Erst Anfang der Woche haben Bund und Länder beschlossen, den Lockdown bis Mitte Februar zu verlängern. Auch Schulen und Kitas sollen noch so lange geschlossen bleiben. Bei manchen Twitter-Usern sorgt diese Ankündigung für Irritation:
"Hier in München in etlichen Kitas 50% oder sogar 75% belegt. Also von aktuellen Schließungen kann bei Kitas nicht die Rede sein. Es darf ja jede:r die Kinder bringen: es reicht ein “ist notwendig”. Kein Nachweis wird gefordert." Ein Twitter-User
Doch stimmt das? Sind die Kitas wirklich so voll? Und können Eltern ihre Kinder ohne Nachweis oder Prüfung in die Notbetreuung geben?
Wer kann sein Kind derzeit in Notbetreuung bringen?
Grundsätzlich gilt: "Der Betrieb von Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflegestellen, organisierten Spielgruppen für Kinder sowie Maßnahmen zur Ferientagesbetreuung werden grundsätzlich untersagt."
So schreibt es das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales auf seiner Webseite in einem FAQ. Allerdings können bestimmte Personengruppen unter bestimmten Umständen eine Notbetreuung in Anspruch nehmen. Kitas, die nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) gefördert werden, müssen eine solche Notbetreuung aufrechterhalten, um weiterhin Anspruch auf die Betriebskostenförderung nach dem BayKiBiG zu haben.
Folgende Personengruppen können derzeit eine Notbetreuung in Anspruch nehmen:
- Kinder, deren Eltern die Betreuung nicht auf andere Weise sicherstellen können, insbesondere, wenn sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen,
- Kinder, deren Betreuung zur Sicherstellung des Kindeswohls von den zuständigen Jugendämtern angeordnet worden ist,
- Kinder, deren Eltern Anspruch auf Hilfen zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII haben,
- Kinder mit Behinderung und Kinder, die von wesentlicher Behinderung bedroht sind.
Darüber hinaus gibt es bestimmte Kriterien, die zu erfüllen sind: Die Notbetreuung kann nämlich nur dann in Anspruch genommen werden, wenn
- das Kind keine Symptome einer akuten, übertragbaren Krankheit aufweist,
- das Kind nicht in Kontakt zu einer mit dem Corona-Virus infizierten Person steht bzw. seit dem Kontakt 14 Tage vergangen sind,
- das Kind keiner sonstigen Quarantänemaßnahme unterliegt.
Wird ein solcher Anspruch auf Notbetreuung überprüft?
Momentan müssen Eltern nicht wie im März letzten Jahres nachweisen, dass sie die Notbetreuung auch wirklich brauchen. Das bestätigt eine Sprecherin des Bayerischen Familienministeriums per Email:
"Die Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen müssen keine Nachweise von den Eltern einfordern, dass beispielsweise kein Urlaub gewährt wird. Sie können sich jedoch von den Eltern schriftlich bestätigen lassen, dass die Betreuung nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann. Eine solche Bestätigung ist jedoch nicht zwingend notwendig." (Pressesprecherin des Bayerischen Familienministeriums)
Auf Wunsch von Bayerns Sozialministerin Carolina Trautner soll sich an der derzeitigen Praxis auch so bald nichts ändern. Eine Nachweispflicht für Eltern, wie sie im März im ersten Lockdown der Fall war, soll es nicht wieder geben. Damit erteilt sie einer diesbezüglichen Forderung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Bildungsgewerkschaft im DGB, eine Absage.
Das Ministerium appelliert allerdings "eindringlich" an die Eltern, eine Notbetreuung tatsächlich nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn dies unbedingt notwendig ist. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn eine Betreuung im häuslichen Umfeld auch anderweitig sichergestellt werden kann. "Wir vertrauen darauf, dass die allermeisten der Eltern sich weiterhin rücksichtsvoll verhalten und diesen Appell ernst nehmen", so die Sprecherin des Familienministeriums.
Sind die Kitas in Bayern genauso voll wie normalerweise?
Zahlen des Sozialministeriums und Einschätzungen der vom #Faktenfuchs befragten Träger zeigen: Die Lage ist zwar regional sehr unterschiedlich – wenn man ganz Bayern betrachtet, sind die Einrichtungen vom Normalbetrieb jedoch weit entfernt.
Laut einer aktuellen Umfrage des Familienministeriums unter den bayerischen Kitas, an der sich 86 Prozent der Einrichtungen beteiligt haben, wird bayernweit für gut 22 Prozent der Kinder eine Notbetreuung in Anspruch genommen. Das geht aus Zahlen hervor, die das Ministerium auf Anfrage dem #Faktenfuchs vorlegt. Was die Zahlen auch zeigen: Die Lage variiert stark von Region zu Region.
Während sich in Schwaben nur 17 Prozent der Kinder in Notbetreuung befinden, sind es in Mittelfranken und Oberbayern jeweils 26 Prozent. Die höchsten Werte verzeichnet die Stadt Fürth, wo sich knapp 45 Prozent der Kinder in Notbetreuung befinden. In der Stadt Straubing hingegen ist nur etwa jedes zehnte Kind in Notbetreuung. Bayernweit kann von einer Auslastung von 50 oder 75 Prozent also keine Rede sein.
Selbst in der Stadt München ist die Auslastung insgesamt nicht so hoch. Genaue Zahlen für München schickt das Ministerium zwar nicht mit - München ist jedoch nicht unter den drei Spitzenreitern, in denen die Auslastung derzeit bei mehr als 33 Prozent liegt.
Für einzelne Kitas mag eine Auslastung von 50 Prozent dennoch durchaus zutreffen, wie Beate Höß-Zenker, Geschäftsführerin der "Pfennigparade", auf Nachfrage bestätigt. Höß-Zenker ist für sieben Einrichtungen in München zuständig und sagt, die Anwesenheit habe sich in ihren Einrichtungen bei etwa 50 Prozent eingependelt: "Ich habe eigentlich schon das Gefühl, dass die Eltern verantwortlich mit der Notbetreuung umgehen." Mit dieser Auslastung sei es noch gut möglich, Hygieneregeln einzuhalten, damit das Personal zu schützen und trotzdem Eltern mit der Betreuung zu entlasten. In München sei die Situation zudem über alle ihre Einrichtungen hinweg sehr ähnlich – Kinder in ärmeren Vierteln würden in etwa so häufig notbetreut wie die aus wohlhabenderen Vierteln.
Maria Magdalena Hellfritsch, die als Geschäftsführerin des Verbandes katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern 2700 Einrichtungen in ganz Bayern vertritt, schätzt, dass ihre Kitas derzeit nur zu etwa 30 bis 35 Prozent ausgelastet seien. Allerdings gebe es große regionale Unterschiede, gerade in den Städten schickten womöglich mehr Eltern ihre Kinder in die Notbetreuung. In einzelnen Einrichtungen seien bis zu 90 Prozent der Kinder anwesend.
Die Stadt Nürnberg teilt per Pressemitteilung mit: Für die Woche von Montag bis Freitag, den 11. bis 15. Januar, hätten rund 4.600 Kinder eine Krippe, einen Kindergarten oder einen Hort besucht. Das seien etwa 16 Prozent. Auch hier gebe es große Unterschiede: "In sehr vielen Einrichtungen sind nicht einmal zehn Prozent der Plätze belegt." Dafür verzeichneten etwa fünf Prozent der Einrichtungen "eine Belegung von 50 bis 70 Prozent".
Einige Erzieher kritisieren die laxen Regeln für die Notbetreuung
Maria Magdalena Hellfritsch vom Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern wünscht sich in der Krise klarere Vorgaben, wer in die Notbetreuung darf: "Manche Kitas sind stark ausgelastet. Da fragen mich die Erzieher: 'Wen sortiere ich aus, wenn 90 Prozent kommen und alle sagen, ich brauche es?" Ihren Erziehern stoße teilweise auch sauer auf, dass es immer heiße: "Die Kitas sind geschlossen." Richtiger wäre: "Sie sind offen für alle Eltern, die Betreuung brauchen", so Hellfritsch.
In Nürnberg, wo die Stadt selbst öffentlicher Träger von 140 Einrichtungen ist, ist man zufrieden mit der Auslastung: "Wir hatten im Vorfeld durchaus Sorge, dass die Einrichtungen sehr voll werden könnten", teilt Elisabeth Ries, Referentin für Jugend, Familie und Soziales der Stadt Nürnberg mit. Aber: "Die Eltern gehen sehr gewissenhaft mit dem Angebot der Notbetreuung um."
Fazit: Dass die Kitas in München zu 50 oder sogar 75 Prozent ausgelastet sind, wie Nutzer in sozialen Netzwerken behaupten, mag für einzelne Kitas zutreffen. Das bestätigt die Geschäftsführerin eines Münchner Krippenträgers. Insgesamt ist die Auslastung in München - und bayernweit - allerdings deutlich geringer, wie aus den Zahlen des Familienministeriums hervorgeht. Bayernweit sind derzeit 22 Prozent der Kinder in Notbetreuung.
Anders als im ersten Lockdown im Frühjahr hat sich das Ministerium diesmal bewusst dafür entschieden, die Notbetreuung für alle Eltern zu öffnen, die "die Betreuung nicht auf andere Weise sicherstellen können, insbesondere, wenn sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen". Überprüft wird das nicht. An dieser Strategie will das Ministerium auch in Zukunft weiter festhalten.