Soldaten der Bundeswehr beraten sich während eines Manövers vor einem Leopard-Panzer in Litauen.
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Soldaten der Bundeswehr beraten sich während eines Manövers vor einem Leopard-Panzer in Litauen.

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Neues Wehrdienstmodell: Was bedeutet es konkret?

Verteidigungsminister Pistorius hat seinen Vorschlag für ein neues Wehrdienstmodell vorgestellt. Was könnte der Vorstoß des Ministers für junge Männer und Frauen und für die Bundeswehr bedeuten? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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Der Entwurf des neuen Wehrdienstmodells, den Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) heute in Berlin vorgestellt hat, setzt im Kern auf Freiwilligkeit. Er beinhaltet aber auch verpflichtende Elemente:

Wehrdienstmodell: Wie genau lauten die Überlegungen?

Pistorius schlägt vor, dass junge Frauen und Männer angeschrieben werden sollen, bevor sie 18 Jahre alt werden. Männer wären dann laut Grundgesetz wehrdienstfähig. Sie sollen verpflichtet werden, einen Fragebogen auszufüllen und zurückzusenden. Für Frauen soll es freiwillig sein. In dem Fragebogen soll unter anderem nach sportlichem Interesse gefragt werden oder nach dem Willen, in die Streitkräfte einzutreten.

Auf Basis des Fragebogens soll die Bundeswehr dann die Entscheidung treffen, wer zur Musterung eingeladen wird, um schließlich die besten Kandidaten auszuwählen. Diesen soll dann die Möglichkeit offenstehen, sechs Monate lang Wehrdienst zu leisten oder diesen zu verlängern und sich für bis zu 23 Monate zu verpflichten.

Bereits jetzt ist der "Freiwillige Wehrdienst" möglich. Jährlich leisten ihn nach Angaben der Bundeswehr rund 10.000 Menschen ab. Dazu sollen im ersten Schritt etwa 5.000 Personen kommen, die den Wehrdienst nach dem neuen Modell leisten. Begonnen werden soll im kommenden Jahr. Die Zahl der Wehrdienstleistenden soll in der Folge erhöht werden.

Im Kern handelt es sich also nicht um eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht früheren Zuschnitts. Diese galt grundsätzlich für alle jungen Männer.

Der entsprechende Artikel im Grundgesetz bezieht sich im Wortlaut nur auf Männer. Für einen verpflichtenden Dienst von Frauen wäre eine Grundgesetzänderung nötig. Der Vorschlag des Ministers muss noch in der Koalition und den entsprechenden Ressorts beraten werden. Beobachtern gilt er im Moment als "kleinster gemeinsamer Nenner".

Im Video: Pro und Contra - Stimmen zum Wehrdienst-Vorschlag von Verteidigungsminister Pistorius

Soldaten und Soldatinnen marschieren neben einem Haus.
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Was könnte der Vorstoß von Verteidigungsminister Pistorius für ein neues Wehrdienstmodell für junge Leute und für die Bundeswehr bedeuten?

Wie könnte die praktische Umsetzung aussehen?

Für die praktische Umsetzung liegt zunächst ein Modell auf der Hand, welches auch innerhalb der Truppe als kurzfristig stemmbar gilt. Demnach könnten junge Menschen, die sich für die neue Form des Wehrdiensts entscheiden, an Standorten herangezogen werden, an denen aktuell bereits Grund- oder Basisausbildungen durchgeführt werden. Dort werden Soldatinnen und Soldaten grundlegende oder weiterreichende Fähigkeiten vermittelt. Dazu zählt auch die Handhabung von Waffen.

In Bayern ist das an mehreren Standorten der Fall, unter anderem in Feldkirchen, Bad Reichenhall, Weiden, Volkach oder Cham. Auch in Regen und Oberviechtach wird entsprechend ausgebildet. Entsprechendes Personal ist vor Ort. Die Rahmenbedingungen für die Ausbildung existieren. Allerdings wäre an den Standorten unter Umständen ein "Zusammenrücken" nötig. Stuben müssten gegebenenfalls wieder mit mehr Personen belegt werden. Vorteil dieses Modells wären kurze Wege: Die jungen Menschen könnten den Dienst in der Heimat leisten, wenn sie das möchten.

Letztlich bleiben diese Erwägungen im Moment aber noch spekulativ. Die Details sollen noch erarbeitet werden.

Was würde das für die Bundeswehr bedeuten?

Für die Bundeswehr würde eine vollständige Umsetzung des Vorschlages im Wesentlichen drei Dinge bedeuten: verbesserte Rekrutierungsmöglichkeiten, eine Veränderung im Hinblick auf die Aufwuchs-Fähigkeit und eine Reaktivierung der Wehrerfassung beziehungsweise Wehrüberwachung.

Was erhofft sich die Bundeswehr?

Große Hoffnungen in der Truppe ruhen darauf, dass sich das Modell als Weg zur Rekrutierung neuer Zeit- und Berufssoldaten erweist. Jeder junge Mensch wäre durch Erhalt des Fragebogens einmal in seinem Leben automatisch mit der Bundeswehr als potenziellem Arbeitgeber konfrontiert. Beobachter bemängeln allerdings, dass die Bundeswehr aktuell vor allem jene erreicht, die sich ohnehin für eine Karriere in den Streitkräften interessieren.

Aktuell steht die Bundeswehr zudem vor der Herausforderung, nicht nur zu wachsen, sondern auch ihr Personal zu halten. Die politisch festgelegt Zielgröße liegt bei rund 203.000 Soldatinnen und Soldaten. Die Bundeswehr zählt seit Längerem aber nur rund 181.000 Männer und Frauen.

Ein Dienst in der Armee könnte manchen überzeugen zu bleiben, so eine verbreitete Hoffnung. Diese basiert auf Erfahrungen aus den Zeiten der alten Wehrpflicht. Damals verpflichteten sich rund 40 Prozent des Zeitsoldaten-Nachwuchses während ihrer Wehrdienstzeit. Truppenintern wird darüber hinaus gerne mit dem Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz argumentiert. Auch dieser dient jungen Menschen mitunter zum Hineinschnuppern und als Weg hin zur Karriere als Zeit- oder gar Berufssoldat.

Was bedeutet Aufwuchs-Fähigkeit?

Wesentlicher zweiter Punkt ist die Aufwuchs-Fähigkeit der Streitkräfte: Da in Deutschland jeder als Reservist gilt, der Soldat war, ist jeder einstige Wehrdienstleistende automatisch Reservist. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall könnten Reservisten herangezogen werden, um die Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu erhöhen. Sie wären dann zwar kaum für speziellere Aufgaben oder eine Verwendung an der Front einsetzbar, hätten aber eine militärische Ausbildung durchlaufen, die nur aufgefrischt werden müsste. Denkbar wären folglich vielerlei Verwendungen im Inland, etwa das Bewachen von Depots oder logistischen Knotenpunkten. Aktive und gut ausgebildete Soldatinnen und Soldaten könnte das entlasten. In den entsprechenden Szenarien würden sie an die Grenzen des NATO-Bündnisgebietes verlegt.

Aktuell gilt in Bundeswehrkreisen ein Verteidigungsumfang von rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten als nötig für die NATO-Bündnisverteidigung. Reservisten sind hier eingerechnet. Der Aufwuchs der Truppe müsste zumindest in einigen Bereichen zügig erfolgen. Die Zahlen nannte heute auch Verteidigungsminister Pistorius.

Was ist mit Wehrerfassung gemeint?

Die Wehrerfassung stellte einst unter anderem sicher, dass junge Männer zur Musterung eingeladen wurden. Daten wie Alter und Wohnort wurden dafür von den Meldebehörden automatisch an die Kreiswehrersatzämter übermittelt. Seit 2011 ist das Verfahren ausgesetzt. Die entsprechenden Strukturen wieder zu schaffen, ist eine Voraussetzung dafür, um junge Menschen zu kontaktieren. Durch diese Erfassungsform kann auch festgestellt werden, wer im Bedarfsfall herangezogen werden könnte.

Die Wiedereinsetzung der Wehrüberwachung gilt Beobachtern aktuell als eine der größten Herausforderungen. Die alten Strukturen wurden abgebaut. Die Karrierecenter der Bundeswehr dürften personell kaum die Kapazitäten haben, die Aufgaben vollständig aus dem Stand zu übernehmen.

Pistorius nannte den aktuellen Stand heute "unhaltbar". Die entsprechenden Entscheidungen wurden aber weit vor seiner Amtszeit gefällt.

Wie wird der Vorstoß von Pistorius in der Truppe aufgenommen?

Aus der Truppe ist aktuell viel Zustimmung zum Vorschlag des Ministers zu vernehmen. In Kreisen der Generalität etwa wird Pistorius' Schritt als "richtig" bewertet. Die Umsetzung gilt zwar manchem angesichts der Vielzahl der Aufträge der Bundeswehr als herausfordernd, man könne aber nicht weitermachen wie bisher. Jetzt zu beginnen, sei "dringend nötig", ist zu hören.

Auch der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant Marcel Bohnert, begrüßte die Überlegungen im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Der Bundeswehrverband ist die Interessensvertretung der Soldatinnen und Soldaten sowie der Zivilangestellten der Bundeswehr. Bohnert mahnte aber langfristige finanzielle Zusagen der Bundesregierung an. Der Wehrdienst müsse attraktiv sein, das Umfeld müsse passen. Es handle sich um eine Investition in die Sicherheit, so Bohnert. Nur so lasse sich aber Verteidigungsfähigkeit herstellen, wie sie Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in seiner Zeitenwende-Rede als Ziel ausgegeben hatte.

Der Landesvorsitzende des Reservistenverbandes in Bayern, Fabian Forster, begrüßt vor allem die angestrebte Reaktivierung der Wehrerfassung. Dies sei "ein ebenso nötiger wie richtiger erster Schritt, um letztlich auch die Reserve zu stärken", sagte Forster dem BR. Er betonte die Bedeutung der Aufwuchs-Fähigkeit. Nach wie vor gelte es aber auch, Menschen, die bereits in der Bundeswehr gedient haben, den Weg in die Reserve zu erleichtern. Hierfür brauche es Strukturen, zumal der Vorschlag von Pistorius auch das Anschreiben ehemaliger Soldatinnen und Soldaten beinhaltet.

Eine Allgemeine Dienstpflicht, die für Männer und Frauen gilt, wäre im Sinne seines Verbandes, um auch Organisationen wie das Technische Hilfswerk zu stärken. In einer Krise komme es nicht allein auf das Militär an, so Forster.

Warum ein neues Wehrdienstmodell?

Hintergrund des Vorstoßes ist laut Verteidigungsminister Pistorius die allgemeine Sicherheitslage. Die Landes- und Bündnisverteidigung ist der Kernauftrag der Bundeswehr. Aktuell wäre sie dazu nur eingeschränkt in der Lage. Militärplaner gehen davon aus, dass Russland bis 2029 in der Lage sein könnte, NATO-Territorium anzugreifen. Sie wollen deshalb die eigenen militärischen Fähigkeiten ausbauen, um einen derartigen Angriff durch glaubwürdige Abschreckung zu verhindern.

Im Video: Pistorius legt Wehrdienstmodell vor

Boris Pistorius bei der Pressekonferenz
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Verteidigungsminister Boris Pistorius will mehr junge Menschen für die Bundeswehr gewinnen. Dazu legte er nun ein neues Wehrdienstmodell vor.

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