In Hollfeld in der Fränkischen Schweiz geht ein junger Zimmerer die steile Straße zur Kirche hinauf. Er fällt auf, denn er trägt die Zimmermannskluft: Hut, lange Schlaghose, eine Weste mit acht Knöpfen und ein schwarzes Jackett.
Hoch oben, von einem Baugerüst am Kirchplatz, ein Ruf: "Ah, tach Rolandsbruder! Geh mal in die Baubude und hol dir ein Bier und warte da mal auf uns, ja?" So lernt der Wandergeselle Robin Zimmermann seinen zukünftigen Chef kennen. Bei Michel Bormann wird er die nächsten Wochen auf dem Dachboden unterkommen. Er hat ihn sofort erkannt, denn Bormann war selbst vier Jahre lang als Wandergeselle unterwegs.
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Schreinern in Thailand, Zimmern in Franken
Der 24-jährige Robin kommt gerade von einer dreimonatigen Südostasien-Reise zurück. In Thailand hat er geschreinert, in Laos auf einer Reis-Farm ausgeholfen. Auch das gehört zur Wanderschaft: Einblicke in verschiedene Berufe zu erhalten. Zurück in Deutschland fährt ihn seine nächste Mitfahrgelegenheit ins oberfränkische Hollfeld.
Als Robin dort eintrifft, gleicht das zu sanierende Haus mitten am Kirchplatz einer Ruine. Die Firma Donath Dach rekonstruiert und restauriert das denkmalgeschützte Fachwerkhaus, das in ein paar Jahren wieder zu einem Zuhause werden soll. Gerade klopfen die Zimmermänner die Gefache heraus und reparieren die kaputten Hölzer. Durch die undichten Fenster hat es über Jahre hereingeregnet.
Ein guter Meister spricht sich rum
Robin hat auf der Baustelle einen Vertrag für sechs Wochen unterschrieben. Er ist damit für diese Zeit angestellt. "Die werden im Endeffekt ganz normal gemeldet", sagt Stefan Heinze von Donath Dach. Die Wandergesellen sind versichert und kriegen ihren Lohnzettel.
Sind die Wandergesellen mit ihrem Arbeitgeber zufrieden, spricht sich das schnell rum. Für den oberfränkischen Betrieb arbeiten regelmäßig Wandergesellen. Der ehemalige Chef des Unternehmens richtete in der alten Marktmühle in Wonsees im Nebengebäude extra einen Schlafplatz für Wandergesellen ein. Sieben, acht Mann konnten dort stellenweise unterkommen.
Drei Monate Arbeit am Stück ist das Limit
Keine Selbstverständlichkeit, sagt Heinze. Im Umkreis ist der Betrieb mit seiner Offenheit für Wandergesellen eher die Ausnahme. Andere Zimmereien könnten oft keinen Schlafplatz bieten oder mal ein Firmenauto für einen Wochenendausflug herausgeben. Mit der Arbeit von Wandergesellen hat der Betrieb größtenteils positive Erfahrungen gemacht – das seien alles Fachkräfte und die Baustellen hätten von ihrem Fachwissen profitiert.
Der Robin, sagt Heinze, passt super in den Betrieb rein. "Er ist aufgeschlossen, weiß, was er tut und packt an, egal auf welche Baustelle wir ihn schicken", sagt er. Da fällt der Abschied schwer. Doch die Wandergesellen dürfen nirgendwo heimisch werden. Sie müssen weiterziehen, spätestens nach drei Monaten, so will es die Tradition. Für drei Jahre und einen Tag ist ihre Heimat lediglich die Fremde.
Ledig, kinderlos, schuldenfrei und unter 30 Jahren
Die Voraussetzungen, um ein Wandergeselle zu werden, sind simpel: In der Regel dürfen alle los, die einen Gesellenbrief haben und unter 30 Jahre alt sind. Dazu muss die Person ledig, kinderlos und schuldenfrei sein. Im Mittelalter war die Wanderschaft in manchen Gewerken sogar mal eine Voraussetzung, um überhaupt einen Meister machen zu können.
Traditionelles Aufklopfen an Rathäusern und Handwerkskammern
An einem Montagvormittag herrscht vor dem Rathaus in Würzburg reger Betrieb. Draußen schiebt eine Schar Touristen ihre E-Bikes über die Alte Mainbrücke. Drinnen ist gerade ein junger Wandergeselle eingetroffen. Philippe Saner sucht nach dem Büro des Oberbürgermeisters. Im Empfangsbereich blicken sie den Zimmermann mit seinem Wanderstock mit vielen Auswulstungen, in der Walzsprache "Stenz" genannt, mit großen Augen an. Sein ganzes Hab und Gut hängt in buntbedruckten Tüchern um deine Schulter.
"Charlottenburger" oder Charly heißt das traditionelle Gepäck der Wandergesellen – wahrscheinlich zurückzuführen auf die Charlottenburger Regel aus dem Spätmittelalter, als es Gesellen nicht gestattet war mit größerem Gepäck in die Stadt zu ziehen, weil sich in dicken Fellsäcken allzu leicht Ungeziefer einnisten konnte.
"Spürbar mehr" Leute unterwegs als vor 20 Jahren
Philippe Saner ist ein Zimmermann aus der Schweiz, er ist erst seit wenigen Monaten auf der Walz und gerade in Würzburg auf der Durchreise. Wie es auf Wanderschaft üblich ist, holt er sich im Rathaus einen Stempel für sein Wanderbuch ab. Nach altem Brauch bittet er im Vorzimmer des Oberbürgermeisters um ein kleines Zehrgeld, um den Nachmittag in der Stadt zu überleben, wie er sagt.
Da der OB nicht da ist, stellt sich Philippe bei einer Mitarbeiterin vor. Sie habe sich sehr gefreut, die ganze Zeit gelächelt, als er vorgesprochen hat, sagt er. "Aber ihre Bürokollegin, ja, die hatte da weniger Interesse. Die hat den Raum verlassen, als ich gekommen bin", sagt er. Laut der Stadt Würzburg kommt vier bis fünf Mal im Monat ein Wandergeselle zum Vorsprechen im Rathaus vorbei. Im Vergleich zu vor 20 Jahren sei das spürbar mehr.
Walz ist "absoluter Werbefaktor fürs Handwerk"
"Für manche ist die Walz die große Freiheit, die Welt und neue Betriebe kennenzulernen", sagt Daniel Röper von der Handwerkskammer Unterfranken. Für andere könne es zu sehr einschränkend wirken, da sich die Wandergesellen einen "Bannkreis" auferlegen. Das bedeutet, dass sie in ihrer Zeit auf Wanderschaft immer mindestens 60 Kilometer Abstand zu ihrer Heimat haben müssen. Aber gerade nach der Corona-Pandemie sei das Interesse für die Walz wieder gestiegen.
Doch auch wenn pro Jahr rund 500 Wandergesellen in der Handwerkskammer in Würzburg vorstellig werden, sei die Walz unter Handwerkerinnen und Handwerkern ein Nischenthema. Trotzdem sagt Röper: "Die Walz ist ein absoluter Werbefaktor für das Handwerk. Junge Leute, die wirklich leidenschaftlich für ihr Handwerk brennen, auf die Reise gehen, Neues lernen wollen."
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Wandergeselle zieht viele Blicke auf sich
Kurz schlendert Philippe noch durch die Würzburger Innenstadt. Mit seiner Kluft zieht er viele Blicke auf sich oder die Leute kommen zu ihm und sprechen ihn an. Dann nimmt er sich fünf Minuten Zeit und erzählt ihnen etwas über die Traditon: "Ich mach’s nicht dafür, dass ich was bekomme, sondern dass die Wanderschaft auf wieder bekannter wird." Vielleicht finden die das ja dann cool, denkt er sich – und nehmen dann beim nächsten mal einen Wandergesellen per Auto zum nächsten Ort mit.
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