Eine Demo, die am Ende alle Erwartungen übertraf: Am Münchner Siegestor demonstrierten hundert- bis zweihunderttausend Menschen - je nach Schätzung von Polizei oder Veranstaltern. Die Großdemonstration muss nach nur einer Stunde aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. "Wir blicken mit einem lachenden und einem weinenden Auge darauf", sagt Veranstalter Luc Ouali von Fridays for Future München. "Wir sind unfassbar glücklich, dass wir einen so breiten Protest, so ein gutes Symbol gegen Rechtsextremismus und die Feinde der Demokratie gerade setzen können." Traurig sei Ouali, weil nicht alle Künstler auftreten konnten. "Wir haben jetzt drei von vier Songs gespielt, also einen konnten wir nicht mehr spielen", sagt Jonas K., Sänger der Band Kafvka, der sich aber trotzdem über die Dynamik freut.
Überall in Bayern "kein Fußbreit den Rechten"
Fünfhundert Personen waren in Würzburg angemeldet – aber auch hier kamen weit mehr: Laut Polizei hatten zwei- bis dreitausend an der Mahnwache am Unteren Markt teilgenommen. Organisiert hatte die Veranstaltung die Würzburger Ortsgruppe von "Omas gegen Rechts".
Es waren mit die größten Proteste seit Jahrzehnten; fast überall kamen weit mehr, als die Veranstalter angemeldet hatten. Auf dem Willy-Brandt-Platz in Nürnberg versammelten sich am Samstag 15.000, auf dem Marktplatz in Coburg 2.000 - ebenso wie in Ansbach. In Regensburg und Erlangen waren es 4.000. Bambergs Oberbürgermeister, Andreas Starke, sprach von etwa 6.000 Teilnehmern.
"Außergewöhnlich": Protestforscher unterscheidet zwei Gruppen
Viele Demonstrationsteilnehmer kommen mit einer klaren Botschaft hierher: "Wehret den Anfängen." Dass die Geschichte von 1933 sich nie wiederholen dürfe, hört man hier oft. "Kein Fußbreit den Rechten, das ist, warum ich hier bin", sagt Dennis aus Nürnberg, wo zehnmal mehr Menschen zur Demo kamen als angemeldet.
Die Dynamik, die man derzeit in ganz Deutschland erlebe – sie ist sogar für Protestforscher außergewöhnlich. Mit den Enthüllungen von "Correctiv" und der Stärke der AfD in Umfragen seien zwei Entwicklungen zusammengekommen, die die Zivilgesellschaft mobilisiert hätten, sagt der Soziologe Alexander Leistner von der Universität Leipzig. "Was man beobachten kann, ist, dass die Demonstrationen eine ziemliche Breite haben, also viele Familien und viele Pärchen."
Aktuelle Entwicklung mobilisiert auch Unpolitische
Leistner glaubt, dass es sich bei den Protestierenden im Großen und Ganzen um zwei Gruppen handelt: Solche, die grundsätzlich engagiert seien, aber zuletzt "ein bisschen den Mut verloren hatten". Und dann beobachtet er einige, die jetzt "aufgeschreckt sind", die aber "noch nicht so oft demonstrieren waren oder vielleicht sogar das erste Mal".
Tatsächlich säumten die Straße auch viele Menschen, die sonst nicht oder nicht regelmäßig zum Protestieren gehen. Zum Beispiel Manuela A. aus München. "Ich finde es unglaublich wichtig für unsere Kinder und Kindeskinder", sagt sie. "Dass auch sie in Demokratie und in Freiheit leben können."
Spitzenpolitiker und Promis als "ganz normale Bürger"
In München protestierten auch Prominente und Spitzenpolitiker - sie kommen als "ganz normale Bürger". Den Organisatoren ist wichtig: Die Demo soll eine sein, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt. "Für mich ist das ungewöhnlich, eine große Demo zu sehen, bei der ich nicht rede", sagt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mit einem Lächeln.
In der Menge auch Michael Piazolo (Freie Wähler), Ehrenbürgerin Charlotte Knobloch, Alt-OB Christian Ude, Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze sowie ihre beiden Kollegen, Florian von Brunn von der SPD und Florian Streibl von den Freien Wählern.
Streibl wünscht sich, dass auch Aiwanger mal kommt
Streibl sagt, er würde sich wünschen, dass auch Parteifreund Hubert Aiwanger mal auf einer Anti-Rechts-Demo vorbeischaue. Der Freie-Wähler-Chef und stellvertretende Ministerpräsident verkündet seinerseits allerdings auf X, er halte die Demos vielfach für linksextrem unterwandert und spricht derweil lieber bei einer Protestveranstaltung von Bauern gegen die Bundesregierung.
Weitere Demos angekündigt
Ob die derzeitige Mobilisierung der Bevölkerung die AfD schwächen könnte? Die Erfahrung zeige, so Protestforscher Alexander Leistner, dass es eine Kernklientel an Wählerschaft gibt. "Die das jetzt erst mal nicht beeindrucken wird." Aber es gebe eben auch "viele Unentschiedene". Bei ihnen könnten die Demonstrationen "ein Umdenken mit sich bringen".
Zumindest aber glaubt Leistner, dass die "Protestwelle" noch einige Zeit anhalten könnte. Für den 27. Januar, den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, sind bereits weitere Proteste in Bayern angekündigt. Eine laute bayerische Mehrheit wird sich also wohl nicht nur dieses Wochenende positioniert haben.
Im Video: Protestforscher über die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus
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