Es sind nur neun von zigtausend Lebensmitteln, trotzdem dürften Kundinnen und Kunden des Discounters "Penny" (gehört zur Rewe-Handelsgruppe) irritiert sein, wenn ab Montag Käsescheiben, Mozzarella oder Wiener Würstel plötzlich fast doppelt so teuer sind wie sonst üblich.
In über 2.000 Filialen haben die Wissenschaftlerin Amelie Michalke von der Universität Greifswald und ihr Kollege Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg die "wahren Kosten" von Lebensmitteln berechnet. Für eine Woche kosten vier Bio- und fünf konventionell produzierte Produkte entsprechend mehr. Warum die jeweiligen Produkte mehr kosten, wird erklärt - die Verbraucher können sich also auch für günstigere Varianten entscheiden.
Es geht nicht darum, alles teurer zu machen
Die beiden Wissenschaftler wissen sehr wohl, dass das gerade angesichts einer durchschnittlichen Inflation von mehr als sechs Prozent (Juli 2023) und massiv gestiegener Lebensmittelpreise in den letzten zwölf Monaten ein heikles Unterfangen ist. Mit dem Einkaufsprojekt soll nicht nur eine Diskussion um die Umweltfolgen im Lebensmittelsektor angestoßen werden, sondern die Wissenschaftler erhoffen sich auch Rückschlüsse auf das Konsumverhalten und die Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und Kunden.
Bislang werden bei den Lebensmitteln - industriell gefertigt, ökologisch hergestellt oder frisch vom Acker - schließlich nur die Produktionskosten und die jeweiligen Aufpreise in der Lieferkette veranschlagt. Welche gesellschaftlichen Kosten bei der Produktion in den Bereichen Gesundheit, Boden, Wasser oder Klima entstehen, wird weitgehend nicht berücksichtigt. "Dass wir das nicht tun, ist zwar auf den ersten Blick billig, aber es ist nicht recht und billig", sagt Gaugler, "weil es auf lange Sicht sehr, sehr hohe Schadenskosten sind, die wir als Gesellschaft ja doch wieder bezahlen müssen."
Bioprodukte nicht mehr viel teurer
Wer seinen Einkauf jetzt schon nachhaltig und gesundheitsbewusst gestaltet, wird eigentlich nicht belohnt. Regionale, saisonale und frische Produkte sind in der Regel eher teurer und gerade industriell gefertigte Lebensmittel, mit billigen Fetten, Geschmacksverstärkern, zu viel Salz und Zucker vergleichsweise günstig. "Wir sagen ja nicht: Alles muss viel teurer werden", so Gaugler, "sondern wir sagen: Manche Lebensmittel müssen eigentlich teurer werden, manch andere gar nicht."
Auffällig ist, dass bei Bioprodukten - im aktuellen Einkaufsprojekt - die Preisaufschläge durchweg geringer ausfallen, als bei konventionell hergestellter Ware. Sind die Umweltfolgekosten mit einberechnet, kostet ein Bio-Joghurt hier mit 1,56 Euro sogar acht Cent weniger als ein vergleichbarer, konventionell produzierter Joghurt. "Das liegt einfach daran, dass der Biolandbau jetzt schon viel dafür tut, solche Kosten zu vermeiden", erklärt Michalke, denn "es werden zum Beispiel synthetische Düngemittel vermieden, es werden Pestizideinsätze vermieden. Und so trägt der Biolandbau jetzt schon dazu bei, dass wahre Kosten vermieden werden."
Tierische Produkte wären viel teurer
Gerade bei tierischen Produkten, und dazu zählen alle ausgewählten Lebensmittel des Einkaufsprojekts, zeigt sich der Effekt besonders deutlich - also wenn alle externen Faktoren, die eben nicht direkt zwischen Produktion/Herstellung und einem späteren Verkauf liegen, in den Verkaufspreis eingerechnet werden. Bei einem lokalen Discounter-Test 2020 in Berlin wurde bereits deutlich, dass sich die Aufschläge bei Obst und Gemüse, wie Kartoffeln und Tomaten nur auf ein paar Prozent belaufen würden.
Dass vor allem in tierischen Produkten mehr CO2 steckt, liegt auf der Hand. Schließlich ist, bevor wir zum Tier und dem Fleisch kommen, bereits eine komplette pflanzliche Produktionskette für das Futter vorgelagert. Das wiegt bei der Berechnung schwer, wenn entlang der Lebenszeit von Rindern, Schweinen oder Hühnern noch weitere gesellschaftliche Belastungen wie Medikamente, Fäkalien oder auch der Methanausstoß der Wiederkäuer addiert werden. Diese Folgekosten zahlt letztlich auch der Veganer mit, ob er will oder nicht. Im Preis an der Ladentheke sind diese Kosten jedenfalls nicht enthalten.
Wie genau ist die Berechnung?
Das Hochrechnen oder Umwandeln dieser externen Effekte in Euro oder Cent ist natürlich nicht allgemein verbindlich. Auch wenn es renommierte Verfahren und Methoden gibt. Schließlich kommt es auf die Berechnungsgrundlagen an. Aber, so Gaugler: "Da beziehen wir uns auf Daten, die valide sind, die vom IPCC [Weltklimarat der UN, Anm. die Red.], vom Umweltbundesamt kommen und einfach von wissenschaftlicher Seite unstrittig sind."
Hätten die Forscher weitere Treiber als die vier genannten mit einbezogen, wären die Lebensmittelpreise des Projekts, zumindest einige davon, noch deutlich teurer geworden.
Wie werden sich die Kunden verhalten?
Das einwöchige Einkaufsprojekt ist als eine Art Denkanstoß für Verbraucher zu sehen. Angesichts einer immer noch hohen Inflation und drastisch gestiegener Lebensmittelpreise ist der Versuch auch für "Penny" eine kitzlige Angelegenheit. "Wir haben großes Verständnis für Sorgen und Ängste unserer Kundinnen und Kunden. Viele müssen aktuell auf jeden Cent achten", sagt Andreas Krämer, Sprecher der Handelskette, "dennoch wollen wir mit der aktuellen Kampagne darauf aufmerksam machen, dass die Diskussion um Lebensmittelpreise zu kurz greift. Denn schon jetzt zahlen wir diese versteckten Umweltfolgekosten in irgendeiner Form."
Mehreinnahmen werden gespendet
Die "wahren Kosten" für Lebensmittel sollen demnach auch nicht flächendeckend eingeführt werden, wenn das Einkaufsprojekt beim Discounter beendet und ausgewertet ist.
Die Mehreinnahmen der Aktion - also die Differenz zwischen Verkaufspreis und Wahre-Kosten-Preis - spendet "Penny" vollumfänglich an das Projekt "Zukunftsbauer", das sich für mehr Klimaschutz und den Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum einsetzt.
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