Ein Treffen in Oberviechtach, direkt am Tor der Grenzland-Kaserne. Andreas Zeitler wartet schon auf dem Parkplatz davor. Vor fast 30 Jahren stand er genau hier.
Der 3. November 1997 hat sich eingebrannt in sein Gedächtnis: "Ich habe nur gedacht, wo zur Hölle bist du hier gelandet? Wie soll das jetzt weitergehen?" Diese Frage stellt er sich damals, mit 20. Denn er muss zum Bund. Andreas Zeitler ist Wehrpflichtiger.
Auf der Fahrt in die Kaserne überlegt er noch umzudrehen. Er will es dann aber hinter sich bringen und schnappt sich seine beiden Sporttaschen. Eine links, eine rechts. "Ich ging die Straße lang und habe einen Soldaten gefragt, wo meine Unterkunft ist. Der wurde etwas lauter im Ton – ob ich denn keine Zahlen lesen könnte – und ging wieder. Ich stand da und dachte: 'Guter Einstieg. Kann nur besser werden.'"
Wehrpflichtig wider Willen
Es wurde nicht nur besser, es wurde anders für Andreas Zeitler. Und das ist auch der Grund, warum wir zurückkehren in die Grenzlandkaserne nach Oberviechtach. Biografien wie seine gibt es heute nicht mehr bei der Bundeswehr. Die Wehrpflicht ist seit rund 15 Jahren ausgesetzt. Wer heute Soldat wird, tut das freiwillig – anders als Andreas Zeitler am 3.11.97. Der dachte damals eher an Heavy Metal und ans Spaß haben als an 10 Monate in Uniform. Wenn er heute zurückblickt, erinnert er sich, wie er anfangs an Grenzen gestoßen ist – etwa auf Märschen.
Da muss er sich durchbeißen, trotz "Überforderung" 25 Kilo Gepäck tragen. Und zwar "in diesen Schuhen, diesen Klamotten, mit Gewehr und Helm". Kündigen ist damals nicht drin. Heute haben Freiwillige da andere Möglichkeiten. Entsprechend hoch ist die Abbrecherquote.
Vorgesetzte werden zu Vorbildern
Zurück in die 90er: Andreas Zeitler aber gewöhnt sich mit der Zeit an das harte Training. Und auf den Märschen passiert noch etwas anderes: Er erlebt Vorgesetze als Vorbilder. Etwa den Gruppenführer, der sich nicht zu schade ist, die Ausrüstung eines Soldaten zu tragen, weil der nicht mehr kann. Erlebnisse wie dieses bringen den 20-Jährigen zu der Überzeugung, dass es "richtig" ist, was seine Ausbilder machen und, dass es für ihn "eine Pflicht ist, das auch zu tun".
Aus dem Wehrpflichtigen wider Willen wird auf diese Weise erst ein Zeit- und später ein Berufssoldat. Mit dieser Entscheidung war Andreas Zeitler nicht allein. Bis zu 40 Prozent ihrer Zeit- und Berufssoldaten rekrutierte die Bundeswehr damals aus Wehrpflichtigen. Das änderte sich mit dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 fundamental.
Heute sucht die Bundeswehr Personal: Mindestens 20.000 Frauen und Männer fehlen.
Und heute? Ist alles anders
Ortswechsel: Von Oberviechtach ins Allgäu. Hier hat Nils seinen Dienst im Versorgungsbataillon 8 angetreten. Es ist ein Verband, der wachsen soll. Seine Kompanie wurde erst kürzlich in Sonthofen aufgestellt. Nils ist 21. Auf Bitten der Bundeswehr nennen wir nur seinen Vornamen. Er hat sich für 14 Monate freiwillig gemeldet. Sein Bataillon ist eine Logistikeinheit, zuständig für Nachschub und Reparaturen.
Solche Verbände tun sich heute eher schwer mit der Nachwuchsgewinnung. Die wenigsten denken an sie, sagt auch Nils. Denn ohne Wehrpflicht müsse eben niemand hineinschnuppern in diese Armee, in der es nicht nur Panzer und Kampfjets gibt. Auch er habe anfangs nicht gewusst, "wie viel dahintersteckt, wie viele Logistiker und Sanitäter es braucht".
Nils hat wertvolle Erfahrungen gemacht und sich überlegt, länger zu bleiben. Am Ende aber entschied er sich doch anders. Nach den 14 Monaten wird für ihn Schluss sein. Er will studieren, in der IT arbeiten. Sich für mehrere Jahre zu verpflichten, das schreckt ihn ab. Damit geht er einen anderen Weg als der Oberviechtacher Panzergrenadier Andreas Zeitler, der in den Neunzigern als widerwilliger Wehrpflichtiger kam und der heute Berufssoldat ist.
Sie wollen die Männer näher kennenlernen? Dann hören Sie rein, in die neue Staffel des BR-Podcasts "Die Entscheidung"! Die beschäftigt sich mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 und den Folgen für Bundeswehr und Gesellschaft. Zu Wort kommt auch der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Er blickt im Exklusivinterview zurück. "Die Entscheidung" finden Sie zum Beispiel in der ARD Audiothek.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!