte, Sprecherin der Vion food Groop.
Vion betreibt deutschlandweit Schlachthöfe - darunter den Rinderschlachthof Waldkraiburg. An wen Vion die Gallensteine verkauft und was anschließend damit geschieht, möchte Witte nicht sagen. Auch der Deutsche Fleischverband will sich zu dem Sachverhalt nicht weiter äußern.
Keine Zauberformel für Gallensteine
Dem Wall Street Journal gegenüber sagte ein brasilianischer Rinderhalter: "Wenn ich wüsste, dass eine meiner Kühe Gallensteine hat, würde ich sie alle selbst töten." Doch Gallensteine lassen sich von außen schwer erkennen und sind in der Regel auch nicht schädlich für die Tiere. Könnten jetzt Landwirte auf die Idee kommen, Rinder gezielt so zu füttern, dass sie Gallensteine bekommen? "Die klassischen Gallensteine, die im asiatischen Raum medizinisch verwendet werden und ziemlich viel wert sind, da weiß man im Grunde noch nicht ganz genau, wie die entstehen. Deswegen kann ich auch nicht sagen, ob eine bestimmte Fütterungsform solche Gallensteinbildung fördert", erklärt Dr. Martina Hoedemaker, Veterinärmedizinerin der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
Ein lukratives Nebengeschäft für deutsche Schlachtbetriebe
Gallensteine sind feste Ausfallprodukte, hauptsächlich kristallisiertes Cholesterin, in der Gallenblase. Ob sie wirklich eine medizinische Wirkung haben, ist laut Dr. Hoedemaker nicht wissenschaftlich bestätigt. Die Steine kommen bei Rindern in Deutschland nur selten vor. Denn: "Gallensteine entstehen mit zunehmendem Alter", so Dr. Hoedenmaker. Schlachttiere sind meist Jungbullen, bei denen man deshalb kaum fündig wird.
Doch die Suche nach Gallensteinen lohnt sich für die Schlachthöfe. Aus internen Kreisen erfahren wir, dass an guten Tagen auch in deutschen Schlachthöfen Gallensteine im Wert von bis zu 60.000 Euro zusammenkommen können. Diese gehen von dort aus direkt weiter in den Verkauf. Wohin genau, will man nicht verraten. "An einen Zwischenhändler", lautet die vage Auskunft.
Große Verschwiegenheit in der Schlachtbranche
Warum ist die Branche so verschwiegen? Die Befürchtung, dass auch Landwirte an dem lukrativen Geschäft beteiligt werden wollen, ist nur eine Vermutung. Der Rinderschlachthof Uni Fleisch in Erlangen bietet Fleisch von älteren Rindern zum Verkauf an. Das eignet sich besonders zur Weiterverwertung durch Fast-Food-Ketten, für Hackfleisch-Burger. BR24 fragt nach: Werden dort Gallensteine entnommen? Bei Uni-Fleisch heißt es: Nein.
Michael Hackner ist Geschäftsführer der CDS Hackner GmbH in Crailsheim und handelt mit Schlachtnebenprodukten. Auch in Crailsheim ist ein großer Schlachthof. Hackner bestätigt, dass er gelegentlich Gallensteine verkauft: An ein deutsches Pharmaunternehmen, das aber nicht genannt werden möchte.
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