Endlich frei? Der Start in ein neues, straffreies Leben stellt gerade junge Haftentlassene vor große Herausforderungen. Plötzlich gilt es wieder, den Alltag selbst zu stemmen: Job- und Wohnungssuche, Behördengänge, Termine mit der Bewährungshilfe. Kooperationsbereitschaft und Zuverlässigkeit sind nötig. Je nachdem, wo die Haftentlassenen ihren Wohnort wählen, ist die Gefahr groß, in das alte Umfeld zu geraten. Die neu gewonnene Freiheit ist fragil.
Junge Haftentlassene brauchen intensive Betreuung
Etwa 59 Prozent derjenigen, die zu einer Jugendstrafe mit Bewährung verurteilt wurden, kommen innerhalb von drei Jahren nach der Entlassung wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Davon kehren knapp 23 Prozent wieder in den Vollzug zurück.
Statistiken zeigen: Mit zunehmendem Alter nimmt die Rückfallwahrscheinlichkeit ab. Aber damit junge Menschen nach der Entlassung aus der Haft künftig ein straffreies Leben führen, ist ein gutes Übergangsmanagement nötig und eine intensive Betreuung nach der Haft.
Forscher: Bemühungen reichen nicht
Resozialisierung ist ein gesetzliches Ziel der Haft. Die Zuständigkeit der Justiz aber endet in der Regel mit der Entlassung aus dem Gefängnis. Bei der Rückkehr in die Gesellschaft sind Haftentlassene also häufig auf sich allein gestellt.
In den Justizvollzugsanstalten finden zwar runde Tische mit verschiedenen Kooperationspartnern statt: Hilfsangebote werden koordiniert, damit die häufigsten Schwierigkeiten nach der Entlassung wie Wohnungs- und Arbeitslosigkeit, Schulden oder Suchtprobleme bewältigt werden. Aber: Die Praxis zeigt, dass sich die ehemaligen Straftäter nach der Entlassung aus dem Gefängnis oft ziemlich alleine gelassen fühlen. "Es ist eine sehr defizitäre Situation, dass wir in Deutschland kein ausgebautes Übergangsmanagement haben", sagt Thomas Bliesener vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. "Es wäre notwendig, dass man schon während des Vollzuges schon Bindungen nach draußen aufbaut. In der Regel wird das zumindest insoweit gemacht, dass dafür gesorgt wird, dass eine Wohnung oder ein Wohnplatz vorhanden ist, möglicherweise auch ein Übergang in einen Beruf oder in eine Ausbildung. Aber das ist dann auch im Grunde genommen schon das Ende der Fahnenstange."
Bewährungshilfe bereits während der Haft
Immerhin: Wer nach dem Jugendgerichtsgesetz verurteilt wird, bekommt nach der Entlassung immer eine Bewährungshilfe zur Seite gestellt – bis zu zwei Jahre lang. Idealerweise sollte die Bewährungshilfe bereits während der Haft mit den jungen Straftätern Kontakt aufnehmen, um frühzeitig Vertrauen aufzubauen und zu halten. Das ist aber vor allem dann schwierig, wenn die Entfernung zwischen der JVA und dem künftigen Wohnort groß ist.
Ein Beispiel aus Nürnberg
Der 24-jährige Silvio aus Nürnberg hatte Glück: Seine Bewährungshelferin hat ihn bereits sehr frühzeitig kontaktiert. Er wurde vor über zwei Jahren aus dem Jugendgefängnis entlassen.
Schon mit 15 hatte er angefangen, Drogen zu konsumieren. Mit 19 wurde er, nach mehreren Bewährungsstrafen, wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Raubes zu anderthalb Jahren Haft verurteilt.
Nach der Entlassung war Silvio zunächst in stationärer Therapie, um seine Sucht in den Griff zu bekommen. Seine Freude über die Entlassung währte nur kurz. "Wie eine Wand ist das alles auf mich zugekommen", erinnert er sich. Er landete zunächst in Nürnberg in einer Obdachlosenunterkunft. Doch seine Bewährungshelferin vermittelte ihn an den Nürnberger Arbeitskreis Resozialisierung, der ihm nicht nur bei der Wohnungssuche half. Mit ihr trifft sich Silvio ungefähr einmal im Monat. "Es ist sehr schwer, Einstellungen, Verhalten. Bekanntenkreise, Reden, Denken peu a peu umzustellen, wenn man gar nicht weiß, was gibt es denn außerdem, was gibt es für Lebenskonzepte für mich, welche Alternativen?", sagt Bewährungshelferin Heidelinde Knopp. "Und es ist mutig, wenn ich sage, ich will nicht mehr der Verbrecher sein."
Kooperation ist gefragt
Voraussetzung für eine gelingende Resozialisierung ist in jedem Fall die Kooperationsbereitschaft der ehemaligen Straftäter und der Wille, in Zukunft ein straffreies Leben führen zu wollen.
Nicht immer ist das Verhältnis zwischen Bewährungshelfenden und Probanden so gut wie zwischen Silvio und seiner Helferin. Manche Haftentlassenen wollen Hilfen nicht annehmen, fühlen sich gegängelt. Denn die Bewährungshilfe hat auch Kontrollfunktion, meldet Fehlverhalten und das Nichteinhalten von Auflagen und Weisungen an das Gericht.
Bewährungshelfende betreuen im Schnitt 75 Probanden im Monat. Auch zeitlich ist eine intensive Einzelbetreuung kaum zu schaffen. Umso wichtiger ist die Freie Straffälligenhilfe.
Freie Straffälligenhilfe unterstützt Entlassene
Träger der Freien Straffälligenhilfe - wie beispielsweise die Diakonie oder die Caritas - leisten das, was auf staatlicher Ebene häufig fehlt. Hier finden ehemalige Straftäter feste Ansprechpartner, die helfen, den Wiedereinstieg ins Leben zu koordinieren. Eine geregelte Finanzierung gibt es nicht. Der Staat unterstützt finanziell – aber in Zeiten, in denen Sozialausgaben gekürzt werden, kämpfen Einrichtungen der freien Straffälligenhilfe um jede Stelle.
Kay Putsche vom Arbeitskreis Resozialisierung der Stadtmission Nürnberg findet, dass es mehr Unterstützung nach der Haft geben müsste: "Man kann sich als Regierung hinstellen und sagen: Wir schützen die Gesellschaft vor diesen Übeltätern und Kriminellen – was ja auch richtig ist. Über das, wie es danach weitergeht, gibt es, finde ich, zu wenig weitreichende Gedanken."
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